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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Lothar bietet ihm seine "Vermittlung" an; der Graf erklärt aufs neue, daß
er "einen ehernen Schutz gegen die Meinung der Welt gewonnen" habe; und
Lothar teilt ihm nun endlich mit, daß jener Abenteurer dahinter gekommen sei,
"das; in dem Jahre des Krieges das Schicksal des Herzogtums von einem ge¬
heimen Staatsverträge abhangig war," daß aber "in der entscheidenden Stunde
dieser Gcheimvertrag verraten wurde, der Herzog infolge dessen den Thron
verlor," und daher "mit grausamer Folgerichtigkeit der Verdacht des Hoch¬
verrats auf den Minister sich lenken mußte."

Hertha, die von alledem schon ans dem Gründe noch nie etwas erfahren
hat, weil (ganz abgesehen von diesem nebelhaften "Geheimvertrage") der alte
Staatsmann allezeit unbefleckt vor der Welt gestanden hat, und gewiß, wenn
auch uur der leiseste Verdacht auf ihm gelastet hätte, in seinem hohen Kreise
gesellschaftlich unmöglich und nicht Schwiegervater eines angesehenen Staats¬
beamten geworden wäre, ruft nun bekümmert aus: "Aber so widersprich ihm
doch!" Nun erzählt aber der gransame Lothar weiter, daß er sich eines Be¬
suches des Grafen bei seinem Vater erinnere, daß damals der unglückliche Graf
"gebeugt und gebrochen" und mit "unaufhaltsam aus deu Augen brechenden
Thränen" das Geheimkabinet des alten Freiherrn von Mettenborn verlassen
und dieser dem Sohne dann "karg und dumpf" erklärt habe: "Das ist ein
Unglücklicher, der bei mir seine Verlorne Ehre gesucht hat, und ich kann sie ihm
nicht wiedergeben, ich darf's nicht, weil mir Amt nud Eid die Zunge fesseln."

Wir fassen uns nnn an den Kopf und fragen uns: Sind wir verrückt,
oder sind es die Menschen dort oben zwischen den schönen Möbeln?

Der Graf ist sich seiner Schuldlosigkeit nicht nur bewußt, sie ist ihm auch
(wenn wir überhaupt die unsinnige "politische" Voraussetzung gelten lassen
wollen) von allen Seiten anerkannt worden, schon allein dadurch, daß er mich
wie vor als Ehrenmann gegolten hat und gilt; sollte nun aber wirklich ein
Wicht von einem Zeitungsschreiber es wagen, in einer angesehenen Zeitschrift
den Ehrenmann zu verleumden, was hätte der Graf zu fürchten? Er würde
nur nötig haben, an die Negierung jenes Staates, an deu das Herzogtum "ver¬
raten" worden war, die Bitte zu richten, ihm, dem würdigen Staatsmanne, beizu¬
stehen; diese Negierung würde sich beeilen (wenn sie überhaupt so abgeschmackt
wäre, die Dummheit ernst z" nehmen), zu erklären: "Graf Vahlberg hat den
Geheimvertrag an uns nicht verraten," und die Sache wäre erledigt.

Das ist freilich leicht gesagt; aber Herr Blumenthal wollte doch ein vier-
ccktiges Schauspiel schreiben und "Sensation" erregen, wie wäre das möglich
gewesen, wenn seine Puppen bei Verstände geblieben wären? Nein, Verstand
ist etwas so Alltägliches, daß man sich wahrlich nicht an den Schreibtisch zu
setzen braucht, um ihm in einem geistvollen Drama zu seinem Rechte zu ver¬
helfen. Unser Graf gesteht denn auch seinem ahnungslosen Kinde, daß aller¬
dings die Sache sehr bedenklich sei, daß ein Verdacht auf ihm laste, den er "bis


Neue Theaterstücke.

Lothar bietet ihm seine „Vermittlung" an; der Graf erklärt aufs neue, daß
er „einen ehernen Schutz gegen die Meinung der Welt gewonnen" habe; und
Lothar teilt ihm nun endlich mit, daß jener Abenteurer dahinter gekommen sei,
„das; in dem Jahre des Krieges das Schicksal des Herzogtums von einem ge¬
heimen Staatsverträge abhangig war," daß aber „in der entscheidenden Stunde
dieser Gcheimvertrag verraten wurde, der Herzog infolge dessen den Thron
verlor," und daher „mit grausamer Folgerichtigkeit der Verdacht des Hoch¬
verrats auf den Minister sich lenken mußte."

Hertha, die von alledem schon ans dem Gründe noch nie etwas erfahren
hat, weil (ganz abgesehen von diesem nebelhaften „Geheimvertrage") der alte
Staatsmann allezeit unbefleckt vor der Welt gestanden hat, und gewiß, wenn
auch uur der leiseste Verdacht auf ihm gelastet hätte, in seinem hohen Kreise
gesellschaftlich unmöglich und nicht Schwiegervater eines angesehenen Staats¬
beamten geworden wäre, ruft nun bekümmert aus: „Aber so widersprich ihm
doch!" Nun erzählt aber der gransame Lothar weiter, daß er sich eines Be¬
suches des Grafen bei seinem Vater erinnere, daß damals der unglückliche Graf
„gebeugt und gebrochen" und mit „unaufhaltsam aus deu Augen brechenden
Thränen" das Geheimkabinet des alten Freiherrn von Mettenborn verlassen
und dieser dem Sohne dann „karg und dumpf" erklärt habe: „Das ist ein
Unglücklicher, der bei mir seine Verlorne Ehre gesucht hat, und ich kann sie ihm
nicht wiedergeben, ich darf's nicht, weil mir Amt nud Eid die Zunge fesseln."

Wir fassen uns nnn an den Kopf und fragen uns: Sind wir verrückt,
oder sind es die Menschen dort oben zwischen den schönen Möbeln?

Der Graf ist sich seiner Schuldlosigkeit nicht nur bewußt, sie ist ihm auch
(wenn wir überhaupt die unsinnige „politische" Voraussetzung gelten lassen
wollen) von allen Seiten anerkannt worden, schon allein dadurch, daß er mich
wie vor als Ehrenmann gegolten hat und gilt; sollte nun aber wirklich ein
Wicht von einem Zeitungsschreiber es wagen, in einer angesehenen Zeitschrift
den Ehrenmann zu verleumden, was hätte der Graf zu fürchten? Er würde
nur nötig haben, an die Negierung jenes Staates, an deu das Herzogtum „ver¬
raten" worden war, die Bitte zu richten, ihm, dem würdigen Staatsmanne, beizu¬
stehen; diese Negierung würde sich beeilen (wenn sie überhaupt so abgeschmackt
wäre, die Dummheit ernst z» nehmen), zu erklären: „Graf Vahlberg hat den
Geheimvertrag an uns nicht verraten," und die Sache wäre erledigt.

Das ist freilich leicht gesagt; aber Herr Blumenthal wollte doch ein vier-
ccktiges Schauspiel schreiben und „Sensation" erregen, wie wäre das möglich
gewesen, wenn seine Puppen bei Verstände geblieben wären? Nein, Verstand
ist etwas so Alltägliches, daß man sich wahrlich nicht an den Schreibtisch zu
setzen braucht, um ihm in einem geistvollen Drama zu seinem Rechte zu ver¬
helfen. Unser Graf gesteht denn auch seinem ahnungslosen Kinde, daß aller¬
dings die Sache sehr bedenklich sei, daß ein Verdacht auf ihm laste, den er „bis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/485>, abgerufen am 20.10.2024.