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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Und wie hätte der Hauptstadt des deutschen Reiches die Schmach angethan
werde" können, das dilettantische Durcheinander, genannt "Lorelei," des "Doktor
Klaus "-Dichters dulden zu müssen, wenn nicht der Herr Dichter zugleich der
Herr Direktor des idealen Theaters gewesen wäre, welches mit Selbstgefühl sich
an die Stelle des Schauspielhauses gesetzt hatte, des Schauspielhauses, das
dem L'Arrvnge-Theater noch in ganz andrer Weise überlegen ist, als das
Vurgtheater es dem Stadttheater Laubes war? Denn das Burgtheater war
sozusagen führerlos geworden, und Laube war eben Laube; das Schauspielhaus
aber hatte seinen besonnenen Führer, seine lange, ununterbrochene Vergangenheit,
sein reiches, vielgestaltiges Repertoire, sein abgetöntes, trotz aller Mängel doch
vornehmes Zusammenspiel, und die Herren L'Arrvnge, Förster und Blumenthal
(denn dieser Genius ist nun einmal nicht vom L'Arronge-Theater zu trennen)
waren und sind eben die Herren L'Arrvnge, Förster und Blumenthal.

Das Bittere, das ich hier, nicht ohne schwere Überwindung, ausgesprochen
habe, mußte einmal gesagt werden, wenn der Unfug, der hier getrieben wird,
nicht alles Maß übersteigen sollte. Ich betone trotz alledem, daß ich dem "Deutschen
Theater" als solchen durchaus nicht feindselig gegenüberstehe, schon aus dem
Grunde nicht, weil es einige höchst ehrenwerte Darsteller besitzt, und weil sich
wohl auch hierher gelegentlich etwas Besseres verirren kann und auch wohl schon
verirrt hat. Ich habe mich trotz alles Vorurteils selbst im Anfang nicht gegen
das Unternehmen verschlossen und z. B. die wirklich wundervolle Ausstattung
des "Othello" mit entzückten Augen betrachtet, deu Don Carlos des Herrn Kainz
aufrichtig bewundert, daS gewandte Frciuleiu Sorna in der "Jugendliebe" sehr
trefflich gefunden und selbst noch in den "Krisen" Frau Niemann, in "Marin
Magdalena" die Herren Kainz nud Pohl freudig beklatscht -- aber es wäre ja
auch zu traurig, wenn ein so anspruchsvoll auftretendes Theater garnichts hätte
leisten sollen. Bekämpfens-, wenn man will hassenswert ist nur der Geist, der
nu diesem Theater herrscht, das ganze Gebahren und vor allen Dingen das
Repertoire, das trotz aller "Blender" durchaus unwürdig ist.

Herrn L'Arrouge ist vor einiger Zeit eine hohe Auszeichnung zu Teil ge¬
worden; ob er sie für die "Lorelei" oder für die Nichtausführung des "Neuen
Gebots" erhalten hat, läßt sich nicht genau bestimmen -- vielleicht haben die
beiden Verdienste zusammengewirkt. Aber als ich die Nachricht las, hörte ich
hinter mir ein Schluchzen -- ich sah mich um, und vor mir standen Thalia
und Melpomene mit verzerrten Gesichtern, Thränen liefen an ihren Wangen
hinunter, und ihre Leiber zuckten wie krampfhaft. Ob es Lach- oder Wein-
kmmvfe waren, konnte ich leider nicht feststelle".




Neue Theaterstücke.

Und wie hätte der Hauptstadt des deutschen Reiches die Schmach angethan
werde» können, das dilettantische Durcheinander, genannt „Lorelei," des „Doktor
Klaus "-Dichters dulden zu müssen, wenn nicht der Herr Dichter zugleich der
Herr Direktor des idealen Theaters gewesen wäre, welches mit Selbstgefühl sich
an die Stelle des Schauspielhauses gesetzt hatte, des Schauspielhauses, das
dem L'Arrvnge-Theater noch in ganz andrer Weise überlegen ist, als das
Vurgtheater es dem Stadttheater Laubes war? Denn das Burgtheater war
sozusagen führerlos geworden, und Laube war eben Laube; das Schauspielhaus
aber hatte seinen besonnenen Führer, seine lange, ununterbrochene Vergangenheit,
sein reiches, vielgestaltiges Repertoire, sein abgetöntes, trotz aller Mängel doch
vornehmes Zusammenspiel, und die Herren L'Arrvnge, Förster und Blumenthal
(denn dieser Genius ist nun einmal nicht vom L'Arronge-Theater zu trennen)
waren und sind eben die Herren L'Arrvnge, Förster und Blumenthal.

