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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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phcmtasiecirmut und Jllnstrationswut.

"authentische" Abbildungen, besonders ans dem Mittelalter, geben uns aber in
erster Linie nicht ein Bild von der dargestellten Persönlichkeit oder den dar¬
gestellten Ereignissen, sondern von der Höhe der Kunstentwicklung ihrer Ent¬
stehungszeit; sie haben in erster Linie ein kunst- und kulturhistorisches, erst in
zweiter ein wirklich geschichtliches Interesse, Sie sind deshalb wohl am Platze
in solchen Büchern, die besonders fiir den Mann, den Gelehrten bestimmt sind,
der aus der unfertigen äußern Hülle den Kern herauszuschälen versteht, nicht
aber in solchen Geschichtswerken, welche ausgesprochenermaßen für das Volk und
die Jugend geschrieben sind. Da soll sich z. B. der Jüngling ein treffendes Bild
von den alten Germanen nach der sentimentalen Darstellung der Germanen-
familie an der Colonna Autouina in Rom machen! Wie anders hat er doch
seine Altvordern aus Cäsar und Tacitus kennen gelernt! Genügen wirklich nicht
lebendige Schilderungen, um sich aus ihnen ein Bild zu gestalten? Welchen
seltsamen Begriff muß er von einem Straßenkampfe in einer italienischen Stadt
bekommen, wenn er die Abbildungen aus deu Jahrbüchern von Genua vom Jahre
1194 sieht, die ebenso unbedeutend wie ungeschickt, aber natürlich "authentisch"
sind! Und vollends die "authentischen" Kaiserbilder, die solche Werke deu Schülern
bieten! Wir wissen, daß das Fratzenhafte jener Siegel- oder Miniatnrenbilder
die künstlerische Unfertigkeit der Zeit verschuldet hat; das können wir auch dem
Schüler sagen. Aber was haben sie dann für einen Wert für ihn? Keinen,
oder noch weniger als keinen! So oft er in seiner Phantasie das Bild irgend¬
eines heldenhafte!? Kaisers entwirft, drängt sich die Siegelfratze in seine Ge¬
danken hinein, die ihm die "authentische" Abbildung gezeigt hat.

Wenn man die Geschichte illustrirte, so mußte nun auch die Literntur-
geschichtc "illustrirt" werden. Hätte man sich hier darauf beschränkt, gute
Porträts der Dichter beizugeben und Abbildungen der Orte, an denen sie
wirkten, so wäre dies vielleicht dankenswert gewesen. Aber das gab nicht ge¬
nügendes "Jllustrativnsmatericil," und mau nahm seine Zuflucht zu Schrift-,
Druck-, Titel- und Bilderproben aller Art, so daß einer, der ein solches Werk,
wenigstens gewisse Teile eines solchen Werkes, ohne Rücksicht auf den Text
durchblättert, geradezu auf den Gedanken kommen muß, daß er eine illustrirte
Geschichte des Buchdruckes vor sich habe. Was Dürers sogenannter Pirlheimer-
Titcl oder was der in einen Schmetterling verwandelte Tintenfleck Justinus
Kerners in einer deutschen Literaturgeschichte soll, ist schlechterdings nicht ein¬
zusehen.

In neuester Zeit hat sich der Abbilduugswut ein weiteres Feld ge¬
öffnet; man hat begonnen, die antiken Klassiker zu illustriren. Zunächst erschien
ein Cäsar mit Abbildungen. Das war verständlich und verständig angefangen.
Wenn auch manches mit unterlief, was man gut und gern der Phantasie des
Tertianers hätte überlassen können, so waren doch die Abbildungen des >,^!.>-
n-i-rin", der Belagernngswcrkzeugc und Belageruugsarbeiteu u. s. w. durchaus


phcmtasiecirmut und Jllnstrationswut.

„authentische" Abbildungen, besonders ans dem Mittelalter, geben uns aber in
erster Linie nicht ein Bild von der dargestellten Persönlichkeit oder den dar¬
gestellten Ereignissen, sondern von der Höhe der Kunstentwicklung ihrer Ent¬
stehungszeit; sie haben in erster Linie ein kunst- und kulturhistorisches, erst in
zweiter ein wirklich geschichtliches Interesse, Sie sind deshalb wohl am Platze
in solchen Büchern, die besonders fiir den Mann, den Gelehrten bestimmt sind,
der aus der unfertigen äußern Hülle den Kern herauszuschälen versteht, nicht
aber in solchen Geschichtswerken, welche ausgesprochenermaßen für das Volk und
die Jugend geschrieben sind. Da soll sich z. B. der Jüngling ein treffendes Bild
von den alten Germanen nach der sentimentalen Darstellung der Germanen-
familie an der Colonna Autouina in Rom machen! Wie anders hat er doch
seine Altvordern aus Cäsar und Tacitus kennen gelernt! Genügen wirklich nicht
lebendige Schilderungen, um sich aus ihnen ein Bild zu gestalten? Welchen
seltsamen Begriff muß er von einem Straßenkampfe in einer italienischen Stadt
bekommen, wenn er die Abbildungen aus deu Jahrbüchern von Genua vom Jahre
1194 sieht, die ebenso unbedeutend wie ungeschickt, aber natürlich „authentisch"
sind! Und vollends die „authentischen" Kaiserbilder, die solche Werke deu Schülern
bieten! Wir wissen, daß das Fratzenhafte jener Siegel- oder Miniatnrenbilder
die künstlerische Unfertigkeit der Zeit verschuldet hat; das können wir auch dem
Schüler sagen. Aber was haben sie dann für einen Wert für ihn? Keinen,
oder noch weniger als keinen! So oft er in seiner Phantasie das Bild irgend¬
eines heldenhafte!? Kaisers entwirft, drängt sich die Siegelfratze in seine Ge¬
danken hinein, die ihm die „authentische" Abbildung gezeigt hat.

Wenn man die Geschichte illustrirte, so mußte nun auch die Literntur-
geschichtc „illustrirt" werden. Hätte man sich hier darauf beschränkt, gute
Porträts der Dichter beizugeben und Abbildungen der Orte, an denen sie
wirkten, so wäre dies vielleicht dankenswert gewesen. Aber das gab nicht ge¬
nügendes „Jllustrativnsmatericil," und mau nahm seine Zuflucht zu Schrift-,
Druck-, Titel- und Bilderproben aller Art, so daß einer, der ein solches Werk,
wenigstens gewisse Teile eines solchen Werkes, ohne Rücksicht auf den Text
durchblättert, geradezu auf den Gedanken kommen muß, daß er eine illustrirte
Geschichte des Buchdruckes vor sich habe. Was Dürers sogenannter Pirlheimer-
Titcl oder was der in einen Schmetterling verwandelte Tintenfleck Justinus
Kerners in einer deutschen Literaturgeschichte soll, ist schlechterdings nicht ein¬
zusehen.

In neuester Zeit hat sich der Abbilduugswut ein weiteres Feld ge¬
öffnet; man hat begonnen, die antiken Klassiker zu illustriren. Zunächst erschien
ein Cäsar mit Abbildungen. Das war verständlich und verständig angefangen.
Wenn auch manches mit unterlief, was man gut und gern der Phantasie des
Tertianers hätte überlassen können, so waren doch die Abbildungen des >,^!.>-
n-i-rin», der Belagernngswcrkzeugc und Belageruugsarbeiteu u. s. w. durchaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/494>, abgerufen am 15.01.2025.