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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die moderne Arbeiterbewegung.
1381- 311 961 sozial, Stimmen abgegeben und 12(13) Abgeordnete gewählt wurden,
1884: S49 990 " " " " 24(25)
während 1871: 101927 " " " " 1 " " "
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Parallel mit dieser geheim-politischen Organisation geht die offen-berufsgeuossen-
schciftlichc in sogenannten Zentralverbänden und -Kassen, welche erst zu Anfang
dieses Jahrzehntes begonnen, aber schon in diesen wenigen Jahren eine solche
Bedeutung gewonnen hat, daß sie eine ganz besondre Aufmerksamkeit verdient.

Zunächst führte das natürliche Bedürfnis der Arbeiter, sich zur Förderung
der gemeinsamen Berufsinteressen zusammenzuschließen, aller Orten zur Bildung
von "Fachvereinen," welche vornehmlich eine Regelung der lokalen Arbeitsver¬
hältnisse in Bezug auf Lohnhöhe und Arbeitsdauer durch dementsprechend? Einrich¬
tungen (Normaltarife, beziehentlich Streiks, Unterstützung in Bedürftigkeitsfällen,
Rechtsschutz bei gewerblichen Streitigkeiten, Arbeitsnachweis) bezweckten. Da diese
rein materiellen Vereine sehr bald eine schnelle Ausbreitung gewannen, so konnte
es nicht fehlen, daß die Sozialdemokratie ihnen alsbald ihre Aufmerksamkeit zu¬
wandte und sie für ihre eignen Zwecke nutzbar zu macheu suchte. Natürlich
konnte dieser Partei die spießbürgerliche Begrenzung der Fachvereinsvrganisativn
nicht genügen, vielmehr mußten die darin enthaltenen Keime zu entsprechender
Entwicklung gebracht werden. Es wurde daher mit geschickter Auswahl dessen,
was dem Verständnis der Arbeiter am nächsten lag, zunächst der Nachweis zu
führen gesucht, daß bloß lokale Arbeiterorganisationen dein um sich schon
natürlichen Übergewicht des immermehr konzentrirtcn Kapitals gegenüber doppelt
ohnmächtig bleiben müßten, und daß irgendwie nennenswerte Vorteile nur dann
zu erlangen wären, wenn die Genossen jedes Gewerkes sich zu einer kompakten
Macht zusammenschlossen, die dann ihrerseits die Bedingungen vorzuschreiben und
festzuhalten in der Lage wäre. Als unter Einwirkung solcher Einflüsse die
Organisation der Fachvereine der einzelnen GeWerke zu regelrechten Streikver¬
bänden gelungen und der Klassengegensatz so zur äußeren Erscheinung gebracht
war, glaubte mau sich mehr dem geistigen Gebiet zuwenden zu sollen, um nun
auch den Klassengeist zu wecken und zu stärken. Darnach durften die Streiks
nur als Palliativmittel betrachtet werde", welche höchstens vorübergehende, aber
keine dauernde Erfolge bringen könnten; denn die Hauptfragen, welche die ganze
Arbeiterklasse betrafen, ließen sich mit dauernder Wirkung nur durch die Gesetz¬
gebung regeln, und lediglich zur Lösung der Einzelfragen innerhalb dieses
Nahmens wären die Arbeitervereine berufen und fähig. Die Arbeiter müßten
sich daher um alles, was ihre politische, wirtschaftliche und soziale Lage beträfe,
eingehend kümmern und sich bei der gesetzlichen Regelung dieser Fragen das
nötige Gehör verschaffen. An wen sie sich hierbei zu wenden hätten, konnte
natürlich ebensowenig zweifelhaft bleiben, als der Zweck, der damit verfolgt


Die moderne Arbeiterbewegung.
1381- 311 961 sozial, Stimmen abgegeben und 12(13) Abgeordnete gewählt wurden,
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1878: 437 1S8 » » » » 9

Parallel mit dieser geheim-politischen Organisation geht die offen-berufsgeuossen-
schciftlichc in sogenannten Zentralverbänden und -Kassen, welche erst zu Anfang
dieses Jahrzehntes begonnen, aber schon in diesen wenigen Jahren eine solche
Bedeutung gewonnen hat, daß sie eine ganz besondre Aufmerksamkeit verdient.

