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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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und des Lebens beeinflußt, hat keine Einwirkung auf die Geschicke der Kirche
gehabt; seine ihm nach den Satzungen des Katholizismus obliegende Aufgabe
war es, um der Heilspendnngen teilhaftig zu werden, zu gehorchen und sich der
göttlichen Leitung seiner Oberhirten zu fügen. Diese Stellung der Laien hat
unzweifelhaft die katholische Kirche durch alle Bedrängnisse hiudurchgefiihrt und
stets in ihrer Macht und ihrem Wesen erhalten, deun der Blick der Leitung konnte
auf das allgemeine Ziel gerichtet bleiben, dem gegenüber sich die Bedürfnisse
und Wünsche eines Volkes oder irgend eines sonstigen Bruchteiles desselben zu
fügen hatten. Daher kommt es unter andern, daß die Stellung der katholischen
Kirche in andern verschiednen Staaten eine verschiedne ist, daß sie der einen Ne¬
gierung verweigert, was sie der andern zuerkennt, daß in dem einen Staate als
gottlos gilt, was in dem andern erlaubt ist. Niemals hat die Leitung der
katholischen Kirche sich bewegen lassen, um der Milderung eines Notstandes in
einem Bruchteile etwas von ihren Grundsätzen aufzugeben, das Volk hat sich
dieser Politik blindlings fügen müssen, und dergleichen vorübergehende, wenn
auch oft Jahrzehnte dauernde Perioden endeten in der Regel damit, daß die
katholische Kirche in ihren Grundvesten unerschüttert blieb. Die Reformation
hat der katholischen Kirche nur einzelne geographische Gebiete entziehen können,
für die sie sich in andern Weltteilen doppelt schadlos gehalten hat, wie die
außerordentliche Propaganda in den Vereinigten Staaten von Amerika und
in andern überseeischen Ländern beweist. Die französische Revolution hat
liberall in dem innern und äußern Staatsleben die größten Umwälzungen
hervorgerufen, uur die katholische Kirche ist aus derselben unberührt hervor¬
gegangen; sie hat den Gallikcmismus und Jansenismus zu unterdrücken ver¬
standen, sie hat es vermocht, den Jesuitenorden aufzuheben und wieder zu er¬
neuern, alles dies, weil nur ein Wille maßgebend war, weil diesem in den
Bischöfen geschickte und willige Gehilfen die Wege bahnten, und weil das Volk,
ohne zu frage" und ohne zu murren, gehorchte. Die Parteien, welche, wie
überall an dem Sitze einer Regierung, so much im Vatikan vorhanden waren,
beschränkten sich auf den kleinen Kreis des heiligen Kollegiums, der Papst-
kaudidaten, die höchstens verschiedene weltliche Interessen, Bestrebungen ita¬
lienischer Fürsten oder auch andrer mächtiger Könige und Herren, zu fordern
suchten, aber das Wesen der Kirche nicht berührten; nie sind bei einer Papst¬
wahl oder bei sonstigen Maßnahmen der katholischen Kirche die Wünsche eines
Volkes von Bedeutung oder gar von Einfluß gewesen.

Die katholische Kirche hat sich vermöge der Art ihrer Organisation natur¬
gemäß mehr zu dem absoluten Staatswesen angezogen gefühlt; hier war ihr
Einfluß ein sehr viel mächtiger; wie sich die katholische Kirche des Schutzes
des weltlichen Armes erfreute, so vermochte sie wiederum durch ihren Ein¬
fluß auf die Gemüter dem Throne eine Stütze zu gewähren. Die fran¬
zösische Revolution hat zwar gezeigt, daß diese gegenseitige Unterstützung nicht


