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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Literatur in Frankreich.

hervor als der "Tod Abels." Andre Chenier hat sich nicht nur an den antiken
Bnkolikcrn, auch an Geßner gebildet; Chönedolle, der Dichter des (Zonis Ah
1'llonnno, las die Idyllen auf einer Neise im Winter 1789 mitten auf freiem
Felde. "Ich hatte selten ein so lebhaftes Vergnügen, einen so mächtigen Zauber
empfunden, erzählte er später. Ich hatte das Gefühl der Poesie im höchsten
Grade." In seinen eignen Werken zeigt er sich vielfach von Geßner angeregt.
Von minder hervorragenden Nachahmern sei nur jener Beraum genannt, der
das revolutionäre Frankreich mit Jugendschriften versorgte, ferner Luonard,
Florian und Raillon: dieser letztere schrieb seine Idyllen bereits mitten unter
den Stürmen der Revolution.

Schon Schiller hat die merkwürdige Erscheinung zu erklären versucht, daß
eine sittlich verderbte Gesellschaft sich gerade von jeuer Poesie, welche die
einfachsten Zustände malt, am meisten angezogen fühlt. Auf seine Deutung ist
man später immer wieder zurückgekommen; auch Süpfle schließt sich derselben
an, wenn er sagt: "Der empfindsame Dichter -- Geßner -- schilderte ....
vorzugsweise die ruhige und beruhigende Lieblichkeit der Natur, welche das
Glück unverdorbener und tugendhafter Mensche" begünstigte. Zu diesen fried¬
lichen Naturszenen nun, zu den sanften und reinen Gefühlen, welche dabei zum
Ausdruck kamen, fühlte sich durch die Macht des Gegensatzes die von Über-
feinerung und Genußsucht ermüdete französische Gesellschaft jener Zeit mächtig
hingezogen. Den Rousseciuschen Traum von einem beseligenden Naturzustände,
welcher so viele Gläubige zählte, entsprach bis zu einem gewissen Grade auch
die Geßnerschc Schcifcrwelt."

Dagegen scheint nun die Klopstvcksche Muse gar nichts Verwandtes mit der
französischen Gcistcsart des vorigen Jahrhunderts zu haben. Dennoch fand
auch sie in Frankreich von allem Anfang an Teilnahme, Anerkennung, ja be¬
geisterte Huldigung.

Freron war der erste, der aus den "Messias" aufmerksam machte; das
^lonrnal veram^ol.- brachte dann vom August 1760 bis zum November 1761
einen Auszug aus den zehn ersten Gesängen, die Übersetzung mehrerer Stellen
sowie die Zueignuugsschrift und eine Erklärung der metrischen Grundsätze
Klopstocks. Dabei wird dem Werke das größte Lob gespendet: d<Z8t ig, noösiö
Ä'IIoinvrs a,880rvio a vollo an>8 nrovliots". Daß Turgot den Anfang des
"Messias" zu übersetzen versuchte, konnten wir bereits erwähnen, es wird den
Lesern vielleicht nicht ohne Interesse fein, feilte Übertragung der sieben ersten
Verse kennen zu lernen: ^uro imortollö! "llianto la rsävntption "1o 1'Ironuno
xvellonr <iue lo N"Z8"lo a opurvo 8ur ig, torro Aar8 8"n Innnanito 8aoroo ot
xar laquells, an prix ein sanZ eis 1a ssüitv allianvv, II g, 1u.le rooouvrer aux
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I'Dternczl! IIr vain Latan 8'slöva foudre lo in8 An ?rv8-Haut; su vain 1a
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Deutsche Literatur in Frankreich.

hervor als der „Tod Abels." Andre Chenier hat sich nicht nur an den antiken
Bnkolikcrn, auch an Geßner gebildet; Chönedolle, der Dichter des (Zonis Ah
1'llonnno, las die Idyllen auf einer Neise im Winter 1789 mitten auf freiem
Felde. „Ich hatte selten ein so lebhaftes Vergnügen, einen so mächtigen Zauber
empfunden, erzählte er später. Ich hatte das Gefühl der Poesie im höchsten
Grade." In seinen eignen Werken zeigt er sich vielfach von Geßner angeregt.
Von minder hervorragenden Nachahmern sei nur jener Beraum genannt, der
das revolutionäre Frankreich mit Jugendschriften versorgte, ferner Luonard,
Florian und Raillon: dieser letztere schrieb seine Idyllen bereits mitten unter
den Stürmen der Revolution.

Schon Schiller hat die merkwürdige Erscheinung zu erklären versucht, daß
eine sittlich verderbte Gesellschaft sich gerade von jeuer Poesie, welche die
einfachsten Zustände malt, am meisten angezogen fühlt. Auf seine Deutung ist
man später immer wieder zurückgekommen; auch Süpfle schließt sich derselben
an, wenn er sagt: „Der empfindsame Dichter — Geßner — schilderte ....
vorzugsweise die ruhige und beruhigende Lieblichkeit der Natur, welche das
Glück unverdorbener und tugendhafter Mensche» begünstigte. Zu diesen fried¬
lichen Naturszenen nun, zu den sanften und reinen Gefühlen, welche dabei zum
Ausdruck kamen, fühlte sich durch die Macht des Gegensatzes die von Über-
feinerung und Genußsucht ermüdete französische Gesellschaft jener Zeit mächtig
hingezogen. Den Rousseciuschen Traum von einem beseligenden Naturzustände,
welcher so viele Gläubige zählte, entsprach bis zu einem gewissen Grade auch
die Geßnerschc Schcifcrwelt."

