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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Uirche in Preußen.

dings ist in dem letzten Jahrzehnt eine Besserung eingetreten, die Venter nach
seinem Plane weniger berücksichtigen konnte. Besonders der sonst auf evangelischer
Seite wenig beliebte Minister Dr. Falk hat viel für die bessere und gerechtere
Ausstattung der evangelischen Kirche geleistet. Aber thatsächlich ist bis heute
die Ungerechtigkeit, die natürlich kein Werk der Absicht, sondern ein Ergebnis des
Staatsmechanismus ist, nicht gehoben. "Seit 1822 bis 1875 hat die preußische
Kirche einen absoluten Verlust von 62 ^ Millionen Mark, einen relativen von
145^2 Millionen erlitten, und noch jetzt hat sie einen Nachteil von 2^ Millionen
Mark jährlich" (S. 41). Man wird das Einzelne in Venters Broschüre lieber
selbst nachlesen. Bekannt ist, daß der noch am besten begründete Anspruch der
römischen Kirche, der ans der Bulle I)s Liiwte Minimum stammt, sich zur Zeit
der Gehaltssperre doch nicht als unbedingt und privatrechtlich haltbar erwiesen
hat, und eben dieser Posten ist verschiednemale noch erhöht worden. Diesem zur
Seite steht dann noch ein juristisch garnicht begründeter Bedürfniszuschuß, in
welchem ebenfalls die Proportion der katholischen Bevölkerung zur evangelischen
regelmäßig überschritten wird. Für die meisten Individuen ist mit dieser Un¬
gleichheit in der äußern Ausstattung auch eine hinreichende Veranlassung ent¬
halten, der katholischen Kirche einen höhern Rang und ganz andre Vornehmheit
einzuräumen. Und es ist nicht so seltsam, wie es auf den ersten Blick scheint,
daß man nach Angabe der Zeitungen einst in gewissen Kreisen die Franzosen
auch deshalb nicht betrüben wollte (1877), weil sie eine "viel vornehmere
Religion" hätten als wir. Es ist zwar anzunehmen, daß die Abwesenheit alles
Luxus unsern Generalsuperintendenten nicht schmerzlich ist, aber so ganz gleich-
giltig ist es nicht, ob die Kirche Bettler unterstützen kann oder selbst betteln muß.

Die Ventersche Broschüre ist auch lehrreich dem überlieferten Diktum
gegenüber, daß die bnllengemäße Ausstattung der Kirche mir ein schwacher Ersatz
sei für die eingezognen kirchlichen Güter. In diesem Falle müßte man die
nötigen Gelder von Frankreich zurückerbitten, insbesondre von Napoleon I., nicht
von Preußen. Die napoleonischen Entschädigungen für die Bischöfe sind, wie
bekannt, von Preußen weit überboten worden, und vom Papste wurde damals
Preußen als sehr freigebig anerkannt. Und was Preußen wirklich zu ersetzen
hat ans rechtsrheinischen und östlichen Gebieten, das geht wieder beide Kirchen
an, die Evangelischen aber weit mehr als die Katholischen.

Einige Zahlen sollen doch noch mitgeteilt werden. Die Bischöfe der
römischen Kirche erhalten jetzt 183925 Mark mehr, als in der Bulle steht,
nämlich 411900 Mark, der Breslauer Fürstbischof erhält das Doppelte der
bestimmten Summe (210000 Mark). Dabei hat er noch andre schöne Hilfs¬
quellen, sodaß es nicht unglaublich ist, daß er zur Zeit des schlimmen Kultur¬
kampfes, als er verhaftet werden sollte, mit neun Millionen Mark Breslau und
das preußische Land verließ, um sich und das Geld für bessere Zeiten auf¬
zubewahren. Es ist ihm auch gelungen.


GrcnzbotenIV, 1886. 65
Die Agitation für die größere Freiheit der evangelischen Uirche in Preußen.

dings ist in dem letzten Jahrzehnt eine Besserung eingetreten, die Venter nach
seinem Plane weniger berücksichtigen konnte. Besonders der sonst auf evangelischer
Seite wenig beliebte Minister Dr. Falk hat viel für die bessere und gerechtere
Ausstattung der evangelischen Kirche geleistet. Aber thatsächlich ist bis heute
die Ungerechtigkeit, die natürlich kein Werk der Absicht, sondern ein Ergebnis des
Staatsmechanismus ist, nicht gehoben. „Seit 1822 bis 1875 hat die preußische
Kirche einen absoluten Verlust von 62 ^ Millionen Mark, einen relativen von
145^2 Millionen erlitten, und noch jetzt hat sie einen Nachteil von 2^ Millionen
Mark jährlich" (S. 41). Man wird das Einzelne in Venters Broschüre lieber
selbst nachlesen. Bekannt ist, daß der noch am besten begründete Anspruch der
römischen Kirche, der ans der Bulle I)s Liiwte Minimum stammt, sich zur Zeit
der Gehaltssperre doch nicht als unbedingt und privatrechtlich haltbar erwiesen
hat, und eben dieser Posten ist verschiednemale noch erhöht worden. Diesem zur
Seite steht dann noch ein juristisch garnicht begründeter Bedürfniszuschuß, in
welchem ebenfalls die Proportion der katholischen Bevölkerung zur evangelischen
regelmäßig überschritten wird. Für die meisten Individuen ist mit dieser Un¬
gleichheit in der äußern Ausstattung auch eine hinreichende Veranlassung ent¬
halten, der katholischen Kirche einen höhern Rang und ganz andre Vornehmheit
einzuräumen. Und es ist nicht so seltsam, wie es auf den ersten Blick scheint,
daß man nach Angabe der Zeitungen einst in gewissen Kreisen die Franzosen
auch deshalb nicht betrüben wollte (1877), weil sie eine „viel vornehmere
Religion" hätten als wir. Es ist zwar anzunehmen, daß die Abwesenheit alles
Luxus unsern Generalsuperintendenten nicht schmerzlich ist, aber so ganz gleich-
giltig ist es nicht, ob die Kirche Bettler unterstützen kann oder selbst betteln muß.

Die Ventersche Broschüre ist auch lehrreich dem überlieferten Diktum
gegenüber, daß die bnllengemäße Ausstattung der Kirche mir ein schwacher Ersatz
sei für die eingezognen kirchlichen Güter. In diesem Falle müßte man die
nötigen Gelder von Frankreich zurückerbitten, insbesondre von Napoleon I., nicht
von Preußen. Die napoleonischen Entschädigungen für die Bischöfe sind, wie
bekannt, von Preußen weit überboten worden, und vom Papste wurde damals
Preußen als sehr freigebig anerkannt. Und was Preußen wirklich zu ersetzen
hat ans rechtsrheinischen und östlichen Gebieten, das geht wieder beide Kirchen
an, die Evangelischen aber weit mehr als die Katholischen.

Einige Zahlen sollen doch noch mitgeteilt werden. Die Bischöfe der
römischen Kirche erhalten jetzt 183925 Mark mehr, als in der Bulle steht,
nämlich 411900 Mark, der Breslauer Fürstbischof erhält das Doppelte der
bestimmten Summe (210000 Mark). Dabei hat er noch andre schöne Hilfs¬
quellen, sodaß es nicht unglaublich ist, daß er zur Zeit des schlimmen Kultur¬
kampfes, als er verhaftet werden sollte, mit neun Millionen Mark Breslau und
das preußische Land verließ, um sich und das Geld für bessere Zeiten auf¬
zubewahren. Es ist ihm auch gelungen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/521>, abgerufen am 26.09.2024.