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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Lothar, der den Baron von Weidegg "nicht leiden" kann, was ihm Frau
Hertha im dritten Akte bemerkbar macht, und den anderseits Frau Hertha mit
ihrem "innigsten Hasse" beehrt, ist nämlich trotzdem ein vertrauter Freund des
Hauses, räkelt sich auf den Sesseln des Weidcggschen Salons herum und
drängt sich sogar am Geburtstage der Hansfrau in den Familienkreis, weil er
eben Gelegenheit erhalten muß, seine teuflischen Jagvkünste spielen zu lassen.
Er hat nämlich bereits Frau Hertha in ziemlich unverschämter Weise um eine
"geheime Unterredung" ersticht, ist aber natürlich in entschiedener Weise von der
guten Baronin abgefertigt worden, und beginnt jetzt damit, in Gegenwart ver-
schiedner Freunde des Hanfes den "Tropfen Gift" auszuspenden. Es ist von
den Skaudalaufsätzen in einer russischen Revue die Rede, und Lothar behauptet,
daß der Verfasser jeuer Aufsätze eine" ganz besondern "Streich" vorhabe, daß
er beabsichtige, "einen ergrauten Staatsmann in einer wirklich erbarmungslosen
Weise" bloßzustellen. Eine gutherzige, skandalsüchtige Baronin fragt entrüstet,
ob es "keine Waffen gegen solche Bubenstücke" gebe -- nud Lothar erwiedert,
daß "das Unheil in diesem Falle vielleicht noch abwendbar gewesen wäre," daß
aber, weil "ein treuer Verehrer des bedrohten Greises seine zärtliche Tochter
vergebens um eine Unterredung unter vier Augen gebeten habe," das Unglück
nicht aufzuhalten sei u. s. w. Natürlich wird Frau Hertha sofort unwohl, die Gäste
entfernen sich, und das bedrohte Opfer erklärt nun ihrem Feinde, daß ihr Vater
(denn sie ist klug genug, um sofort zu erkennen, daß es sich um ihren Vater
handelt) "gegen verleumderische Ausstreuungen keinen Beschützer brauche und
keinen Verteidiger," daß die "fleckenlose Reinheit der Ehre des Grafen Vcchlberg
keines Beweises bedürfe."

Nachdem wir uns darüber klar geworden sind, daß Hertha vor einem Ge¬
heimnis steht, wie wir selbst, so sind wir begreiflicherweise sehr begierig darauf,
etwas von den "Thatsachen" zu hören, die jenen "Verleumdungen" zu Grnnde
liegen; deshalb tritt denn auch der alte Graf herein und wird zunächst von Lothar
darauf aufmerksam gemacht, daß er "der Minister des Herzogs Karl Theodor
war," daß er dann "plötzlich in einer schicksalsschweren Stunde aus dem Amte
geschieden, und eben die eigentümliche Geschichte dieser Stunde --"

"Um Verzeihung, mein Herr (der Graf redet den Freiherr" in der That
als "mein Herr" an!), die Geschichte dieser Stunde ist ein Geheimnis zwischen
mir und dem Herzog geblieben -- der Herzog hat es unangetastet mit ins Grab
genommen, und ich gestatte niemandem, auch mir mit der Fingerspitze daran
zu rühren" -- unterbricht ihn die alte Exzellenz; Nur sehen also, daß die Ver-
leumdung in der That ans sehr wackligen Füßen steht.

Aber Lothar hat sein Ziel im Ange; deshalb fährt er heimtückisch fort:
"Und dennoch steht ein Abenteurer im Begriffe, dies Geheimnis auf öffent¬
lichem Markte zu erörtern."

Jetzt bekommt der sich seiner Unschuld bewußte Graf einen Schreck:


Neue Theaterstücke.

Lothar, der den Baron von Weidegg „nicht leiden" kann, was ihm Frau
Hertha im dritten Akte bemerkbar macht, und den anderseits Frau Hertha mit
ihrem „innigsten Hasse" beehrt, ist nämlich trotzdem ein vertrauter Freund des
Hauses, räkelt sich auf den Sesseln des Weidcggschen Salons herum und
drängt sich sogar am Geburtstage der Hansfrau in den Familienkreis, weil er
eben Gelegenheit erhalten muß, seine teuflischen Jagvkünste spielen zu lassen.
Er hat nämlich bereits Frau Hertha in ziemlich unverschämter Weise um eine
„geheime Unterredung" ersticht, ist aber natürlich in entschiedener Weise von der
guten Baronin abgefertigt worden, und beginnt jetzt damit, in Gegenwart ver-
schiedner Freunde des Hanfes den „Tropfen Gift" auszuspenden. Es ist von
den Skaudalaufsätzen in einer russischen Revue die Rede, und Lothar behauptet,
daß der Verfasser jeuer Aufsätze eine» ganz besondern „Streich" vorhabe, daß
er beabsichtige, „einen ergrauten Staatsmann in einer wirklich erbarmungslosen
Weise" bloßzustellen. Eine gutherzige, skandalsüchtige Baronin fragt entrüstet,
ob es „keine Waffen gegen solche Bubenstücke" gebe — nud Lothar erwiedert,
daß „das Unheil in diesem Falle vielleicht noch abwendbar gewesen wäre," daß
aber, weil „ein treuer Verehrer des bedrohten Greises seine zärtliche Tochter
vergebens um eine Unterredung unter vier Augen gebeten habe," das Unglück
nicht aufzuhalten sei u. s. w. Natürlich wird Frau Hertha sofort unwohl, die Gäste
entfernen sich, und das bedrohte Opfer erklärt nun ihrem Feinde, daß ihr Vater
(denn sie ist klug genug, um sofort zu erkennen, daß es sich um ihren Vater
handelt) „gegen verleumderische Ausstreuungen keinen Beschützer brauche und
keinen Verteidiger," daß die „fleckenlose Reinheit der Ehre des Grafen Vcchlberg
keines Beweises bedürfe."

