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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

natürlich die vollkommenste Freude, die im letzten Akte noch dadurch gesteigert
wird, dos; die guten Freunde wieder so großmütig sind, dem "Geretteten" sich
zu nahen, und daß der Prinz in eigner Person erscheint, um zu melden, daß
der Herzog selbst aus Vaterlandsliebe den Verrat begangen habe.

Das neun' ich doch noch einen Plan! Und wenn wir uns all den Unsinn
zur Not wollten gefallen lassen, um andrer Dinge willen -- was aber wird
denn mit diesem Unsinn erreicht? Von einer Handlung ist zwar im Stücke
nichts zu spüren; aber der böse Lothar schien doch so etwas wie einen Zweck
zu verfolgen -- wo bleibt denn dieser Zweck? Er will Hertha seinen Lüsten
dienstbar machen; was versucht er denn für Mittel, um zu diesem heißersehnten
Ziele zu kommen? Er bietet der Aristokratin (nicht etwa der Fran eines Post¬
boten) "eine Handvoll Banknoten," welche dem "Verleumder" den "Mund
stopfen" sollen; er weist sie um Mitternacht auf seineu wartenden Wagen hiu --
aber die Frau will noch immer uicht anbeißen. Da bringt er ihr endlich die
Mitteilung, daß ihr Vater fleckenlos dastehe -- nnn wird die Göttin ihm doch
endlich den geschätzten Schoß öffnen -- denn mit seiner Kunst hat es jetzt ein
Ende. Leider gewährt sie dem Edeln nur "Freundschaft," und der gefährliche
Mensch muß in den sauern Apfel beißen und sich einreden, daß das nun doch
das Beste sei! Läßt sich etwas denken, das alberner wäre?

Und wie es in diesen aristokratischen Kreisen zugeht! Die schönsten Vor¬
kommnisse habe ich schon hervorgehoben; aber nicht minder fein ist es, wenn
der Freiherr Lothar im Hause des Staatsbeamten, Vnron Erwin von Weidcgg,
den" Diener, welcher meldet, daß die gnädige Fran nicht zu sprechen sei, zuruft:
"Ich erwarte zuversichtlich, daß die Ereignisse des Tages die gnädige Fran noch
heute in die Stimmung bringen werden, mich zu empfangen." Oder wenn
Hertha, die Aristokrat"!, die Gesellschaft besucht und sagt: "Ich führe zum ersten¬
male meinen Gcburtstagsstaat spazieren: Armbänder, Fächer, Kollier, alles!"
gleich als wäre sie eine Barbicrstochter aus einem Landstädtchen. Und dieser
Leutnant Bruno, der den veralteten "Jardeleitncmt" an Albernheit und Unwissen¬
heit noch überbietet, aber uicht etwa ein verzärtelter Krautjunker ist, sondern
der Sohn eines Artillerie-Obersten, also ans einer Familie stammt, in der wohl
noch ganz andre Ansprüche an die Bildung ihrer Söhne gestellt werden,
als sie Herrn Blumenthal jemals nahegetreten sind! Mit einem Worte, an
dem ganzen Machwerk ist, abgesehen von einer kleinen Szene zwischen Liddy und
Bruno, die der Verfasser vielleicht irgendwo "gefunden" hat, alles elend, abge¬
schmackt und dilettantisch. Selbst die "Sprache," die ja soviel Bewunderung
bei den Kennern erregt, ist unsäglich reizlos und blüht gelegentlich in den
schönsten Formen. Wenn Fabricius fragt: "Ich darf auf Ihre Fürsprache
rechnen?" so antwortet Hertha: "Aus vollem Herzen." Hertha "fühlt es in
jedem Pulsschläge, daß hinter dem Eigensinn ein schmerzliches Geheimnis steckt,"
und "sucht" nach "diesem Rätsel," anstatt nach der Lösung desselben. Auch


Neue Theaterstücke.

natürlich die vollkommenste Freude, die im letzten Akte noch dadurch gesteigert
wird, dos; die guten Freunde wieder so großmütig sind, dem „Geretteten" sich
zu nahen, und daß der Prinz in eigner Person erscheint, um zu melden, daß
der Herzog selbst aus Vaterlandsliebe den Verrat begangen habe.

