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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Geschichte der Gotthardbahn.

475 auf 1109 Meter Höhe, und von Binsca bis Airolo, in einer Länge von
45,6 Kilometern, von 296 auf 1145 Meter Höhe sich erheben mußte. Es handelte
sich nicht allein darum, diese Steigung zu gewinnen, sondern auch durch die
vielfach zerklüfteten Thäler der Reuß und des Tessin, durch Gebirge und Felsen
eine fahrbare Bahn zu legen und zugleich diese Bahn gegen die gewaltigen in
den Alpen arbeitenden Naturkräfte -- Staub- und Grundlawinen, Felsenabftnrze,
Wildbäche mit ihren Schneemassen -- zu sichern. Da beide Thäler auf der Nord-
uud Südseite keine entwickelten Seitenthäler haben, so konnte man das anderwärts
(z. B. bei der Brennerbahn) befolgte System, die Steigung der Bahn durch
Hin- und Zurückfahren in solchen Seitenthälern zu gewinnen, nicht befolge".
Man war vielmehr genötigt, die Steigung durch spiralförmige Tunnel oder
durch Kehren im Hauptthale mit Kehrtunneln zu erzielen. Ans der Nordseite
bot die Ausweitung des Reußthales bei Wasen die Möglichkeit eines solchen
Tunnclshstcms. Es galt, innerhalb einer Thallänge von 6700 Meter die
Bahnspur auf 14 700 Meter zu verlängern. Zu diesem Zwecke steigt dieselbe
zunächst in einer Spirallinie von 3000 Meter Länge, wovon 1500 Meter unter¬
irdisch (durch deu Pfaffensprungtunuel) geführt sind, in die Höhe. Dann steigt
sie ein längeres Stück das Thal aufwärts, um in einem Kchrtunnel (Wctttinger
Tunnel) umzuwenden und ein kleineres Stück in höherer Lage wieder rückwärts
zu gehen. Dann aber wendet sie sich in einem zweiten Kehrtunnel (Leggistein-
Tunnel) wieder thalaufwürts und ist nun imstande, ohne weitere Ausbiegung
Göschenen zu erreichen. So baut sich bei Wasen eine Strecke lang die Bahn
in dreifacher Höhenlage über einander auf. Auch auf der Südseite hat man,
um die steil abfallenden Thalstufen zu gewinnen, zwei Spiraltunnel oberhalb
Giornicv und wiederum zwei Spiraltunnel bei Prato anlegen müssen. Dazu
kommt dann noch die große Zahl bald größerer, bald kleinerer Tunnel zur Durch¬
brechung der sich entgegenstellenden Gebirgsvorsprünge. Der größte derselben,
der Naxberg-Tunnel kurz vor Göschenen, erreicht eine Länge von 1563 Metern;
der Tunnel, welcher den Mont Cenere durchbricht, eine Länge von 1674 Metern.
Im ganzen haben die beiden Zufahrtslinien (einschließlich der Cancri-Linie) 56
Tunnel in einer Gesamtlänge von 24 808 Metern. Rechnet man dazu noch den
großen Tunnel, so ergiebt sich eine Gesamtlänge der Tunnel von 5,3 Meilen.
Brücken und Viadukte kamen 63 in einer Gesamtlänge von 3050 Meter zur
Ausführung. Darunter 6 Viadukte und 15 Brücken von mehr als 20 Metern
Länge. Zum Schutze gegen Schneefall und Steinschlag wurden sieben Galerien,
zusammen 545 Meter lang, erbaut.

Aber alle diese Werte, so großartig sie auch erscheine" mögen, verschwinden
doch gegen den Bau des Riesentunnels, dessen Darstellung wir nun folgen lassen.

(Schluß folgt.)




Die Geschichte der Gotthardbahn.

475 auf 1109 Meter Höhe, und von Binsca bis Airolo, in einer Länge von
45,6 Kilometern, von 296 auf 1145 Meter Höhe sich erheben mußte. Es handelte
sich nicht allein darum, diese Steigung zu gewinnen, sondern auch durch die
vielfach zerklüfteten Thäler der Reuß und des Tessin, durch Gebirge und Felsen
eine fahrbare Bahn zu legen und zugleich diese Bahn gegen die gewaltigen in
den Alpen arbeitenden Naturkräfte — Staub- und Grundlawinen, Felsenabftnrze,
Wildbäche mit ihren Schneemassen — zu sichern. Da beide Thäler auf der Nord-
uud Südseite keine entwickelten Seitenthäler haben, so konnte man das anderwärts
(z. B. bei der Brennerbahn) befolgte System, die Steigung der Bahn durch
Hin- und Zurückfahren in solchen Seitenthälern zu gewinnen, nicht befolge».
Man war vielmehr genötigt, die Steigung durch spiralförmige Tunnel oder
durch Kehren im Hauptthale mit Kehrtunneln zu erzielen. Ans der Nordseite
bot die Ausweitung des Reußthales bei Wasen die Möglichkeit eines solchen
Tunnclshstcms. Es galt, innerhalb einer Thallänge von 6700 Meter die
Bahnspur auf 14 700 Meter zu verlängern. Zu diesem Zwecke steigt dieselbe
zunächst in einer Spirallinie von 3000 Meter Länge, wovon 1500 Meter unter¬
irdisch (durch deu Pfaffensprungtunuel) geführt sind, in die Höhe. Dann steigt
sie ein längeres Stück das Thal aufwärts, um in einem Kchrtunnel (Wctttinger
Tunnel) umzuwenden und ein kleineres Stück in höherer Lage wieder rückwärts
zu gehen. Dann aber wendet sie sich in einem zweiten Kehrtunnel (Leggistein-
Tunnel) wieder thalaufwürts und ist nun imstande, ohne weitere Ausbiegung
Göschenen zu erreichen. So baut sich bei Wasen eine Strecke lang die Bahn
in dreifacher Höhenlage über einander auf. Auch auf der Südseite hat man,
um die steil abfallenden Thalstufen zu gewinnen, zwei Spiraltunnel oberhalb
Giornicv und wiederum zwei Spiraltunnel bei Prato anlegen müssen. Dazu
kommt dann noch die große Zahl bald größerer, bald kleinerer Tunnel zur Durch¬
brechung der sich entgegenstellenden Gebirgsvorsprünge. Der größte derselben,
der Naxberg-Tunnel kurz vor Göschenen, erreicht eine Länge von 1563 Metern;
der Tunnel, welcher den Mont Cenere durchbricht, eine Länge von 1674 Metern.
Im ganzen haben die beiden Zufahrtslinien (einschließlich der Cancri-Linie) 56
Tunnel in einer Gesamtlänge von 24 808 Metern. Rechnet man dazu noch den
großen Tunnel, so ergiebt sich eine Gesamtlänge der Tunnel von 5,3 Meilen.
Brücken und Viadukte kamen 63 in einer Gesamtlänge von 3050 Meter zur
Ausführung. Darunter 6 Viadukte und 15 Brücken von mehr als 20 Metern
Länge. Zum Schutze gegen Schneefall und Steinschlag wurden sieben Galerien,
zusammen 545 Meter lang, erbaut.