Nachdem wir uns darüber klar geworden sind, daß Hertha vor einem Ge¬
heimnis steht, wie wir selbst, so sind wir begreiflicherweise sehr begierig darauf,
etwas von den „Thatsachen" zu hören, die jenen „Verleumdungen" zu Grnnde
liegen; deshalb tritt denn auch der alte Graf herein und wird zunächst von Lothar
darauf aufmerksam gemacht, daß er „der Minister des Herzogs Karl Theodor
war," daß er dann „plötzlich in einer schicksalsschweren Stunde aus dem Amte
geschieden, und eben die eigentümliche Geschichte dieser Stunde —"

„Um Verzeihung, mein Herr (der Graf redet den Freiherr» in der That
als »mein Herr« an!), die Geschichte dieser Stunde ist ein Geheimnis zwischen
mir und dem Herzog geblieben — der Herzog hat es unangetastet mit ins Grab
genommen, und ich gestatte niemandem, auch mir mit der Fingerspitze daran
zu rühren" — unterbricht ihn die alte Exzellenz; Nur sehen also, daß die Ver-
leumdung in der That ans sehr wackligen Füßen steht.

Aber Lothar hat sein Ziel im Ange; deshalb fährt er heimtückisch fort:
„Und dennoch steht ein Abenteurer im Begriffe, dies Geheimnis auf öffent¬
lichem Markte zu erörtern."

Jetzt bekommt der sich seiner Unschuld bewußte Graf einen Schreck:


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[0484] Neue Theaterstücke. Lothar, der den Baron von Weidegg „nicht leiden" kann, was ihm Frau Hertha im dritten Akte bemerkbar macht, und den anderseits Frau Hertha mit ihrem „innigsten Hasse" beehrt, ist nämlich trotzdem ein vertrauter Freund des Hauses, räkelt sich auf den Sesseln des Weidcggschen Salons herum und drängt sich sogar am Geburtstage der Hansfrau in den Familienkreis, weil er eben Gelegenheit erhalten muß, seine teuflischen Jagvkünste spielen zu lassen. Er hat nämlich bereits Frau Hertha in ziemlich unverschämter Weise um eine „geheime Unterredung" ersticht, ist aber natürlich in entschiedener Weise von der guten Baronin abgefertigt worden, und beginnt jetzt damit, in Gegenwart ver- schiedner Freunde des Hanfes den „Tropfen Gift" auszuspenden. Es ist von den Skaudalaufsätzen in einer russischen Revue die Rede, und Lothar behauptet, daß der Verfasser jeuer Aufsätze eine» ganz besondern „Streich" vorhabe, daß er beabsichtige, „einen ergrauten Staatsmann in einer wirklich erbarmungslosen Weise" bloßzustellen. Eine gutherzige, skandalsüchtige Baronin fragt entrüstet, ob es „keine Waffen gegen solche Bubenstücke" gebe — nud Lothar erwiedert, daß „das Unheil in diesem Falle vielleicht noch abwendbar gewesen wäre," daß aber, weil „ein treuer Verehrer des bedrohten Greises seine zärtliche Tochter vergebens um eine Unterredung unter vier Augen gebeten habe," das Unglück nicht aufzuhalten sei u. s. w. Natürlich wird Frau Hertha sofort unwohl, die Gäste entfernen sich, und das bedrohte Opfer erklärt nun ihrem Feinde, daß ihr Vater (denn sie ist klug genug, um sofort zu erkennen, daß es sich um ihren Vater handelt) „gegen verleumderische Ausstreuungen keinen Beschützer brauche und keinen Verteidiger," daß die „fleckenlose Reinheit der Ehre des Grafen Vcchlberg keines Beweises bedürfe." Nachdem wir uns darüber klar geworden sind, daß Hertha vor einem Ge¬ heimnis steht, wie wir selbst, so sind wir begreiflicherweise sehr begierig darauf, etwas von den „Thatsachen" zu hören, die jenen „Verleumdungen" zu Grnnde liegen; deshalb tritt denn auch der alte Graf herein und wird zunächst von Lothar darauf aufmerksam gemacht, daß er „der Minister des Herzogs Karl Theodor war," daß er dann „plötzlich in einer schicksalsschweren Stunde aus dem Amte geschieden, und eben die eigentümliche Geschichte dieser Stunde —" „Um Verzeihung, mein Herr (der Graf redet den Freiherr» in der That als »mein Herr« an!), die Geschichte dieser Stunde ist ein Geheimnis zwischen mir und dem Herzog geblieben — der Herzog hat es unangetastet mit ins Grab genommen, und ich gestatte niemandem, auch mir mit der Fingerspitze daran zu rühren" — unterbricht ihn die alte Exzellenz; Nur sehen also, daß die Ver- leumdung in der That ans sehr wackligen Füßen steht. Aber Lothar hat sein Ziel im Ange; deshalb fährt er heimtückisch fort: „Und dennoch steht ein Abenteurer im Begriffe, dies Geheimnis auf öffent¬ lichem Markte zu erörtern." Jetzt bekommt der sich seiner Unschuld bewußte Graf einen Schreck:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/484>, abgerufen am 15.01.2025.