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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Dramatiker der deutschen Jugend.

oder unrichtig ausgeführten Bildern,") aber sie stehen an ihrem richtigen Platze.
Das ist dramatisch. Schwulst bedeutet gerade behaglich überladene Ausführung
(die ganz korrekt sein kann) falscher Bilder am unrichtigen Platze, und Schwulst
ist immer undramatisch, so oft ihn auch große Dramatiker, dem Zeitgeschmack
oder mißverstaudnen lyrischen Mustern folgend, im Drama angewandt haben
mögen. Bedenklicher scheinen mir bei Wildenbruch gewisse stehende oder um
denselben Mittelpunkt kreisende Bilder. So erinnere ich mich beispielsweise eines
Bildes, das mich bei ihm immer wie ein alter Bekannter grüßt, das ist das
Bild vom "rollenden Rade der Zeit." So ehrwürdig und berechtigt stehende
Wendungen im Epos und bezeichnenderweise auch in der Musik sind, so wenig
anmutend berühren sie in Lyrik und Drama. Was dort als Naivität oder
Gemeinsamkeit des Empfindens erscheint (wie Kadenz und Kadenzschlüsse in der
Musik), das erscheint hier als Schwäche der Empfindung oder als Nachlässigkeit
in ihrer Ausgestaltung. Denn möglichste Hingabe an das Meer der Dinge oder
des Urgrundes der Dinge fordert vom Künstler Epos und Musik, möglichste
Trennung davon und deutliche Erhebung über dasselbe fordert von ihm Lyrik
und Drama. Daher meine ich auch, daß es bei Wildenbruch weder das eine
noch das andre, weder Schwäche noch Nachlässigkeit sei, was aus solche" Zeichen
spricht, sondern eine augenblickliche Trübung des Blickes, die mitunter garnicht
ausbleiben kann, wenn sich ganz verschiedenartige dichterische Thätigkeiten zu
gleicher Zeit und in rastloser Vielgeschäftigkeit durchkreuzen. Die Folgen dieser
wehr nach außen als nach innen ertragreichen dichterischen Praxis (die unsre
großen Dichter bekanntlich mit Bewußtsein vermieden) werden verschärft durch
poetische Zwitter, wie bestellte Prologe, d. h. Prologe, deren Thema genau
nnigrenzt ist und die sehr rasch (in einem Tage!) bewältigt werden müssen. Es
ist keine Gvethische, keine eines großen Dichters würdige Art, solche Aufgaben
zu behandeln. Und dann -- Goethes Hofdichtungen erstrecken sich über Räume
vou Jahrzehnten, Wildeubruchs Gelegeuheitsdichterei für alle möglichen und
unmöglichen Gelegenheiten auf einige Jahre, Jahre der Mode. Er hüte sich
vor ihrem unheilvollen, für den Dramatiker doppelt und dreifach unheilvollen
Einflüsse. VestiAia, tsrrsrck!

Hierfür zwei Beispiele aus dein "Hnrold," der durch diese Art besondres Gepräge
erhält. Erstens (III. 16):
Denn dieser Name
Wird wie ein später Reif in Frühlingsnacht
Den Glauben deiner jungen Brust vergiften.

Zweitens (III. 8): Daß mir sein leuchtend Antlitz
Im Herzen wie lebendiges Feuer wohnt.

Ein "leuchtend Antlitz" ist eine Vorstellung fiir den Gesichtssinn, lebendiges Feuer für den
Gesichtssinn. Also ein unrichtig durchgeführtes Bild, aber wirksam im Munde eines nicht
deutlich unterscheidenden^ gefühlsschwangeren jungen Mädchens,


Der Dramatiker der deutschen Jugend.

oder unrichtig ausgeführten Bildern,") aber sie stehen an ihrem richtigen Platze.
Das ist dramatisch. Schwulst bedeutet gerade behaglich überladene Ausführung
(die ganz korrekt sein kann) falscher Bilder am unrichtigen Platze, und Schwulst
ist immer undramatisch, so oft ihn auch große Dramatiker, dem Zeitgeschmack
oder mißverstaudnen lyrischen Mustern folgend, im Drama angewandt haben
mögen. Bedenklicher scheinen mir bei Wildenbruch gewisse stehende oder um
denselben Mittelpunkt kreisende Bilder. So erinnere ich mich beispielsweise eines
Bildes, das mich bei ihm immer wie ein alter Bekannter grüßt, das ist das
Bild vom „rollenden Rade der Zeit." So ehrwürdig und berechtigt stehende
Wendungen im Epos und bezeichnenderweise auch in der Musik sind, so wenig
anmutend berühren sie in Lyrik und Drama. Was dort als Naivität oder
Gemeinsamkeit des Empfindens erscheint (wie Kadenz und Kadenzschlüsse in der
Musik), das erscheint hier als Schwäche der Empfindung oder als Nachlässigkeit
in ihrer Ausgestaltung. Denn möglichste Hingabe an das Meer der Dinge oder
des Urgrundes der Dinge fordert vom Künstler Epos und Musik, möglichste
Trennung davon und deutliche Erhebung über dasselbe fordert von ihm Lyrik
und Drama. Daher meine ich auch, daß es bei Wildenbruch weder das eine
noch das andre, weder Schwäche noch Nachlässigkeit sei, was aus solche» Zeichen
spricht, sondern eine augenblickliche Trübung des Blickes, die mitunter garnicht
ausbleiben kann, wenn sich ganz verschiedenartige dichterische Thätigkeiten zu
gleicher Zeit und in rastloser Vielgeschäftigkeit durchkreuzen. Die Folgen dieser
wehr nach außen als nach innen ertragreichen dichterischen Praxis (die unsre
großen Dichter bekanntlich mit Bewußtsein vermieden) werden verschärft durch
poetische Zwitter, wie bestellte Prologe, d. h. Prologe, deren Thema genau
nnigrenzt ist und die sehr rasch (in einem Tage!) bewältigt werden müssen. Es
ist keine Gvethische, keine eines großen Dichters würdige Art, solche Aufgaben
zu behandeln. Und dann — Goethes Hofdichtungen erstrecken sich über Räume
vou Jahrzehnten, Wildeubruchs Gelegeuheitsdichterei für alle möglichen und
unmöglichen Gelegenheiten auf einige Jahre, Jahre der Mode. Er hüte sich
vor ihrem unheilvollen, für den Dramatiker doppelt und dreifach unheilvollen
Einflüsse. VestiAia, tsrrsrck!

