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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Hauses" für diese Bühne geliefert wurden ist, ist derart, daß man ehrlicherweise
garnicht von "Vollendung" sprechen darf, und wenn der äußerliche Eindruck
der Aufführungen noch so erfreulich sein sollte. Wenn ein Mensch ruhig und
sicher seines Weges über die gepflasterte Straße geht, so habe ich kein Recht
zu rufen: Alle Wetter, der macht seine Sache gut! Die ganze Kunst des
L'Arronge-Theaters beruht aber auf diesem Scheine; daher geht man Goethe
so weit aus dem Wege; daher hütet man sich vor "Maria Stuart" und "Wallen-
stein," vor deu "Nibelungen" und andern Werken, welche große, künstlerische
Ansprüche an eine Bühne stellen; daher werden alle ernsthaften Talente von
diesem Tempel ferngehalten, weil man für ernsthafte Leistungen hier nicht ein¬
gerichtet ist. Selbst ein so wenig anspruchsvolles Stück wie der "Erfolg" von
Lindau kommt ans dieser Bühne nicht recht zur Geltung; denn Lindau ist eben
doch noch eil, andrer Autor als die Herren L'Arrvnge, Blumenthal und Lnbliner;
sein "Erfolg," seiue "Diana" und "Tante Therese" haben doch immerhin feine
Züge, sogar Züge von Gemüt; und seine Sprache ist auch hier nicht ohne
wirkliche Armut; er ist eben trotz allem, was auch an diesem Schriftsteller nicht
ganz erfreulich scheint, ein talentvoller und gebildeter Manu, kein hahnebüchuer
"Volksdramatiker," kein ganz dilettantischer Schallspielerdiener.

Ich bin heiß geworden -- aber das "Deutsche Theater" macht eS dem
Beurteiler schwer, nicht in Unmut zu geraten. Nichts kann mir ferner liegen
als die Absicht, dieses Unternehmen wirklich zu schädigen, schon aus dem Grunde,
weil ein Theater, das um drei Indie hindurch sich in der Gunst des Publikums
behauptet hat, ein wichtiger Faktor für das Theaterleben ist, mit den: der be¬
sonnene Mann rechnen muß und gern rechnet; auch sind ja die Herren L'Arrvnge,
Förster nud Blumenthal nicht unsterblich; der Boden, auf dem wir sie heute noch
hernmackern lassen müssen, wird jn wohl einmal bessere Behälter finden -- und
warum soll man nicht eine schlechte Gegenwart in der festen Hoffnung auf die
bessere Zukunft mit Gelassenheit ertrage". Aber eine Gefahr für die dramatische
Kunst, nicht nur innerhalb der Hauptstadt, droht nicht bloß von dem gegen¬
wärtigen Theater, sie ist schon lange vorhanden; denn der "Erzeuger" des be¬
rühmten "Doktor Klaus" und der andern Milchkühe ist wohl kaum der geeignete
Mann, um einem wirklich künstlerischen Unternehmen vorzustehen. Ein Blumenthal,
über dessen Erfolge wir uns schämen müssen, wäre nie zu diesen Erfolgen gelangt,
wenn nicht das "Deutsche Theater," für das er in der unanständigsten Weise
die Lärmtrvmmel rührte, zur Verfügung gehabt hätte. Dem Publikum war
eingeredet worden, daß dieses Theater endlich einmal deu Berlinern vollendete
Ausführungen und vortreffliche Stücke darbiete -- was Wunder, daß die arglosen
Leute, die so gern das Gute unterstützen wollten, entzückt waren, daß sie Stücken,
die im Walluertheater oder im Nesidenztheater ausgezischt worden wären, zn-
jubclten nud den Spekulanten des "Deutsche" Theaters" drüben und hüben
die Kassen füllten?


Hauses" für diese Bühne geliefert wurden ist, ist derart, daß man ehrlicherweise
garnicht von „Vollendung" sprechen darf, und wenn der äußerliche Eindruck
der Aufführungen noch so erfreulich sein sollte. Wenn ein Mensch ruhig und
sicher seines Weges über die gepflasterte Straße geht, so habe ich kein Recht
zu rufen: Alle Wetter, der macht seine Sache gut! Die ganze Kunst des
L'Arronge-Theaters beruht aber auf diesem Scheine; daher geht man Goethe
so weit aus dem Wege; daher hütet man sich vor „Maria Stuart" und „Wallen-
stein," vor deu „Nibelungen" und andern Werken, welche große, künstlerische
Ansprüche an eine Bühne stellen; daher werden alle ernsthaften Talente von
diesem Tempel ferngehalten, weil man für ernsthafte Leistungen hier nicht ein¬
gerichtet ist. Selbst ein so wenig anspruchsvolles Stück wie der „Erfolg" von
Lindau kommt ans dieser Bühne nicht recht zur Geltung; denn Lindau ist eben
doch noch eil, andrer Autor als die Herren L'Arrvnge, Blumenthal und Lnbliner;
sein „Erfolg," seiue „Diana" und „Tante Therese" haben doch immerhin feine
Züge, sogar Züge von Gemüt; und seine Sprache ist auch hier nicht ohne
wirkliche Armut; er ist eben trotz allem, was auch an diesem Schriftsteller nicht
ganz erfreulich scheint, ein talentvoller und gebildeter Manu, kein hahnebüchuer
„Volksdramatiker," kein ganz dilettantischer Schallspielerdiener.

Ich bin heiß geworden — aber das „Deutsche Theater" macht eS dem
Beurteiler schwer, nicht in Unmut zu geraten. Nichts kann mir ferner liegen
als die Absicht, dieses Unternehmen wirklich zu schädigen, schon aus dem Grunde,
weil ein Theater, das um drei Indie hindurch sich in der Gunst des Publikums
behauptet hat, ein wichtiger Faktor für das Theaterleben ist, mit den: der be¬
sonnene Mann rechnen muß und gern rechnet; auch sind ja die Herren L'Arrvnge,
Förster nud Blumenthal nicht unsterblich; der Boden, auf dem wir sie heute noch
hernmackern lassen müssen, wird jn wohl einmal bessere Behälter finden — und
warum soll man nicht eine schlechte Gegenwart in der festen Hoffnung auf die
bessere Zukunft mit Gelassenheit ertrage». Aber eine Gefahr für die dramatische
Kunst, nicht nur innerhalb der Hauptstadt, droht nicht bloß von dem gegen¬
wärtigen Theater, sie ist schon lange vorhanden; denn der „Erzeuger" des be¬
rühmten „Doktor Klaus" und der andern Milchkühe ist wohl kaum der geeignete
Mann, um einem wirklich künstlerischen Unternehmen vorzustehen. Ein Blumenthal,
über dessen Erfolge wir uns schämen müssen, wäre nie zu diesen Erfolgen gelangt,
wenn nicht das „Deutsche Theater," für das er in der unanständigsten Weise
die Lärmtrvmmel rührte, zur Verfügung gehabt hätte. Dem Publikum war
eingeredet worden, daß dieses Theater endlich einmal deu Berlinern vollendete
Ausführungen und vortreffliche Stücke darbiete — was Wunder, daß die arglosen
Leute, die so gern das Gute unterstützen wollten, entzückt waren, daß sie Stücken,
die im Walluertheater oder im Nesidenztheater ausgezischt worden wären, zn-
jubclten nud den Spekulanten des „Deutsche» Theaters" drüben und hüben
die Kassen füllten?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/490>, abgerufen am 20.10.2024.