Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Der Dramatiker der deutschen Ingend. Man entschuldige diese Abschweifung ins Negative gerade bei diesem Punkte Die Vorzüge der Wildenbruchscheu Dichtersprache liegen also vorläufig Grenzboten IV. 1886. L7
Der Dramatiker der deutschen Ingend. Man entschuldige diese Abschweifung ins Negative gerade bei diesem Punkte Die Vorzüge der Wildenbruchscheu Dichtersprache liegen also vorläufig Grenzboten IV. 1886. L7
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Der Dramatiker der deutschen Ingend.
Man entschuldige diese Abschweifung ins Negative gerade bei diesem Punkte
mit der Bedeutung, die er für Wildenbruch hat. Gerade in ihm wird er am
meisten angegriffen, und man weiß, welch ein wunder, welch ein gefährlicher
Punkt dieser Punkt der Bildlichkeit für die andauernde Schätzung eines Dichters
sein kann. Sein muß; deun der Eingeweihte weiß es, das Publikum fühlt es,
daß aus diesem zarten Punkte die eigentliche dichterische Lebenskraft quillt.
Glücklicherweise haben wir es nicht nötig, ihn an einzelnen Äußerungen bei
Wildenbruch nachzuweisen. Es wäre auch wunderlich, daß jemand ein unfehlbar
sicherer dramatischer Kompositeur, ein Bildner lebenswarmer dramatischer Ge¬
stalten sein könnte, und dabei kein Dichter. Aber gerade dieser Punkt bedarf
steter Rücksicht; auch die Poesie verpflichtet. Damit ist freilich nicht gesagt,
daß man sich hebbelisch einschließe und auf ungewohnte, gewaltsame Bilder
sinne, aber zu einer dramatischen Sprache von der Tiefe Shakespeares, dem
philosophischen Schwunge Schillers, der herben Kühnheit Kleists, der hell¬
seherischen Klarheit Grillparzers gehört das stille, gelassene Observertum
Shakespeares, Schillersche Krankenuüchte, Kleistsches Unglück, Grillparzersche Ab¬
geschlossenheit, mit einem Worte immer eine Art Weltflucht inmitten der Welt.
Die damit Hand in Hand gehende Vertiefung und Individualisirung kommt
jedoch nicht bloß der Sprache des Dichters zu Gute, sie erweitert auch den
Gesichtskreis seiner Ideen, sie vertieft seinen Gedcinkcngang. Und selbst der
wärmste Verehrer Wildenbrnchs wird nicht behaupten können, daß bei ihm bis
jetzt jeuer der weiteste, dieser der tiefste sei. Er wird zugestehen müssen, daß
er bei ihm von einem Fortschritte über sein erstes Niveau hinaus noch nichts
habe bemerken können. Und gerade vielleicht, weil die Zeit hierfür noch nicht
gekommen zu sein braucht, wird er es für seine Pflicht halten, ihn gelegentlich
darauf aufmerksam zu machen, daß Shakespeare nicht gar lange bei „Titus
Andrvnikus," auch nicht bei „Heinrich VI." stehen geblieben ist, daß Grillparzer
nur eine „Ahnfrau" geschrieben hat, Kleist nur ein Stück wie die „Schroffeu-
steiuer," und daß die Methode eines Dichters, sich von naiven Erfolgen auf
dichterische Hohen zu schwingen, von keinem deutlicher bezeichnet worden ist als
von Schiller.
Die Vorzüge der Wildenbruchscheu Dichtersprache liegen also vorläufig
»ach einer andern Seite hin als nach der rein dichterischen. Sie vereinigen
sich, wie oben angedeutet, in dem einzigen, für unsre Zeit geradezu auffallenden
dramatischen Talent dieses Mannes. Einer von den feinen, gewählten, verklan-
sulirten Geistesdichtern etwa in der Art Paul Heyses hätte trotz redlichster An¬
strengungen das Schillersche Drama nicht wieder zum Leben erwecken können.
Diesem derben, umbekehrten, knabenhaft unbefangene» Dichter von übernacht ist
es gelungen, ohne Anstrengung gelungen, sobald er den ersten Fuß auf die
Bühne setzte. Denn er brachte etwas dahin mit, was vorläufig für ihn
wichtiger war als der Besitz einer dichterischen Hochsprache, nämlich wieder
Grenzboten IV. 1886. L7
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