Aber alle diese Werte, so großartig sie auch erscheine» mögen, verschwinden
doch gegen den Bau des Riesentunnels, dessen Darstellung wir nun folgen lassen.

(Schluß folgt.)




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[0580] Die Geschichte der Gotthardbahn. 475 auf 1109 Meter Höhe, und von Binsca bis Airolo, in einer Länge von 45,6 Kilometern, von 296 auf 1145 Meter Höhe sich erheben mußte. Es handelte sich nicht allein darum, diese Steigung zu gewinnen, sondern auch durch die vielfach zerklüfteten Thäler der Reuß und des Tessin, durch Gebirge und Felsen eine fahrbare Bahn zu legen und zugleich diese Bahn gegen die gewaltigen in den Alpen arbeitenden Naturkräfte — Staub- und Grundlawinen, Felsenabftnrze, Wildbäche mit ihren Schneemassen — zu sichern. Da beide Thäler auf der Nord- uud Südseite keine entwickelten Seitenthäler haben, so konnte man das anderwärts (z. B. bei der Brennerbahn) befolgte System, die Steigung der Bahn durch Hin- und Zurückfahren in solchen Seitenthälern zu gewinnen, nicht befolge». Man war vielmehr genötigt, die Steigung durch spiralförmige Tunnel oder durch Kehren im Hauptthale mit Kehrtunneln zu erzielen. Ans der Nordseite bot die Ausweitung des Reußthales bei Wasen die Möglichkeit eines solchen Tunnclshstcms. Es galt, innerhalb einer Thallänge von 6700 Meter die Bahnspur auf 14 700 Meter zu verlängern. Zu diesem Zwecke steigt dieselbe zunächst in einer Spirallinie von 3000 Meter Länge, wovon 1500 Meter unter¬ irdisch (durch deu Pfaffensprungtunuel) geführt sind, in die Höhe. Dann steigt sie ein längeres Stück das Thal aufwärts, um in einem Kchrtunnel (Wctttinger Tunnel) umzuwenden und ein kleineres Stück in höherer Lage wieder rückwärts zu gehen. Dann aber wendet sie sich in einem zweiten Kehrtunnel (Leggistein- Tunnel) wieder thalaufwürts und ist nun imstande, ohne weitere Ausbiegung Göschenen zu erreichen. So baut sich bei Wasen eine Strecke lang die Bahn in dreifacher Höhenlage über einander auf. Auch auf der Südseite hat man, um die steil abfallenden Thalstufen zu gewinnen, zwei Spiraltunnel oberhalb Giornicv und wiederum zwei Spiraltunnel bei Prato anlegen müssen. Dazu kommt dann noch die große Zahl bald größerer, bald kleinerer Tunnel zur Durch¬ brechung der sich entgegenstellenden Gebirgsvorsprünge. Der größte derselben, der Naxberg-Tunnel kurz vor Göschenen, erreicht eine Länge von 1563 Metern; der Tunnel, welcher den Mont Cenere durchbricht, eine Länge von 1674 Metern. Im ganzen haben die beiden Zufahrtslinien (einschließlich der Cancri-Linie) 56 Tunnel in einer Gesamtlänge von 24 808 Metern. Rechnet man dazu noch den großen Tunnel, so ergiebt sich eine Gesamtlänge der Tunnel von 5,3 Meilen. Brücken und Viadukte kamen 63 in einer Gesamtlänge von 3050 Meter zur Ausführung. Darunter 6 Viadukte und 15 Brücken von mehr als 20 Metern Länge. Zum Schutze gegen Schneefall und Steinschlag wurden sieben Galerien, zusammen 545 Meter lang, erbaut. Aber alle diese Werte, so großartig sie auch erscheine» mögen, verschwinden doch gegen den Bau des Riesentunnels, dessen Darstellung wir nun folgen lassen. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/580>, abgerufen am 27.09.2024.