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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Kantonverfassung der Schweiz einen reichen Nährboden fanden- Als der Luk-
manier keine Aussicht mehr hatte, trat in der Ostschweiz auch der Plan einer
Splügenbahn ans. Von Bern aus ward dem Gotthardprojekt das Projekt
einer Grimselbahn gegenübergestellt, welche eine zweifache Durchbohrung der
Alpen erfordert hätte. Aber die Thatsachen erwiesen sich stärker als die
Meuschen, und je hoher die Wogen des Streites gingen, umsomehr lauterem
sich die Ansichten. Mußte man sich doch sagen, daß mit der Gotthardbcchn das
Zentrum der Schweiz die Hauptverkehrsader des europäischen Weltverkehrs ge¬
winnen werde. Die Gotthardvereinigung ließ ein neues technisches Gutachten
bearbeiten von den Herren Berth und Gerwig. Diese entschieden sich namentlich
für die tiefere Lage des großen Tunnels von Göschencn bis Airolo, wenn auch
dadurch die Bauzeit um drei bis vier Jahre sich verlängere. Die Gesamtkosten
der Bahn veranschlagten sie zu 110 Millionen Franken.

Einen bedeutenden Fortschritt machte das Projekt, als der italienische
Minister Jaeini im Jahre 1865 eine Kommission beauftragte, die schweizerische
Alpenbahnfrage zu begutachten. Der sehr umfassende und gründliche Bericht
sprach sich entschieden für den Gotthard aus. Erst in zweiter Linie komme der
Splügen, in dritter der Lukmanier in Betracht. Bereits im Februar 1866
legte der italienische Minister dem Parlamente einen Gesetzentwurf vor, wonach
Italien für die Gotthardbahn eine Unterstützung von zehn Millionen Franken
leisten wollte. Gleich darauf brach der deutsche Krieg aus, und in den nächsten
Jahren kam die Sache nicht vorwärts, da man in der Schweiz zu keinem
Entschlüsse kommen konnte. Endlich im Jahre 1869 einigten sich Italien, der
norddeutsche Bund und Baden zu einer Erklärung (der auch bald darauf
Würtemberg sich anschloß) zu Gunsten der Gotthardbahn. Das gab anch für
die Schweiz den Ausschlag. Im September 1869 fand eine Konferenz von
Vertretern der gedachten Staaten zu Bern statt. Es kam am 15. Oktober zu
einem vorläufigen Vertrage über den Bau der Gotthardbahn. Die Gesamtkostcn
wurden zu 187 Millionen Franken angenommen. Davon sollten 85 Millionen
durch Subventionen, und zwar 45 Millionen von Italien, 20 Millionen von
der Schweiz und 20 Millionen von Deutschland gedeckt werden. Das übrige
sollte eine zu bildende Gesellschaft aufbringen. Nun aber handelte es sich darum,
wer eigentlich innerhalb der gedachten Länder die ihnen zugewiesenen Summen
zahlen solle. Diese Frage bot namentlich in der Schweiz bei den vielfach sich
widerstreitenden Interessen die größte Schwierigkeit. Noch immer suchte der
Splügenprvjekt und auch das Simplonprojett Boden zu gewinnen. Der Gott¬
hardbahn stellte man unsägliche staatsrechtliche, politische und wirtschaftliche
Schwierigkeiten entgegen. Endlich, nach langen Verhandlungen, ward von den
bei der Bahn interessirten Kantonen, Städten und Eisenbahnen die Summe von
^0 Millionen zusammengebracht.

Für Deutschland und auch für Italien brachte der deutsch-französische Krieg


Kantonverfassung der Schweiz einen reichen Nährboden fanden- Als der Luk-
manier keine Aussicht mehr hatte, trat in der Ostschweiz auch der Plan einer
Splügenbahn ans. Von Bern aus ward dem Gotthardprojekt das Projekt
einer Grimselbahn gegenübergestellt, welche eine zweifache Durchbohrung der
Alpen erfordert hätte. Aber die Thatsachen erwiesen sich stärker als die
Meuschen, und je hoher die Wogen des Streites gingen, umsomehr lauterem
sich die Ansichten. Mußte man sich doch sagen, daß mit der Gotthardbcchn das
Zentrum der Schweiz die Hauptverkehrsader des europäischen Weltverkehrs ge¬
winnen werde. Die Gotthardvereinigung ließ ein neues technisches Gutachten
bearbeiten von den Herren Berth und Gerwig. Diese entschieden sich namentlich
für die tiefere Lage des großen Tunnels von Göschencn bis Airolo, wenn auch
dadurch die Bauzeit um drei bis vier Jahre sich verlängere. Die Gesamtkosten
der Bahn veranschlagten sie zu 110 Millionen Franken.

Einen bedeutenden Fortschritt machte das Projekt, als der italienische
Minister Jaeini im Jahre 1865 eine Kommission beauftragte, die schweizerische
Alpenbahnfrage zu begutachten. Der sehr umfassende und gründliche Bericht
sprach sich entschieden für den Gotthard aus. Erst in zweiter Linie komme der
Splügen, in dritter der Lukmanier in Betracht. Bereits im Februar 1866
legte der italienische Minister dem Parlamente einen Gesetzentwurf vor, wonach
Italien für die Gotthardbahn eine Unterstützung von zehn Millionen Franken
leisten wollte. Gleich darauf brach der deutsche Krieg aus, und in den nächsten
Jahren kam die Sache nicht vorwärts, da man in der Schweiz zu keinem
Entschlüsse kommen konnte. Endlich im Jahre 1869 einigten sich Italien, der
norddeutsche Bund und Baden zu einer Erklärung (der auch bald darauf
Würtemberg sich anschloß) zu Gunsten der Gotthardbahn. Das gab anch für
die Schweiz den Ausschlag. Im September 1869 fand eine Konferenz von
Vertretern der gedachten Staaten zu Bern statt. Es kam am 15. Oktober zu
einem vorläufigen Vertrage über den Bau der Gotthardbahn. Die Gesamtkostcn
wurden zu 187 Millionen Franken angenommen. Davon sollten 85 Millionen
durch Subventionen, und zwar 45 Millionen von Italien, 20 Millionen von
der Schweiz und 20 Millionen von Deutschland gedeckt werden. Das übrige
sollte eine zu bildende Gesellschaft aufbringen. Nun aber handelte es sich darum,
wer eigentlich innerhalb der gedachten Länder die ihnen zugewiesenen Summen
zahlen solle. Diese Frage bot namentlich in der Schweiz bei den vielfach sich
widerstreitenden Interessen die größte Schwierigkeit. Noch immer suchte der
Splügenprvjekt und auch das Simplonprojett Boden zu gewinnen. Der Gott¬
hardbahn stellte man unsägliche staatsrechtliche, politische und wirtschaftliche
Schwierigkeiten entgegen. Endlich, nach langen Verhandlungen, ward von den
bei der Bahn interessirten Kantonen, Städten und Eisenbahnen die Summe von
^0 Millionen zusammengebracht.

Für Deutschland und auch für Italien brachte der deutsch-französische Krieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/575>, abgerufen am 27.09.2024.