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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses.

Verehrung zu ihnen Hütten hinausblicken sollen -- kein deutsches Theater hat sich
dieser Verehrung bisher dauernd würdig gemacht. Selbst das österreichische Burg¬
theater Laubes wird, wenn man es nicht mit den Augen Laubes betrachtete, des Un¬
würdigen genug auszuweisen gehabt haben; es war obenein vorwiegend ein deutsch¬
französisches Theater. Aber daß der Verstorbene in den Bahnen, die unserm
Theater von jeher vorgezeichnet waren, das Würdige, das Anerkennenswerte mit
sicherer Kraft und rühmlicher Stetigkeit ein halbes Menschenalter hindurch geleistet
hat, darf ihm niemand bestreiten. Kliugemann, der die Bühne Ifflands in rück¬
sichtslosester Weise verurteilte, sagte doch zugleich: "Befäude sich indessen dieses
Theater in Leipzig, Frankfurt oder Hamburg, so würde ich ohne Zweifel seinen
entschiedenen Bewunderer abgeben." Das ist es! Auch unter Hülsen war
das Schauspielhaus unter allen Umständen die erste Schauspielbühne Deutsch¬
lands, die Sehnsucht aller Drameuschreiber und Schauspieler; aber als erste
Bühne Berlins durfte mau immerhin Ansprüche an sie stellen, die nicht immer
und in gewisser Beziehung niemals erfüllt wurden und wohl auch nicht erfüllt
werden konnten.

Man hat Hülsen zuweilen einen Feind des Genies genannt -- er mag
diese Abneigung gegen das Außerordentliche mit vielen andern wackern Männern
geteilt haben; aber es ist auch uicht immer angenehm, mit "Genies" zu thun
zu haben, und vieles, namentlich in seinem Verhältnis zu Richard Wagner, wäre
vielleicht anders gewesen, wenn auch die Genies ihrem Vorrecht, taktlos zu sein,
zuweilen entsagt hätten. Was aber sonst sich "Genie" dünkte und die Nicht¬
beachtung Vonseiten des Intendanten mit wütendem Haß erwiederte, verdiente
wohl für gewöhnlich kaum den Ehrennamen des Talents. Verkannte Dichter
sind bekanntlich fürchterlich und eine Plage für jedermann.

Herr von Hülsen ist von seinem Führerposten geschieden -- das Institut
aber (über das Opernhaus zu urteilen steht mir nicht zu, auch habe ich es seit
Jahren nicht mehr betreten) lebt und muß ohne ihn weiter leben. Was wird
seine Zukunft sein? Wo es sich um eine so wichtige Stellung handelt, da dürfen
wohl Betrachtungen auch der nicht unmittelbar Beteiligten laut werden. Herr
von Vronsart, der bisherige Intendant des Hoftheaters in Hannover, wird als
Nachfolger des Verstorbenen genannt. Das Theater in Hannover ist zufällig
eines der wenige,? Theater, die ich garnicht kenne; indessen gilt es für ein gutes
Theater, und sein Intendant für einen geschmackvollen, umsichtigen Mann. Ob
er die geeignete Persönlichkeit für das schwierige Amt in Berlin ist, müßte
sich erst erweisen; nur erwarte man auch von dem Besten nicht mehr, als ein
Beamter eines königlichen Hauses leisten darf. Wenn der Nachfolger zunächst
das Vorhandne zu erhalten und vielleicht einige bestehende oder noch zu
reißende Lücken mit Glück auszufüllen weiß, so wird man ihm das schon als
ein Verdienst anrechnen müssen, wenn es ihm gelingt, das Repertoire von
Stücken wie "Roderich Heller" rein zu halten und dafür gelegentlich ein ernstes


Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses.

Verehrung zu ihnen Hütten hinausblicken sollen — kein deutsches Theater hat sich
dieser Verehrung bisher dauernd würdig gemacht. Selbst das österreichische Burg¬
theater Laubes wird, wenn man es nicht mit den Augen Laubes betrachtete, des Un¬
würdigen genug auszuweisen gehabt haben; es war obenein vorwiegend ein deutsch¬
französisches Theater. Aber daß der Verstorbene in den Bahnen, die unserm
Theater von jeher vorgezeichnet waren, das Würdige, das Anerkennenswerte mit
sicherer Kraft und rühmlicher Stetigkeit ein halbes Menschenalter hindurch geleistet
hat, darf ihm niemand bestreiten. Kliugemann, der die Bühne Ifflands in rück¬
sichtslosester Weise verurteilte, sagte doch zugleich: „Befäude sich indessen dieses
Theater in Leipzig, Frankfurt oder Hamburg, so würde ich ohne Zweifel seinen
entschiedenen Bewunderer abgeben." Das ist es! Auch unter Hülsen war
das Schauspielhaus unter allen Umständen die erste Schauspielbühne Deutsch¬
lands, die Sehnsucht aller Drameuschreiber und Schauspieler; aber als erste
Bühne Berlins durfte mau immerhin Ansprüche an sie stellen, die nicht immer
und in gewisser Beziehung niemals erfüllt wurden und wohl auch nicht erfüllt
werden konnten.

Man hat Hülsen zuweilen einen Feind des Genies genannt — er mag
diese Abneigung gegen das Außerordentliche mit vielen andern wackern Männern
geteilt haben; aber es ist auch uicht immer angenehm, mit „Genies" zu thun
zu haben, und vieles, namentlich in seinem Verhältnis zu Richard Wagner, wäre
vielleicht anders gewesen, wenn auch die Genies ihrem Vorrecht, taktlos zu sein,
zuweilen entsagt hätten. Was aber sonst sich „Genie" dünkte und die Nicht¬
beachtung Vonseiten des Intendanten mit wütendem Haß erwiederte, verdiente
wohl für gewöhnlich kaum den Ehrennamen des Talents. Verkannte Dichter
sind bekanntlich fürchterlich und eine Plage für jedermann.

Herr von Hülsen ist von seinem Führerposten geschieden — das Institut
aber (über das Opernhaus zu urteilen steht mir nicht zu, auch habe ich es seit
Jahren nicht mehr betreten) lebt und muß ohne ihn weiter leben. Was wird
seine Zukunft sein? Wo es sich um eine so wichtige Stellung handelt, da dürfen
wohl Betrachtungen auch der nicht unmittelbar Beteiligten laut werden. Herr
von Vronsart, der bisherige Intendant des Hoftheaters in Hannover, wird als
Nachfolger des Verstorbenen genannt. Das Theater in Hannover ist zufällig
eines der wenige,? Theater, die ich garnicht kenne; indessen gilt es für ein gutes
Theater, und sein Intendant für einen geschmackvollen, umsichtigen Mann. Ob
er die geeignete Persönlichkeit für das schwierige Amt in Berlin ist, müßte
sich erst erweisen; nur erwarte man auch von dem Besten nicht mehr, als ein
Beamter eines königlichen Hauses leisten darf. Wenn der Nachfolger zunächst
das Vorhandne zu erhalten und vielleicht einige bestehende oder noch zu
reißende Lücken mit Glück auszufüllen weiß, so wird man ihm das schon als
ein Verdienst anrechnen müssen, wenn es ihm gelingt, das Repertoire von
Stücken wie „Roderich Heller" rein zu halten und dafür gelegentlich ein ernstes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/95>, abgerufen am 20.10.2024.