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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Nochmals von unsern Gymnasien,

seine eignen Liebhabereien und auch seine eignen Licblingsciutoren; diese werden
bald durch Tradition bei deu Studenten bekannt, welche sich dann gegen die
Zeit der Prüfung hin ganz besonders auf dieselben "einfuchsen." Wärter
Examinand früher seiner Sache ziemlich sicher, wenn er die "berechtigten Eigen¬
tümlichkeiten" eines Professors zu befriedigen wußte, so muß er jetzt diejenigen
zweier oder dreier studiren und sich für dieselben satteln -- eine bedeutende
Steigerung seiner Exnmennöte.

Der Fehler liegt also keineswegs darin, daß sich "das Gesichtsfeld der
für das Examen arbeitenden Masse" verengert hat. Es hat sich im Gegenteil
im Laufe der letzten Jahrzehnte notgedrungen erweitert.

Dennoch sind unsre philologischen Staatsprüfungen, so wie sie jetzt sind,
nicht geeignet, den Unterricht der durch sie hiudurchgcpreßteu Lehrer zu einem
anregenden und geistig wirtlich fordernden zu macheu. Das liegt aber nicht an
dem Wieviel, sondern an dem Was desjenigen, was verlangt wird.

Verhältnismäßig nur wenige unsrer Professoren der Philologie sind je an
einem Gymnasium als Lehrer thätig gewesen, und auch diese wenigen meistens
nur in jungen Jahren und mit der Aussicht und dem Wunsche, möglichst bald
die Ghnmasiallaufbahn mit der höhern Universitätskarriere zu vertauschen.
Weitaus die meisten sind als Privatdozenten auf die solls. ourulis berufen
worden. Sie wissen also von dem Gymnasium und seinen Bedürfnissen nur
das wenige, was ihnen aus der Zeit noch erinnerlich ist, wo sie selbst Schüler
waren, und das ist oft recht lange her. Im übrigen haben sie über ihren
wissenschaftlichen Arbeiten, Vorlesungen und amtlichen Geschäften nie die Zeit
gewonnen, ein pädagogisch-didaktisches Buch zu lesen; über die pädagogischen
Abhandlungen in Zeitschriften sehen sie mit einer gewissen Verachtung hinweg,
da sie einer niedern Sphäre entstammen, und um den ganzen Streit über den
Wert und die Behandlung der klassischen Studien im höhern Schulunterricht
bekümmern sie sich herzlich wenig. Kein Wunder, daß ihnen entgeht, wie
heutzutage eine lebensvolle, vornehmlich auf deu Inhalt und die ästhetische
Kunstform gerichtete Betrachtung der antiken Schriftwerke eine ganz andre
Notwendigkeit geworden ist, als in der guten alten Zeit, wo das Dogma vom
unvergleichlichen Werte der klassischen Studien noch unerschüttert in dem Be¬
wußtsein aller Gebildeten feststand. Die Fähigkeit, griechische und lateinische
Autoren in dieser Weise vor Knaben und Jünglingen zu interpretiren, ist nun
aber durchaus nicht leicht zu gewinnen, und -- leider muß man es sagen --
unsre Universitätsvorlesungen leiten mir selten dazu an, unsre Staatsprüfungen
aber legen gar keinen Wert darauf.

Was im philologischen Staatsexamen von hente gefordert wird, ist, soweit
es die Schriftsteller betrifft, vor allem das philologische Beiwerk, der sogenannte
"Apparat," d. h. Kenntnis der .Handschriften von Ausgaben, des Standes der
Kritik, besonders auch der sogenannten Schollen, d. h. der aus dem Altertume


Grenzboten IV, 1386. 74
Nochmals von unsern Gymnasien,

seine eignen Liebhabereien und auch seine eignen Licblingsciutoren; diese werden
bald durch Tradition bei deu Studenten bekannt, welche sich dann gegen die
Zeit der Prüfung hin ganz besonders auf dieselben „einfuchsen." Wärter
Examinand früher seiner Sache ziemlich sicher, wenn er die „berechtigten Eigen¬
tümlichkeiten" eines Professors zu befriedigen wußte, so muß er jetzt diejenigen
zweier oder dreier studiren und sich für dieselben satteln — eine bedeutende
Steigerung seiner Exnmennöte.

Der Fehler liegt also keineswegs darin, daß sich „das Gesichtsfeld der
für das Examen arbeitenden Masse" verengert hat. Es hat sich im Gegenteil
im Laufe der letzten Jahrzehnte notgedrungen erweitert.

Dennoch sind unsre philologischen Staatsprüfungen, so wie sie jetzt sind,
nicht geeignet, den Unterricht der durch sie hiudurchgcpreßteu Lehrer zu einem
anregenden und geistig wirtlich fordernden zu macheu. Das liegt aber nicht an
dem Wieviel, sondern an dem Was desjenigen, was verlangt wird.