Hierfür zwei Beispiele aus dein „Hnrold," der durch diese Art besondres Gepräge
erhält. Erstens (III. 16):
Denn dieser Name
Wird wie ein später Reif in Frühlingsnacht
Den Glauben deiner jungen Brust vergiften.

Zweitens (III. 8): Daß mir sein leuchtend Antlitz
Im Herzen wie lebendiges Feuer wohnt.

Ein „leuchtend Antlitz" ist eine Vorstellung fiir den Gesichtssinn, lebendiges Feuer für den
Gesichtssinn. Also ein unrichtig durchgeführtes Bild, aber wirksam im Munde eines nicht
deutlich unterscheidenden^ gefühlsschwangeren jungen Mädchens,


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[0536] Der Dramatiker der deutschen Jugend. oder unrichtig ausgeführten Bildern,") aber sie stehen an ihrem richtigen Platze. Das ist dramatisch. Schwulst bedeutet gerade behaglich überladene Ausführung (die ganz korrekt sein kann) falscher Bilder am unrichtigen Platze, und Schwulst ist immer undramatisch, so oft ihn auch große Dramatiker, dem Zeitgeschmack oder mißverstaudnen lyrischen Mustern folgend, im Drama angewandt haben mögen. Bedenklicher scheinen mir bei Wildenbruch gewisse stehende oder um denselben Mittelpunkt kreisende Bilder. So erinnere ich mich beispielsweise eines Bildes, das mich bei ihm immer wie ein alter Bekannter grüßt, das ist das Bild vom „rollenden Rade der Zeit." So ehrwürdig und berechtigt stehende Wendungen im Epos und bezeichnenderweise auch in der Musik sind, so wenig anmutend berühren sie in Lyrik und Drama. Was dort als Naivität oder Gemeinsamkeit des Empfindens erscheint (wie Kadenz und Kadenzschlüsse in der Musik), das erscheint hier als Schwäche der Empfindung oder als Nachlässigkeit in ihrer Ausgestaltung. Denn möglichste Hingabe an das Meer der Dinge oder des Urgrundes der Dinge fordert vom Künstler Epos und Musik, möglichste Trennung davon und deutliche Erhebung über dasselbe fordert von ihm Lyrik und Drama. Daher meine ich auch, daß es bei Wildenbruch weder das eine noch das andre, weder Schwäche noch Nachlässigkeit sei, was aus solche» Zeichen spricht, sondern eine augenblickliche Trübung des Blickes, die mitunter garnicht ausbleiben kann, wenn sich ganz verschiedenartige dichterische Thätigkeiten zu gleicher Zeit und in rastloser Vielgeschäftigkeit durchkreuzen. Die Folgen dieser wehr nach außen als nach innen ertragreichen dichterischen Praxis (die unsre großen Dichter bekanntlich mit Bewußtsein vermieden) werden verschärft durch poetische Zwitter, wie bestellte Prologe, d. h. Prologe, deren Thema genau nnigrenzt ist und die sehr rasch (in einem Tage!) bewältigt werden müssen. Es ist keine Gvethische, keine eines großen Dichters würdige Art, solche Aufgaben zu behandeln. Und dann — Goethes Hofdichtungen erstrecken sich über Räume vou Jahrzehnten, Wildeubruchs Gelegeuheitsdichterei für alle möglichen und unmöglichen Gelegenheiten auf einige Jahre, Jahre der Mode. Er hüte sich vor ihrem unheilvollen, für den Dramatiker doppelt und dreifach unheilvollen Einflüsse. VestiAia, tsrrsrck! Hierfür zwei Beispiele aus dein „Hnrold," der durch diese Art besondres Gepräge erhält. Erstens (III. 16): Denn dieser Name Wird wie ein später Reif in Frühlingsnacht Den Glauben deiner jungen Brust vergiften. Zweitens (III. 8): Daß mir sein leuchtend Antlitz Im Herzen wie lebendiges Feuer wohnt. Ein „leuchtend Antlitz" ist eine Vorstellung fiir den Gesichtssinn, lebendiges Feuer für den Gesichtssinn. Also ein unrichtig durchgeführtes Bild, aber wirksam im Munde eines nicht deutlich unterscheidenden^ gefühlsschwangeren jungen Mädchens,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/536>, abgerufen am 20.10.2024.