Zunächst führte das natürliche Bedürfnis der Arbeiter, sich zur Förderung
der gemeinsamen Berufsinteressen zusammenzuschließen, aller Orten zur Bildung
von „Fachvereinen," welche vornehmlich eine Regelung der lokalen Arbeitsver¬
hältnisse in Bezug auf Lohnhöhe und Arbeitsdauer durch dementsprechend? Einrich¬
tungen (Normaltarife, beziehentlich Streiks, Unterstützung in Bedürftigkeitsfällen,
Rechtsschutz bei gewerblichen Streitigkeiten, Arbeitsnachweis) bezweckten. Da diese
rein materiellen Vereine sehr bald eine schnelle Ausbreitung gewannen, so konnte
es nicht fehlen, daß die Sozialdemokratie ihnen alsbald ihre Aufmerksamkeit zu¬
wandte und sie für ihre eignen Zwecke nutzbar zu macheu suchte. Natürlich
konnte dieser Partei die spießbürgerliche Begrenzung der Fachvereinsvrganisativn
nicht genügen, vielmehr mußten die darin enthaltenen Keime zu entsprechender
Entwicklung gebracht werden. Es wurde daher mit geschickter Auswahl dessen,
was dem Verständnis der Arbeiter am nächsten lag, zunächst der Nachweis zu
führen gesucht, daß bloß lokale Arbeiterorganisationen dein um sich schon
natürlichen Übergewicht des immermehr konzentrirtcn Kapitals gegenüber doppelt
ohnmächtig bleiben müßten, und daß irgendwie nennenswerte Vorteile nur dann
zu erlangen wären, wenn die Genossen jedes Gewerkes sich zu einer kompakten
Macht zusammenschlossen, die dann ihrerseits die Bedingungen vorzuschreiben und
festzuhalten in der Lage wäre. Als unter Einwirkung solcher Einflüsse die
Organisation der Fachvereine der einzelnen GeWerke zu regelrechten Streikver¬
bänden gelungen und der Klassengegensatz so zur äußeren Erscheinung gebracht
war, glaubte mau sich mehr dem geistigen Gebiet zuwenden zu sollen, um nun
auch den Klassengeist zu wecken und zu stärken. Darnach durften die Streiks
nur als Palliativmittel betrachtet werde», welche höchstens vorübergehende, aber
keine dauernde Erfolge bringen könnten; denn die Hauptfragen, welche die ganze
Arbeiterklasse betrafen, ließen sich mit dauernder Wirkung nur durch die Gesetz¬
gebung regeln, und lediglich zur Lösung der Einzelfragen innerhalb dieses
Nahmens wären die Arbeitervereine berufen und fähig. Die Arbeiter müßten
sich daher um alles, was ihre politische, wirtschaftliche und soziale Lage beträfe,
eingehend kümmern und sich bei der gesetzlichen Regelung dieser Fragen das
nötige Gehör verschaffen. An wen sie sich hierbei zu wenden hätten, konnte
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[0075] Die moderne Arbeiterbewegung. 1381- 311 961 sozial, Stimmen abgegeben und 12(13) Abgeordnete gewählt wurden, 1884: S49 990 » » » » 24(25) während 1871: 101927 » » » » 1 » » » 1374: 361670 » » » » 9 » , 1877 : 493 447 » » » » 12 » » » ^ 1878: 437 1S8 » » » » 9 Parallel mit dieser geheim-politischen Organisation geht die offen-berufsgeuossen- schciftlichc in sogenannten Zentralverbänden und -Kassen, welche erst zu Anfang dieses Jahrzehntes begonnen, aber schon in diesen wenigen Jahren eine solche Bedeutung gewonnen hat, daß sie eine ganz besondre Aufmerksamkeit verdient. Zunächst führte das natürliche Bedürfnis der Arbeiter, sich zur Förderung der gemeinsamen Berufsinteressen zusammenzuschließen, aller Orten zur Bildung von „Fachvereinen," welche vornehmlich eine Regelung der lokalen Arbeitsver¬ hältnisse in Bezug auf Lohnhöhe und Arbeitsdauer durch dementsprechend? Einrich¬ tungen (Normaltarife, beziehentlich Streiks, Unterstützung in Bedürftigkeitsfällen, Rechtsschutz bei gewerblichen Streitigkeiten, Arbeitsnachweis) bezweckten. Da diese rein materiellen Vereine sehr bald eine schnelle Ausbreitung gewannen, so konnte es nicht fehlen, daß die Sozialdemokratie ihnen alsbald ihre Aufmerksamkeit zu¬ wandte und sie für ihre eignen Zwecke nutzbar zu macheu suchte. Natürlich konnte dieser Partei die spießbürgerliche Begrenzung der Fachvereinsvrganisativn nicht genügen, vielmehr mußten die darin enthaltenen Keime zu entsprechender Entwicklung gebracht werden. Es wurde daher mit geschickter Auswahl dessen, was dem Verständnis der Arbeiter am nächsten lag, zunächst der Nachweis zu führen gesucht, daß bloß lokale Arbeiterorganisationen dein um sich schon natürlichen Übergewicht des immermehr konzentrirtcn Kapitals gegenüber doppelt ohnmächtig bleiben müßten, und daß irgendwie nennenswerte Vorteile nur dann zu erlangen wären, wenn die Genossen jedes Gewerkes sich zu einer kompakten Macht zusammenschlossen, die dann ihrerseits die Bedingungen vorzuschreiben und festzuhalten in der Lage wäre. Als unter Einwirkung solcher Einflüsse die Organisation der Fachvereine der einzelnen GeWerke zu regelrechten Streikver¬ bänden gelungen und der Klassengegensatz so zur äußeren Erscheinung gebracht war, glaubte mau sich mehr dem geistigen Gebiet zuwenden zu sollen, um nun auch den Klassengeist zu wecken und zu stärken. Darnach durften die Streiks nur als Palliativmittel betrachtet werde», welche höchstens vorübergehende, aber keine dauernde Erfolge bringen könnten; denn die Hauptfragen, welche die ganze Arbeiterklasse betrafen, ließen sich mit dauernder Wirkung nur durch die Gesetz¬ gebung regeln, und lediglich zur Lösung der Einzelfragen innerhalb dieses Nahmens wären die Arbeitervereine berufen und fähig. Die Arbeiter müßten sich daher um alles, was ihre politische, wirtschaftliche und soziale Lage beträfe, eingehend kümmern und sich bei der gesetzlichen Regelung dieser Fragen das nötige Gehör verschaffen. An wen sie sich hierbei zu wenden hätten, konnte natürlich ebensowenig zweifelhaft bleiben, als der Zweck, der damit verfolgt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/75>, abgerufen am 27.09.2024.