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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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schaftlichkeit nicht zu reden, von der wohl bei einem Examen überhaupt nur
ouili AiAno "Ms die Rede sein kann.

Wenn übrigens Lißt den Hauptmangel des preußischen Prüfnngswescns
darin erblickt, daß die ganze Einrichtung des ersten Examens im wesentlichen
in das freie Ermessen des Justizministers gestellt wird, so ist dieser Vorwurf
nicht recht verständlich. Glaube Lißt, daß der preußische Justizminister nicht
das lebhafteste Interesse an der Heranbildung eines möglichst tüchtigen Juristeu¬
standes habe? oder bezweifelt er, daß ein ministerielles Regulativ ebensogut
alleu begründeten Reformansprüchen genügen könne, wie ein Gesetz? Die Quelle,
aus der die maßgebende Norm fließt, ist doch wirklich herzlich gleichgiltig, ja
es muß behauptet werden, daß selbst im Rahmen des bestehenden Regulativs
durch eine straffere Anziehung der den Präsidenten der Prüfungskommissionen
in die Hand gegebnen Zügel ein ganz bedeutender Teil der hauptsächlich ge¬
rügten Mängel verschwinden würde.

Schließlich noch ein Wort über zwei Beschuldigungen allgemeiner Natur,
die Lißt erhebt.

Einmal das mangelnde Interesse der jungen Juristen an Erweiterung oder
Vertiefung ihrer allgemeinen Bildung. Es mag wahr sein, daß die Angehörigen
der juristischen Fakultät die ihnen auf der Universität gebotene Gelegenheit, ihr
Wissen auch außerhalb des Gebietes ihrer Berufswissenschaft zu erweitern, nicht
in der wünschenswerten Weise ausnutzen; eine Thatsache, die allerdings in
hohem Grade bedauerlich sein würde. Allein ich glaube uicht, daß dies ein
Vorwurf sei, der die Juristen mehr als die Angehörigen andrer Fakultäten
trifft. Zunächst wird man, glaube ich, gerade unter den Juristen noch am
ehesten Persönlichkeiten finden, die nicht bloß ihrem Fach leben, sondern daneben
noch mit Ernst und Eifer andre Zweige der Wissenschaften betreiben. Darüber
hinaus aber und wenn man nnter allgemeiner Bildung eine nach allen Seiten
hin gleichmäßig abgerundete versteht, wird mau nach meinen Erfahrungen und
Beobachtungen im praktischen Leben auch nnter den Angehörigen der übrigen
Fakultäten wenige finden, die sich einer allgemeinen Bildung in diesem Sinne,
ja auch nur des Strebens darnach rühmen dürften. Um mir ein Beispiel hervor¬
zuheben, so muß doch wohl die Kenntnis der Elementarbegriffe der Volkswirt¬
schaftslehre bei den Aufgaben, die das Leben der Gegenwart stellt und bei
deren Lösung alle geistigen Kräfte der Nation zur Mitwirkung berufen sind,
uicht bloß für die Juristen, sondern für alle akademisch Gebildeten als Forde¬
rung aufgestellt werden. Man veranstalte aber doch einmal eine sogenannte En-
anete unter den Theologen, Lehrern oder Ärzten, um zu sehen, wie viele unter
ihnen von den einfachsten Grundbegriffen, sagen wir z. V. von dem Malthns-
schen Bevölkerungsgesetz oder der Grundrententheorie Ricardos, auch nur eine
oberflächliche Kenntnis haben; ich glaube, man würde recht bedauerliche Er-
fcchruugeu machen. Und nicht anders würde es mit der Geschichtswissenschaft, der


schaftlichkeit nicht zu reden, von der wohl bei einem Examen überhaupt nur
ouili AiAno «Ms die Rede sein kann.

Wenn übrigens Lißt den Hauptmangel des preußischen Prüfnngswescns
darin erblickt, daß die ganze Einrichtung des ersten Examens im wesentlichen
in das freie Ermessen des Justizministers gestellt wird, so ist dieser Vorwurf
nicht recht verständlich. Glaube Lißt, daß der preußische Justizminister nicht
das lebhafteste Interesse an der Heranbildung eines möglichst tüchtigen Juristeu¬
standes habe? oder bezweifelt er, daß ein ministerielles Regulativ ebensogut
alleu begründeten Reformansprüchen genügen könne, wie ein Gesetz? Die Quelle,
aus der die maßgebende Norm fließt, ist doch wirklich herzlich gleichgiltig, ja
es muß behauptet werden, daß selbst im Rahmen des bestehenden Regulativs
durch eine straffere Anziehung der den Präsidenten der Prüfungskommissionen
in die Hand gegebnen Zügel ein ganz bedeutender Teil der hauptsächlich ge¬
rügten Mängel verschwinden würde.

Schließlich noch ein Wort über zwei Beschuldigungen allgemeiner Natur,
die Lißt erhebt.