Das Bittere, das ich hier, nicht ohne schwere Überwindung, ausgesprochen
habe, mußte einmal gesagt werden, wenn der Unfug, der hier getrieben wird,
nicht alles Maß übersteigen sollte. Ich betone trotz alledem, daß ich dem „Deutschen
Theater" als solchen durchaus nicht feindselig gegenüberstehe, schon aus dem
Grunde nicht, weil es einige höchst ehrenwerte Darsteller besitzt, und weil sich
wohl auch hierher gelegentlich etwas Besseres verirren kann und auch wohl schon
verirrt hat. Ich habe mich trotz alles Vorurteils selbst im Anfang nicht gegen
das Unternehmen verschlossen und z. B. die wirklich wundervolle Ausstattung
des „Othello" mit entzückten Augen betrachtet, deu Don Carlos des Herrn Kainz
aufrichtig bewundert, daS gewandte Frciuleiu Sorna in der „Jugendliebe" sehr
trefflich gefunden und selbst noch in den „Krisen" Frau Niemann, in „Marin
Magdalena" die Herren Kainz nud Pohl freudig beklatscht — aber es wäre ja
auch zu traurig, wenn ein so anspruchsvoll auftretendes Theater garnichts hätte
leisten sollen. Bekämpfens-, wenn man will hassenswert ist nur der Geist, der
nu diesem Theater herrscht, das ganze Gebahren und vor allen Dingen das
Repertoire, das trotz aller „Blender" durchaus unwürdig ist.

Herrn L'Arrouge ist vor einiger Zeit eine hohe Auszeichnung zu Teil ge¬
worden; ob er sie für die „Lorelei" oder für die Nichtausführung des „Neuen
Gebots" erhalten hat, läßt sich nicht genau bestimmen — vielleicht haben die
beiden Verdienste zusammengewirkt. Aber als ich die Nachricht las, hörte ich
hinter mir ein Schluchzen — ich sah mich um, und vor mir standen Thalia
und Melpomene mit verzerrten Gesichtern, Thränen liefen an ihren Wangen
hinunter, und ihre Leiber zuckten wie krampfhaft. Ob es Lach- oder Wein-
kmmvfe waren, konnte ich leider nicht feststelle».




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[0491] Neue Theaterstücke. Und wie hätte der Hauptstadt des deutschen Reiches die Schmach angethan werde» können, das dilettantische Durcheinander, genannt „Lorelei," des „Doktor Klaus "-Dichters dulden zu müssen, wenn nicht der Herr Dichter zugleich der Herr Direktor des idealen Theaters gewesen wäre, welches mit Selbstgefühl sich an die Stelle des Schauspielhauses gesetzt hatte, des Schauspielhauses, das dem L'Arrvnge-Theater noch in ganz andrer Weise überlegen ist, als das Vurgtheater es dem Stadttheater Laubes war? Denn das Burgtheater war sozusagen führerlos geworden, und Laube war eben Laube; das Schauspielhaus aber hatte seinen besonnenen Führer, seine lange, ununterbrochene Vergangenheit, sein reiches, vielgestaltiges Repertoire, sein abgetöntes, trotz aller Mängel doch vornehmes Zusammenspiel, und die Herren L'Arrvnge, Förster und Blumenthal (denn dieser Genius ist nun einmal nicht vom L'Arronge-Theater zu trennen) waren und sind eben die Herren L'Arrvnge, Förster und Blumenthal. Das Bittere, das ich hier, nicht ohne schwere Überwindung, ausgesprochen habe, mußte einmal gesagt werden, wenn der Unfug, der hier getrieben wird, nicht alles Maß übersteigen sollte. Ich betone trotz alledem, daß ich dem „Deutschen Theater" als solchen durchaus nicht feindselig gegenüberstehe, schon aus dem Grunde nicht, weil es einige höchst ehrenwerte Darsteller besitzt, und weil sich wohl auch hierher gelegentlich etwas Besseres verirren kann und auch wohl schon verirrt hat. Ich habe mich trotz alles Vorurteils selbst im Anfang nicht gegen das Unternehmen verschlossen und z. B. die wirklich wundervolle Ausstattung des „Othello" mit entzückten Augen betrachtet, deu Don Carlos des Herrn Kainz aufrichtig bewundert, daS gewandte Frciuleiu Sorna in der „Jugendliebe" sehr trefflich gefunden und selbst noch in den „Krisen" Frau Niemann, in „Marin Magdalena" die Herren Kainz nud Pohl freudig beklatscht — aber es wäre ja auch zu traurig, wenn ein so anspruchsvoll auftretendes Theater garnichts hätte leisten sollen. Bekämpfens-, wenn man will hassenswert ist nur der Geist, der nu diesem Theater herrscht, das ganze Gebahren und vor allen Dingen das Repertoire, das trotz aller „Blender" durchaus unwürdig ist. Herrn L'Arrouge ist vor einiger Zeit eine hohe Auszeichnung zu Teil ge¬ worden; ob er sie für die „Lorelei" oder für die Nichtausführung des „Neuen Gebots" erhalten hat, läßt sich nicht genau bestimmen — vielleicht haben die beiden Verdienste zusammengewirkt. Aber als ich die Nachricht las, hörte ich hinter mir ein Schluchzen — ich sah mich um, und vor mir standen Thalia und Melpomene mit verzerrten Gesichtern, Thränen liefen an ihren Wangen hinunter, und ihre Leiber zuckten wie krampfhaft. Ob es Lach- oder Wein- kmmvfe waren, konnte ich leider nicht feststelle».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/491>, abgerufen am 19.10.2024.