Dagegen scheint nun die Klopstvcksche Muse gar nichts Verwandtes mit der
französischen Gcistcsart des vorigen Jahrhunderts zu haben. Dennoch fand
auch sie in Frankreich von allem Anfang an Teilnahme, Anerkennung, ja be¬
geisterte Huldigung.

Freron war der erste, der aus den „Messias" aufmerksam machte; das
^lonrnal veram^ol.- brachte dann vom August 1760 bis zum November 1761
einen Auszug aus den zehn ersten Gesängen, die Übersetzung mehrerer Stellen
sowie die Zueignuugsschrift und eine Erklärung der metrischen Grundsätze
Klopstocks. Dabei wird dem Werke das größte Lob gespendet: d<Z8t ig, noösiö
Ä'IIoinvrs a,880rvio a vollo an>8 nrovliots«. Daß Turgot den Anfang des
„Messias" zu übersetzen versuchte, konnten wir bereits erwähnen, es wird den
Lesern vielleicht nicht ohne Interesse fein, feilte Übertragung der sieben ersten
Verse kennen zu lernen: ^uro imortollö! «llianto la rsävntption «1o 1'Ironuno
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[0480] Deutsche Literatur in Frankreich. hervor als der „Tod Abels." Andre Chenier hat sich nicht nur an den antiken Bnkolikcrn, auch an Geßner gebildet; Chönedolle, der Dichter des (Zonis Ah 1'llonnno, las die Idyllen auf einer Neise im Winter 1789 mitten auf freiem Felde. „Ich hatte selten ein so lebhaftes Vergnügen, einen so mächtigen Zauber empfunden, erzählte er später. Ich hatte das Gefühl der Poesie im höchsten Grade." In seinen eignen Werken zeigt er sich vielfach von Geßner angeregt. Von minder hervorragenden Nachahmern sei nur jener Beraum genannt, der das revolutionäre Frankreich mit Jugendschriften versorgte, ferner Luonard, Florian und Raillon: dieser letztere schrieb seine Idyllen bereits mitten unter den Stürmen der Revolution. Schon Schiller hat die merkwürdige Erscheinung zu erklären versucht, daß eine sittlich verderbte Gesellschaft sich gerade von jeuer Poesie, welche die einfachsten Zustände malt, am meisten angezogen fühlt. Auf seine Deutung ist man später immer wieder zurückgekommen; auch Süpfle schließt sich derselben an, wenn er sagt: „Der empfindsame Dichter — Geßner — schilderte .... vorzugsweise die ruhige und beruhigende Lieblichkeit der Natur, welche das Glück unverdorbener und tugendhafter Mensche» begünstigte. Zu diesen fried¬ lichen Naturszenen nun, zu den sanften und reinen Gefühlen, welche dabei zum Ausdruck kamen, fühlte sich durch die Macht des Gegensatzes die von Über- feinerung und Genußsucht ermüdete französische Gesellschaft jener Zeit mächtig hingezogen. Den Rousseciuschen Traum von einem beseligenden Naturzustände, welcher so viele Gläubige zählte, entsprach bis zu einem gewissen Grade auch die Geßnerschc Schcifcrwelt." Dagegen scheint nun die Klopstvcksche Muse gar nichts Verwandtes mit der französischen Gcistcsart des vorigen Jahrhunderts zu haben. Dennoch fand auch sie in Frankreich von allem Anfang an Teilnahme, Anerkennung, ja be¬ geisterte Huldigung. Freron war der erste, der aus den „Messias" aufmerksam machte; das ^lonrnal veram^ol.- brachte dann vom August 1760 bis zum November 1761 einen Auszug aus den zehn ersten Gesängen, die Übersetzung mehrerer Stellen sowie die Zueignuugsschrift und eine Erklärung der metrischen Grundsätze Klopstocks. Dabei wird dem Werke das größte Lob gespendet: d<Z8t ig, noösiö Ä'IIoinvrs a,880rvio a vollo an>8 nrovliots«. Daß Turgot den Anfang des „Messias" zu übersetzen versuchte, konnten wir bereits erwähnen, es wird den Lesern vielleicht nicht ohne Interesse fein, feilte Übertragung der sieben ersten Verse kennen zu lernen: ^uro imortollö! «llianto la rsävntption «1o 1'Ironuno xvellonr <iue lo N«Z8»lo a opurvo 8ur ig, torro Aar8 8»n Innnanito 8aoroo ot xar laquells, an prix ein sanZ eis 1a ssüitv allianvv, II g, 1u.le rooouvrer aux enlum8 Ä'^llarn 1a tavonr alö til, vlvlultu: ^.lust 8'avL0MxIl88on 1a volonts as I'Dternczl! IIr vain Latan 8'slöva foudre lo in8 An ?rv8-Haut; su vain 1a «Inclvo oonsMÄ ooutrs Jul. II xonrsuivit 8«s av83eins se vousonullg. 1a granÄs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/480>, abgerufen am 20.10.2024.