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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Geschichte der GoUhardbahn.

ganze Länge des Tunnels betrug 14910 Meter, Sie erwies sich um 7,6 Meter
kürzer, als man berechnet hatte.

Die Nachricht von dein Gelingen des großen Werkes durchzuckte die
Schweiz, Deutschland und Italien mit einen: lebhaften Gefühl der Freude.
Vom deutschen Kaiser und vom Könige von Italien, vom Fürsten Bismarck
und vom italienischen Ministerpräsidenten liefen Glückwunschtelegramme ein.
Festlied wurde der Tag in Göschenen und in Airolo begangen. 3000 silberne
und 700 bronzene Medaillen wurden an die Arbeiter verteilt. Bereits am
^, März 1880 führte ein ununterbrochener Schienenstrang von Göscheneu nach
Airolo.

Der Hauptschöpfer des Werkes, der Unternehmer Louis Favre, sollte diesen
Freudentag nicht erlebe". Am 19, Juli 1879 hatte er mit Fremden, denen er
den Tunnel zeigen wollte, diesen betreten. Da fühlte er sich plötzlich unwohl,
saß nieder und verschied auf der Stelle, Schmerzlich wurde sein Tod in der
ganzen Schweiz empfunden. Sein mit Alpenrosen reich geschmückter Sarg wurde
nach Genf übergeführt. Die Verhältnisse zwischen dem Unternehmer und der
Gottharddircktivn hatten sich nicht immer glatt abgespielt. Die Ausführung
des Baues hatte unzählige uicht vvrhergesehene Zwischenfälle gebracht. Die
dadurch veranlaßten Schwierigkeiten wurden vielfach ausgeglichen und durch zahl¬
reiche Nachtragsverträge erledigt. Mehrfach aber kam es auch zu Streitigkeiten,
welche die Anrufung des Richters herbeiführten. Favre warf der Bauleitung
der Gesellschaft unnötige Plackereien vor. Die Gesellschaft machte dem Unter¬
nehmer vorzugsweise den Rückstand der Arbeiten zum Vorwurf. Es ist hier
nicht der Ort, um die Frage der diesen Vorwürfen zu Grunde liegenden Ver¬
schuldung zu erörtern. Unzweifelhaft hatte Favre eine Aufgabe übernommen,
die sehr schwer zu lösen war, und deren Schwierigkeit dnrch vieles Unvorher¬
gesehene noch unendlich wuchs. Rechnet man hinzu, daß mit dem Fortgange
des Baues für thu immer mehr die Erkenntnis reifte, daß er in seiner Be¬
rechnung sich getäuscht, und daß er für alle seine Mühen, statt des gehofften
Gewinnes, nur schwere Vermögcuseiubuße zu gewärtigen habe, so kann mau
sich eines schmerzlichen Mitgefühls für diese" Mann nicht erwehren, dessen
mutiger und feuriger Geist und rastlose Thätigkeit selbst von solche", die sei"
Verhalten nicht tadellos fanden, rühmend anerkannt wird. Jedenfalls wird
sein Name mit dem vo" ihm geschaffenen große" Werke unauflöslich ver¬
knüpft sein.

War auch der Durchschlag des Firststvllens schon im Frühjahr 1880 be¬
wirkt, so war doch bei dem Rückstände der übrigen Arbeiten nicht daran zu
denken, daß bis zum 1. Oktober 1880, mit welchem Tage die achtjährige Ban¬
frist ablief, der Tunnel vollendet sein könne. Die Arbeiten zogen sich noch
dnrch das ganze Jahr 1881 hin. An die Stelle des verstorbenen Unter¬
nehmers waren die Rechtsnachfolger getreten, in deren Namen Direktor Bossi


Die Geschichte der GoUhardbahn.

ganze Länge des Tunnels betrug 14910 Meter, Sie erwies sich um 7,6 Meter
kürzer, als man berechnet hatte.

Die Nachricht von dein Gelingen des großen Werkes durchzuckte die
Schweiz, Deutschland und Italien mit einen: lebhaften Gefühl der Freude.
Vom deutschen Kaiser und vom Könige von Italien, vom Fürsten Bismarck
und vom italienischen Ministerpräsidenten liefen Glückwunschtelegramme ein.
Festlied wurde der Tag in Göschenen und in Airolo begangen. 3000 silberne
und 700 bronzene Medaillen wurden an die Arbeiter verteilt. Bereits am
^, März 1880 führte ein ununterbrochener Schienenstrang von Göscheneu nach
Airolo.

Der Hauptschöpfer des Werkes, der Unternehmer Louis Favre, sollte diesen
Freudentag nicht erlebe». Am 19, Juli 1879 hatte er mit Fremden, denen er
den Tunnel zeigen wollte, diesen betreten. Da fühlte er sich plötzlich unwohl,
saß nieder und verschied auf der Stelle, Schmerzlich wurde sein Tod in der
ganzen Schweiz empfunden. Sein mit Alpenrosen reich geschmückter Sarg wurde
nach Genf übergeführt. Die Verhältnisse zwischen dem Unternehmer und der
Gottharddircktivn hatten sich nicht immer glatt abgespielt. Die Ausführung
des Baues hatte unzählige uicht vvrhergesehene Zwischenfälle gebracht. Die
dadurch veranlaßten Schwierigkeiten wurden vielfach ausgeglichen und durch zahl¬
reiche Nachtragsverträge erledigt. Mehrfach aber kam es auch zu Streitigkeiten,
welche die Anrufung des Richters herbeiführten. Favre warf der Bauleitung
der Gesellschaft unnötige Plackereien vor. Die Gesellschaft machte dem Unter¬
nehmer vorzugsweise den Rückstand der Arbeiten zum Vorwurf. Es ist hier
nicht der Ort, um die Frage der diesen Vorwürfen zu Grunde liegenden Ver¬
schuldung zu erörtern. Unzweifelhaft hatte Favre eine Aufgabe übernommen,
die sehr schwer zu lösen war, und deren Schwierigkeit dnrch vieles Unvorher¬
gesehene noch unendlich wuchs. Rechnet man hinzu, daß mit dem Fortgange
des Baues für thu immer mehr die Erkenntnis reifte, daß er in seiner Be¬
rechnung sich getäuscht, und daß er für alle seine Mühen, statt des gehofften
Gewinnes, nur schwere Vermögcuseiubuße zu gewärtigen habe, so kann mau
sich eines schmerzlichen Mitgefühls für diese» Mann nicht erwehren, dessen
mutiger und feuriger Geist und rastlose Thätigkeit selbst von solche», die sei»
Verhalten nicht tadellos fanden, rühmend anerkannt wird. Jedenfalls wird
sein Name mit dem vo» ihm geschaffenen große» Werke unauflöslich ver¬
knüpft sein.

War auch der Durchschlag des Firststvllens schon im Frühjahr 1880 be¬
wirkt, so war doch bei dem Rückstände der übrigen Arbeiten nicht daran zu
denken, daß bis zum 1. Oktober 1880, mit welchem Tage die achtjährige Ban¬
frist ablief, der Tunnel vollendet sein könne. Die Arbeiten zogen sich noch
dnrch das ganze Jahr 1881 hin. An die Stelle des verstorbenen Unter¬
nehmers waren die Rechtsnachfolger getreten, in deren Namen Direktor Bossi


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/645>, abgerufen am 20.10.2024.