Das neun' ich doch noch einen Plan! Und wenn wir uns all den Unsinn
zur Not wollten gefallen lassen, um andrer Dinge willen — was aber wird
denn mit diesem Unsinn erreicht? Von einer Handlung ist zwar im Stücke
nichts zu spüren; aber der böse Lothar schien doch so etwas wie einen Zweck
zu verfolgen — wo bleibt denn dieser Zweck? Er will Hertha seinen Lüsten
dienstbar machen; was versucht er denn für Mittel, um zu diesem heißersehnten
Ziele zu kommen? Er bietet der Aristokratin (nicht etwa der Fran eines Post¬
boten) „eine Handvoll Banknoten," welche dem „Verleumder" den „Mund
stopfen" sollen; er weist sie um Mitternacht auf seineu wartenden Wagen hiu —
aber die Frau will noch immer uicht anbeißen. Da bringt er ihr endlich die
Mitteilung, daß ihr Vater fleckenlos dastehe — nnn wird die Göttin ihm doch
endlich den geschätzten Schoß öffnen — denn mit seiner Kunst hat es jetzt ein
Ende. Leider gewährt sie dem Edeln nur „Freundschaft," und der gefährliche
Mensch muß in den sauern Apfel beißen und sich einreden, daß das nun doch
das Beste sei! Läßt sich etwas denken, das alberner wäre?

Und wie es in diesen aristokratischen Kreisen zugeht! Die schönsten Vor¬
kommnisse habe ich schon hervorgehoben; aber nicht minder fein ist es, wenn
der Freiherr Lothar im Hause des Staatsbeamten, Vnron Erwin von Weidcgg,
den« Diener, welcher meldet, daß die gnädige Fran nicht zu sprechen sei, zuruft:
„Ich erwarte zuversichtlich, daß die Ereignisse des Tages die gnädige Fran noch
heute in die Stimmung bringen werden, mich zu empfangen." Oder wenn
Hertha, die Aristokrat»!, die Gesellschaft besucht und sagt: „Ich führe zum ersten¬
male meinen Gcburtstagsstaat spazieren: Armbänder, Fächer, Kollier, alles!"
gleich als wäre sie eine Barbicrstochter aus einem Landstädtchen. Und dieser
Leutnant Bruno, der den veralteten „Jardeleitncmt" an Albernheit und Unwissen¬
heit noch überbietet, aber uicht etwa ein verzärtelter Krautjunker ist, sondern
der Sohn eines Artillerie-Obersten, also ans einer Familie stammt, in der wohl
noch ganz andre Ansprüche an die Bildung ihrer Söhne gestellt werden,
als sie Herrn Blumenthal jemals nahegetreten sind! Mit einem Worte, an
dem ganzen Machwerk ist, abgesehen von einer kleinen Szene zwischen Liddy und
Bruno, die der Verfasser vielleicht irgendwo „gefunden" hat, alles elend, abge¬
schmackt und dilettantisch. Selbst die „Sprache," die ja soviel Bewunderung
bei den Kennern erregt, ist unsäglich reizlos und blüht gelegentlich in den
schönsten Formen. Wenn Fabricius fragt: „Ich darf auf Ihre Fürsprache
rechnen?" so antwortet Hertha: „Aus vollem Herzen." Hertha „fühlt es in
jedem Pulsschläge, daß hinter dem Eigensinn ein schmerzliches Geheimnis steckt,"
und „sucht" nach „diesem Rätsel," anstatt nach der Lösung desselben. Auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/488>, abgerufen am 20.10.2024.