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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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bis Magadino brauchte man sieben Tage. Gleichwohl passirten damals schon
jährlich gegen 16 000 Mensche" und 9000 Pferde den Gotthard.

Als um das Jahr 1820 von dem Kanton Graubünden die Straßen über
den Splügen und den Bernhardin gebaut wurden, mußten die an der Gotthard-
straße liegenden Kantone sich entschließen, auch ihrerseits über den Gotthard
eine Kunststraße zu bauen, wenn sie nicht den Verkehr verlieren wollten. Das
Geld dazu -- die ungeheure Summe von 480 000 Franken -- wurde durch
Aktien und Anleihen aufgebracht. Auch der König von Preußen schenkte dazu
dem Kanton Uri zwei Aktien. So entstand um das Jahr 1830 die sehr kunstvoll
angelegte Gotthardstmße.

Als im Jahre 1845 der Gedanke einer Überschienung der Alpen auftauchte,
war es zunächst der Lnünanierpaß, der die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, weil
er die geringsten technischen Schwierigkeiten darzubieten schien. Als Mißstand
mußte man freilich anerkennen, daß dieser Paß die Bahn zu großen Umwege"
nötige. Gleichwohl stand längere Zeit der Lukmanier als das einzig mögliche
Alpenbahnprojekt auf der Tagesordnung. Daneben tauchte dann auch das
Projekt einer Simplonbahn ans. Der Gedanke, den Gotthard zu überschienen,
fand zuerst seineu Ausdruck auf einer Konferenz von acht Schweizer Kantonen,
die am 19. August 1863 zu Luzern tagte. Im Laufe der Zeit aber trat dieser
Gedanke immer mehr in den Vordergrund. Er empfahl sich vor allem dadurch,
daß erfahrungsmäßig der Verkehr über den Gotthard den aller übrigen Alpenpässe
bei weitem überstieg. Im September 1860 trat eine Vereinigung zusammen
von zwölf Kantonen und zwei Schweizerbahnen, um das Projekt einer Gott-
hardbahn zu fördern. Es wurde ein Gvtthardkomitee gebildet, welches die
Sache in die Hand nahm. Den ersten genauern Plan arbeitete Ingenieur
Wetli aus (1862). Dieser Plan, welcher für den unentbehrlichen großen Tunnel
noch die Wahl ließ, ob er in tieferer oder in höherer Lage ausgeführt werden
solle, zeigte, daß das Projekt keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darbot.
Würde doch bereits seit 1857 an einer ähnlichen Durchbohrung des Montcenis
mit Erfolg gearbeitet. Nun trat aber auch das Projekt der Lukmanierbahn,
betrieben von den Kantonen der Ostschwciz, in starken Mitbewerb. Lange
wogte das Jnteressenspiel, das sich vorzugsweise auf dem Boden des Kanton
Tessin bewegte, hin und her. Am 7. August 1863 berief die Regierung des
Kanton Luzern eine neue Konferenz, auf welcher eine feste Vereinigung von
dreizehn Kantonen und zwei Schweizerbahnen (Zentralbahn und Nordostbahn) zur
Austrebung einer Gotthardbahn sich bildete. Sämtliche Kantone der Zentral-
und Nordwestschweiz waren dabei vertreten. Nur die Ostschweiz, welche den
Lukmanier betrieb, und die Südwestschweiz, welche den Simplon im Auge hatte,
schlössen sich aus. Es konnte aber kein Zweifel sein, daß das Interesse der
Schweiz als Gesamtheit nur in der Gotthardbahn seine Befriedigung finde-
Gleichwohl folgten noch Jahre der Interessen- und Parteieulämpfe, die in der


bis Magadino brauchte man sieben Tage. Gleichwohl passirten damals schon
jährlich gegen 16 000 Mensche» und 9000 Pferde den Gotthard.

Als um das Jahr 1820 von dem Kanton Graubünden die Straßen über
den Splügen und den Bernhardin gebaut wurden, mußten die an der Gotthard-
straße liegenden Kantone sich entschließen, auch ihrerseits über den Gotthard
eine Kunststraße zu bauen, wenn sie nicht den Verkehr verlieren wollten. Das
Geld dazu — die ungeheure Summe von 480 000 Franken — wurde durch
Aktien und Anleihen aufgebracht. Auch der König von Preußen schenkte dazu
dem Kanton Uri zwei Aktien. So entstand um das Jahr 1830 die sehr kunstvoll
angelegte Gotthardstmße.

Als im Jahre 1845 der Gedanke einer Überschienung der Alpen auftauchte,
war es zunächst der Lnünanierpaß, der die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, weil
er die geringsten technischen Schwierigkeiten darzubieten schien. Als Mißstand
mußte man freilich anerkennen, daß dieser Paß die Bahn zu großen Umwege»
nötige. Gleichwohl stand längere Zeit der Lukmanier als das einzig mögliche
Alpenbahnprojekt auf der Tagesordnung. Daneben tauchte dann auch das
Projekt einer Simplonbahn ans. Der Gedanke, den Gotthard zu überschienen,
fand zuerst seineu Ausdruck auf einer Konferenz von acht Schweizer Kantonen,
die am 19. August 1863 zu Luzern tagte. Im Laufe der Zeit aber trat dieser
Gedanke immer mehr in den Vordergrund. Er empfahl sich vor allem dadurch,
daß erfahrungsmäßig der Verkehr über den Gotthard den aller übrigen Alpenpässe
bei weitem überstieg. Im September 1860 trat eine Vereinigung zusammen
von zwölf Kantonen und zwei Schweizerbahnen, um das Projekt einer Gott-
hardbahn zu fördern. Es wurde ein Gvtthardkomitee gebildet, welches die
Sache in die Hand nahm. Den ersten genauern Plan arbeitete Ingenieur
Wetli aus (1862). Dieser Plan, welcher für den unentbehrlichen großen Tunnel
noch die Wahl ließ, ob er in tieferer oder in höherer Lage ausgeführt werden
solle, zeigte, daß das Projekt keine unüberwindlichen Schwierigkeiten darbot.
Würde doch bereits seit 1857 an einer ähnlichen Durchbohrung des Montcenis
mit Erfolg gearbeitet. Nun trat aber auch das Projekt der Lukmanierbahn,
betrieben von den Kantonen der Ostschwciz, in starken Mitbewerb. Lange
wogte das Jnteressenspiel, das sich vorzugsweise auf dem Boden des Kanton
Tessin bewegte, hin und her. Am 7. August 1863 berief die Regierung des
Kanton Luzern eine neue Konferenz, auf welcher eine feste Vereinigung von
dreizehn Kantonen und zwei Schweizerbahnen (Zentralbahn und Nordostbahn) zur
Austrebung einer Gotthardbahn sich bildete. Sämtliche Kantone der Zentral-
und Nordwestschweiz waren dabei vertreten. Nur die Ostschweiz, welche den
Lukmanier betrieb, und die Südwestschweiz, welche den Simplon im Auge hatte,
schlössen sich aus. Es konnte aber kein Zweifel sein, daß das Interesse der
Schweiz als Gesamtheit nur in der Gotthardbahn seine Befriedigung finde-
Gleichwohl folgten noch Jahre der Interessen- und Parteieulämpfe, die in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/574>, abgerufen am 27.09.2024.