Verhältnismäßig nur wenige unsrer Professoren der Philologie sind je an
einem Gymnasium als Lehrer thätig gewesen, und auch diese wenigen meistens
nur in jungen Jahren und mit der Aussicht und dem Wunsche, möglichst bald
die Ghnmasiallaufbahn mit der höhern Universitätskarriere zu vertauschen.
Weitaus die meisten sind als Privatdozenten auf die solls. ourulis berufen
worden. Sie wissen also von dem Gymnasium und seinen Bedürfnissen nur
das wenige, was ihnen aus der Zeit noch erinnerlich ist, wo sie selbst Schüler
waren, und das ist oft recht lange her. Im übrigen haben sie über ihren
wissenschaftlichen Arbeiten, Vorlesungen und amtlichen Geschäften nie die Zeit
gewonnen, ein pädagogisch-didaktisches Buch zu lesen; über die pädagogischen
Abhandlungen in Zeitschriften sehen sie mit einer gewissen Verachtung hinweg,
da sie einer niedern Sphäre entstammen, und um den ganzen Streit über den
Wert und die Behandlung der klassischen Studien im höhern Schulunterricht
bekümmern sie sich herzlich wenig. Kein Wunder, daß ihnen entgeht, wie
heutzutage eine lebensvolle, vornehmlich auf deu Inhalt und die ästhetische
Kunstform gerichtete Betrachtung der antiken Schriftwerke eine ganz andre
Notwendigkeit geworden ist, als in der guten alten Zeit, wo das Dogma vom
unvergleichlichen Werte der klassischen Studien noch unerschüttert in dem Be¬
wußtsein aller Gebildeten feststand. Die Fähigkeit, griechische und lateinische
Autoren in dieser Weise vor Knaben und Jünglingen zu interpretiren, ist nun
aber durchaus nicht leicht zu gewinnen, und — leider muß man es sagen —
unsre Universitätsvorlesungen leiten mir selten dazu an, unsre Staatsprüfungen
aber legen gar keinen Wert darauf.

Was im philologischen Staatsexamen von hente gefordert wird, ist, soweit
es die Schriftsteller betrifft, vor allem das philologische Beiwerk, der sogenannte
„Apparat," d. h. Kenntnis der .Handschriften von Ausgaben, des Standes der
Kritik, besonders auch der sogenannten Schollen, d. h. der aus dem Altertume


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[0593] Nochmals von unsern Gymnasien, seine eignen Liebhabereien und auch seine eignen Licblingsciutoren; diese werden bald durch Tradition bei deu Studenten bekannt, welche sich dann gegen die Zeit der Prüfung hin ganz besonders auf dieselben „einfuchsen." Wärter Examinand früher seiner Sache ziemlich sicher, wenn er die „berechtigten Eigen¬ tümlichkeiten" eines Professors zu befriedigen wußte, so muß er jetzt diejenigen zweier oder dreier studiren und sich für dieselben satteln — eine bedeutende Steigerung seiner Exnmennöte. Der Fehler liegt also keineswegs darin, daß sich „das Gesichtsfeld der für das Examen arbeitenden Masse" verengert hat. Es hat sich im Gegenteil im Laufe der letzten Jahrzehnte notgedrungen erweitert. Dennoch sind unsre philologischen Staatsprüfungen, so wie sie jetzt sind, nicht geeignet, den Unterricht der durch sie hiudurchgcpreßteu Lehrer zu einem anregenden und geistig wirtlich fordernden zu macheu. Das liegt aber nicht an dem Wieviel, sondern an dem Was desjenigen, was verlangt wird. Verhältnismäßig nur wenige unsrer Professoren der Philologie sind je an einem Gymnasium als Lehrer thätig gewesen, und auch diese wenigen meistens nur in jungen Jahren und mit der Aussicht und dem Wunsche, möglichst bald die Ghnmasiallaufbahn mit der höhern Universitätskarriere zu vertauschen. Weitaus die meisten sind als Privatdozenten auf die solls. ourulis berufen worden. Sie wissen also von dem Gymnasium und seinen Bedürfnissen nur das wenige, was ihnen aus der Zeit noch erinnerlich ist, wo sie selbst Schüler waren, und das ist oft recht lange her. Im übrigen haben sie über ihren wissenschaftlichen Arbeiten, Vorlesungen und amtlichen Geschäften nie die Zeit gewonnen, ein pädagogisch-didaktisches Buch zu lesen; über die pädagogischen Abhandlungen in Zeitschriften sehen sie mit einer gewissen Verachtung hinweg, da sie einer niedern Sphäre entstammen, und um den ganzen Streit über den Wert und die Behandlung der klassischen Studien im höhern Schulunterricht bekümmern sie sich herzlich wenig. Kein Wunder, daß ihnen entgeht, wie heutzutage eine lebensvolle, vornehmlich auf deu Inhalt und die ästhetische Kunstform gerichtete Betrachtung der antiken Schriftwerke eine ganz andre Notwendigkeit geworden ist, als in der guten alten Zeit, wo das Dogma vom unvergleichlichen Werte der klassischen Studien noch unerschüttert in dem Be¬ wußtsein aller Gebildeten feststand. Die Fähigkeit, griechische und lateinische Autoren in dieser Weise vor Knaben und Jünglingen zu interpretiren, ist nun aber durchaus nicht leicht zu gewinnen, und — leider muß man es sagen — unsre Universitätsvorlesungen leiten mir selten dazu an, unsre Staatsprüfungen aber legen gar keinen Wert darauf. Was im philologischen Staatsexamen von hente gefordert wird, ist, soweit es die Schriftsteller betrifft, vor allem das philologische Beiwerk, der sogenannte „Apparat," d. h. Kenntnis der .Handschriften von Ausgaben, des Standes der Kritik, besonders auch der sogenannten Schollen, d. h. der aus dem Altertume Grenzboten IV, 1386. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/593>, abgerufen am 19.10.2024.