Einmal das mangelnde Interesse der jungen Juristen an Erweiterung oder
Vertiefung ihrer allgemeinen Bildung. Es mag wahr sein, daß die Angehörigen
der juristischen Fakultät die ihnen auf der Universität gebotene Gelegenheit, ihr
Wissen auch außerhalb des Gebietes ihrer Berufswissenschaft zu erweitern, nicht
in der wünschenswerten Weise ausnutzen; eine Thatsache, die allerdings in
hohem Grade bedauerlich sein würde. Allein ich glaube uicht, daß dies ein
Vorwurf sei, der die Juristen mehr als die Angehörigen andrer Fakultäten
trifft. Zunächst wird man, glaube ich, gerade unter den Juristen noch am
ehesten Persönlichkeiten finden, die nicht bloß ihrem Fach leben, sondern daneben
noch mit Ernst und Eifer andre Zweige der Wissenschaften betreiben. Darüber
hinaus aber und wenn man nnter allgemeiner Bildung eine nach allen Seiten
hin gleichmäßig abgerundete versteht, wird mau nach meinen Erfahrungen und
Beobachtungen im praktischen Leben auch nnter den Angehörigen der übrigen
Fakultäten wenige finden, die sich einer allgemeinen Bildung in diesem Sinne,
ja auch nur des Strebens darnach rühmen dürften. Um mir ein Beispiel hervor¬
zuheben, so muß doch wohl die Kenntnis der Elementarbegriffe der Volkswirt¬
schaftslehre bei den Aufgaben, die das Leben der Gegenwart stellt und bei
deren Lösung alle geistigen Kräfte der Nation zur Mitwirkung berufen sind,
uicht bloß für die Juristen, sondern für alle akademisch Gebildeten als Forde¬
rung aufgestellt werden. Man veranstalte aber doch einmal eine sogenannte En-
anete unter den Theologen, Lehrern oder Ärzten, um zu sehen, wie viele unter
ihnen von den einfachsten Grundbegriffen, sagen wir z. V. von dem Malthns-
schen Bevölkerungsgesetz oder der Grundrententheorie Ricardos, auch nur eine
oberflächliche Kenntnis haben; ich glaube, man würde recht bedauerliche Er-
fcchruugeu machen. Und nicht anders würde es mit der Geschichtswissenschaft, der


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[0472] schaftlichkeit nicht zu reden, von der wohl bei einem Examen überhaupt nur ouili AiAno «Ms die Rede sein kann. Wenn übrigens Lißt den Hauptmangel des preußischen Prüfnngswescns darin erblickt, daß die ganze Einrichtung des ersten Examens im wesentlichen in das freie Ermessen des Justizministers gestellt wird, so ist dieser Vorwurf nicht recht verständlich. Glaube Lißt, daß der preußische Justizminister nicht das lebhafteste Interesse an der Heranbildung eines möglichst tüchtigen Juristeu¬ standes habe? oder bezweifelt er, daß ein ministerielles Regulativ ebensogut alleu begründeten Reformansprüchen genügen könne, wie ein Gesetz? Die Quelle, aus der die maßgebende Norm fließt, ist doch wirklich herzlich gleichgiltig, ja es muß behauptet werden, daß selbst im Rahmen des bestehenden Regulativs durch eine straffere Anziehung der den Präsidenten der Prüfungskommissionen in die Hand gegebnen Zügel ein ganz bedeutender Teil der hauptsächlich ge¬ rügten Mängel verschwinden würde. Schließlich noch ein Wort über zwei Beschuldigungen allgemeiner Natur, die Lißt erhebt. Einmal das mangelnde Interesse der jungen Juristen an Erweiterung oder Vertiefung ihrer allgemeinen Bildung. Es mag wahr sein, daß die Angehörigen der juristischen Fakultät die ihnen auf der Universität gebotene Gelegenheit, ihr Wissen auch außerhalb des Gebietes ihrer Berufswissenschaft zu erweitern, nicht in der wünschenswerten Weise ausnutzen; eine Thatsache, die allerdings in hohem Grade bedauerlich sein würde. Allein ich glaube uicht, daß dies ein Vorwurf sei, der die Juristen mehr als die Angehörigen andrer Fakultäten trifft. Zunächst wird man, glaube ich, gerade unter den Juristen noch am ehesten Persönlichkeiten finden, die nicht bloß ihrem Fach leben, sondern daneben noch mit Ernst und Eifer andre Zweige der Wissenschaften betreiben. Darüber hinaus aber und wenn man nnter allgemeiner Bildung eine nach allen Seiten hin gleichmäßig abgerundete versteht, wird mau nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen im praktischen Leben auch nnter den Angehörigen der übrigen Fakultäten wenige finden, die sich einer allgemeinen Bildung in diesem Sinne, ja auch nur des Strebens darnach rühmen dürften. Um mir ein Beispiel hervor¬ zuheben, so muß doch wohl die Kenntnis der Elementarbegriffe der Volkswirt¬ schaftslehre bei den Aufgaben, die das Leben der Gegenwart stellt und bei deren Lösung alle geistigen Kräfte der Nation zur Mitwirkung berufen sind, uicht bloß für die Juristen, sondern für alle akademisch Gebildeten als Forde¬ rung aufgestellt werden. Man veranstalte aber doch einmal eine sogenannte En- anete unter den Theologen, Lehrern oder Ärzten, um zu sehen, wie viele unter ihnen von den einfachsten Grundbegriffen, sagen wir z. V. von dem Malthns- schen Bevölkerungsgesetz oder der Grundrententheorie Ricardos, auch nur eine oberflächliche Kenntnis haben; ich glaube, man würde recht bedauerliche Er- fcchruugeu machen. Und nicht anders würde es mit der Geschichtswissenschaft, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/472>, abgerufen am 20.10.2024.