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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Geschichte der Gotichardbahu,

die Geschäfte leitete. Am 1. Januar 1882 ward ein provisorischer Betrieb
zwischen Göschencn und Airolo eingerichtet. Erst um die Mitte Mai gelangten
aber die Arbeiten der gesamten Bahn zum Abschluss Am 22. bis 25. Mai
wurde die Vollendung des Werkes unter Teilnahme der Vertreter dreier Nationen
in Luzern und Mailand mit einer großen Festfeier begangen. Am 1. Juni
ward der durchgehende Betrieb eröffnet.

Der Bau der Gotthardbahn hat noch unerfreuliche Nachspiele gehabt. Aus
dem Bau des Gotthardtunnels ist nachträglich ein großer Prozeß zwischen der
Unternehmung und der Gottharddirektion erwachsen. Die Unternehmung machte
Entschädigungsansprüche im Betrage von 14704 399 Franken geltend. Die
Gottharddirektion erhob Gegenforderungen auf 8 829 280 Franken. Einige
Posten wurden verglichen. Es blieben aber noch Posten im ungefähren Be¬
trage von siebzehn Millionen streitig. Diese wurden (nachdem auch deutsche
Rechtsgelehrte ihr Gutachten in der Sache abgegeben) durch schiedsrichterliche!,
Spruch vom 11. April 1885 erledigt. Der Unternehmung ward für die zweite
Rekonstruktion der schlimmen Stelle bei Meter 2800 eine weitere Bezahlung
von 1021857 Franken und außerdem eine allgemeine Entschädigung von
757 500 Franken zuerkannt. Alle übrigen Ansprüche -- mich der Anspruch
der Gotthardbahn auf Konventionalstrafe wegen verspäteter Vollendung des
Tunnels -- wurden abgewiesen. Ein zweiter Prozeß, worin die Unternehmer
des Bahnbaues Flueleu-Göschenen eine große Anzahl von Entschädigungs¬
ansprüchen geltend machen, ist zur Zeit noch anhängig. In diesem handelt es
sich aber nnr um 2 510 670 Franken.

Die Kosten des gesamten Bahnbaues betrugen Ende des Jahres 1883
nahe an 216^/z Millionen. Der noch verfügbare Reftbestand an Baukapital
von etwa elf Millionen sollte zur Erhöhung der Sicherheit und Leistungs¬
fähigkeit der Bahn verwendet werden. Die Kosten des großen Tunnels be¬
rechnen sich rund zu sechzig Millionen. Es ist allseitig anerkannt, daß der
Unternehmer und seine Hiutermünner bei diesem Geschüft schwere Einbuße er¬
litte" haben. In dem vorgedachten Prozesse gab die Unternehmung ihren Verlust
zu acht Millionen Franken an. Die Direktion der Gotthnrdgesellschaft hat jedoch
mit Zustimmung des Verwaltungsrntes beschlösse", der einzigen Tochter
Louis Favres, Frau Hava, welche in kinderloser Ehe zu Paris lebt, zur
Abwendung jeder Not eine jährliche Rente von 10 000 Franken zu zahlen.
Möchte man doch much nicht säumen, das Andenken jenes Mannes durch ein
entsprechendes Denkmal zu ehren. Das große Werk, das von der Schaffenskraft
der Schweiz ein so rühmliches Zeugnis giebt, würde damit zu einem auch mensch¬
lich befriedigenden Abschluß gelangen.

Vielleicht wird mancher Naturfreund, der seinerzeit den Gotthard über¬
schritten hat, besorgt die Frage aufwerfen: Was wird denn aus der alten
Gotthardstraße werden? Der prachtvolle Weg von Göschenen durch die


Die Geschichte der Gotichardbahu,

die Geschäfte leitete. Am 1. Januar 1882 ward ein provisorischer Betrieb
zwischen Göschencn und Airolo eingerichtet. Erst um die Mitte Mai gelangten
aber die Arbeiten der gesamten Bahn zum Abschluss Am 22. bis 25. Mai
wurde die Vollendung des Werkes unter Teilnahme der Vertreter dreier Nationen
in Luzern und Mailand mit einer großen Festfeier begangen. Am 1. Juni
ward der durchgehende Betrieb eröffnet.

Der Bau der Gotthardbahn hat noch unerfreuliche Nachspiele gehabt. Aus
dem Bau des Gotthardtunnels ist nachträglich ein großer Prozeß zwischen der
Unternehmung und der Gottharddirektion erwachsen. Die Unternehmung machte
Entschädigungsansprüche im Betrage von 14704 399 Franken geltend. Die
Gottharddirektion erhob Gegenforderungen auf 8 829 280 Franken. Einige
Posten wurden verglichen. Es blieben aber noch Posten im ungefähren Be¬
trage von siebzehn Millionen streitig. Diese wurden (nachdem auch deutsche
Rechtsgelehrte ihr Gutachten in der Sache abgegeben) durch schiedsrichterliche!,
Spruch vom 11. April 1885 erledigt. Der Unternehmung ward für die zweite
Rekonstruktion der schlimmen Stelle bei Meter 2800 eine weitere Bezahlung
von 1021857 Franken und außerdem eine allgemeine Entschädigung von
757 500 Franken zuerkannt. Alle übrigen Ansprüche — mich der Anspruch
der Gotthardbahn auf Konventionalstrafe wegen verspäteter Vollendung des
Tunnels — wurden abgewiesen. Ein zweiter Prozeß, worin die Unternehmer
des Bahnbaues Flueleu-Göschenen eine große Anzahl von Entschädigungs¬
ansprüchen geltend machen, ist zur Zeit noch anhängig. In diesem handelt es
sich aber nnr um 2 510 670 Franken.

Die Kosten des gesamten Bahnbaues betrugen Ende des Jahres 1883
nahe an 216^/z Millionen. Der noch verfügbare Reftbestand an Baukapital
von etwa elf Millionen sollte zur Erhöhung der Sicherheit und Leistungs¬
fähigkeit der Bahn verwendet werden. Die Kosten des großen Tunnels be¬
rechnen sich rund zu sechzig Millionen. Es ist allseitig anerkannt, daß der
Unternehmer und seine Hiutermünner bei diesem Geschüft schwere Einbuße er¬
litte» haben. In dem vorgedachten Prozesse gab die Unternehmung ihren Verlust
zu acht Millionen Franken an. Die Direktion der Gotthnrdgesellschaft hat jedoch
mit Zustimmung des Verwaltungsrntes beschlösse», der einzigen Tochter
Louis Favres, Frau Hava, welche in kinderloser Ehe zu Paris lebt, zur
Abwendung jeder Not eine jährliche Rente von 10 000 Franken zu zahlen.
Möchte man doch much nicht säumen, das Andenken jenes Mannes durch ein
entsprechendes Denkmal zu ehren. Das große Werk, das von der Schaffenskraft
der Schweiz ein so rühmliches Zeugnis giebt, würde damit zu einem auch mensch¬
lich befriedigenden Abschluß gelangen.

Vielleicht wird mancher Naturfreund, der seinerzeit den Gotthard über¬
schritten hat, besorgt die Frage aufwerfen: Was wird denn aus der alten
Gotthardstraße werden? Der prachtvolle Weg von Göschenen durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/646>, abgerufen am 27.09.2024.