und des Lebens beeinflußt, hat keine Einwirkung auf die Geschicke der Kirche
gehabt; seine ihm nach den Satzungen des Katholizismus obliegende Aufgabe
war es, um der Heilspendnngen teilhaftig zu werden, zu gehorchen und sich der
göttlichen Leitung seiner Oberhirten zu fügen. Diese Stellung der Laien hat
unzweifelhaft die katholische Kirche durch alle Bedrängnisse hiudurchgefiihrt und
stets in ihrer Macht und ihrem Wesen erhalten, deun der Blick der Leitung konnte
auf das allgemeine Ziel gerichtet bleiben, dem gegenüber sich die Bedürfnisse
und Wünsche eines Volkes oder irgend eines sonstigen Bruchteiles desselben zu
fügen hatten. Daher kommt es unter andern, daß die Stellung der katholischen
Kirche in andern verschiednen Staaten eine verschiedne ist, daß sie der einen Ne¬
gierung verweigert, was sie der andern zuerkennt, daß in dem einen Staate als
gottlos gilt, was in dem andern erlaubt ist. Niemals hat die Leitung der
katholischen Kirche sich bewegen lassen, um der Milderung eines Notstandes in
einem Bruchteile etwas von ihren Grundsätzen aufzugeben, das Volk hat sich
dieser Politik blindlings fügen müssen, und dergleichen vorübergehende, wenn
auch oft Jahrzehnte dauernde Perioden endeten in der Regel damit, daß die
katholische Kirche in ihren Grundvesten unerschüttert blieb. Die Reformation
hat der katholischen Kirche nur einzelne geographische Gebiete entziehen können,
für die sie sich in andern Weltteilen doppelt schadlos gehalten hat, wie die
außerordentliche Propaganda in den Vereinigten Staaten von Amerika und
in andern überseeischen Ländern beweist. Die französische Revolution hat
liberall in dem innern und äußern Staatsleben die größten Umwälzungen
hervorgerufen, uur die katholische Kirche ist aus derselben unberührt hervor¬
gegangen; sie hat den Gallikcmismus und Jansenismus zu unterdrücken ver¬
standen, sie hat es vermocht, den Jesuitenorden aufzuheben und wieder zu er¬
neuern, alles dies, weil nur ein Wille maßgebend war, weil diesem in den
Bischöfen geschickte und willige Gehilfen die Wege bahnten, und weil das Volk,
ohne zu frage» und ohne zu murren, gehorchte. Die Parteien, welche, wie
überall an dem Sitze einer Regierung, so much im Vatikan vorhanden waren,
beschränkten sich auf den kleinen Kreis des heiligen Kollegiums, der Papst-
kaudidaten, die höchstens verschiedene weltliche Interessen, Bestrebungen ita¬
lienischer Fürsten oder auch andrer mächtiger Könige und Herren, zu fordern
suchten, aber das Wesen der Kirche nicht berührten; nie sind bei einer Papst¬
wahl oder bei sonstigen Maßnahmen der katholischen Kirche die Wünsche eines
Volkes von Bedeutung oder gar von Einfluß gewesen.

Die katholische Kirche hat sich vermöge der Art ihrer Organisation natur¬
gemäß mehr zu dem absoluten Staatswesen angezogen gefühlt; hier war ihr
Einfluß ein sehr viel mächtiger; wie sich die katholische Kirche des Schutzes
des weltlichen Armes erfreute, so vermochte sie wiederum durch ihren Ein¬
fluß auf die Gemüter dem Throne eine Stütze zu gewähren. Die fran¬
zösische Revolution hat zwar gezeigt, daß diese gegenseitige Unterstützung nicht


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[0459] und des Lebens beeinflußt, hat keine Einwirkung auf die Geschicke der Kirche gehabt; seine ihm nach den Satzungen des Katholizismus obliegende Aufgabe war es, um der Heilspendnngen teilhaftig zu werden, zu gehorchen und sich der göttlichen Leitung seiner Oberhirten zu fügen. Diese Stellung der Laien hat unzweifelhaft die katholische Kirche durch alle Bedrängnisse hiudurchgefiihrt und stets in ihrer Macht und ihrem Wesen erhalten, deun der Blick der Leitung konnte auf das allgemeine Ziel gerichtet bleiben, dem gegenüber sich die Bedürfnisse und Wünsche eines Volkes oder irgend eines sonstigen Bruchteiles desselben zu fügen hatten. Daher kommt es unter andern, daß die Stellung der katholischen Kirche in andern verschiednen Staaten eine verschiedne ist, daß sie der einen Ne¬ gierung verweigert, was sie der andern zuerkennt, daß in dem einen Staate als gottlos gilt, was in dem andern erlaubt ist. Niemals hat die Leitung der katholischen Kirche sich bewegen lassen, um der Milderung eines Notstandes in einem Bruchteile etwas von ihren Grundsätzen aufzugeben, das Volk hat sich dieser Politik blindlings fügen müssen, und dergleichen vorübergehende, wenn auch oft Jahrzehnte dauernde Perioden endeten in der Regel damit, daß die katholische Kirche in ihren Grundvesten unerschüttert blieb. Die Reformation hat der katholischen Kirche nur einzelne geographische Gebiete entziehen können, für die sie sich in andern Weltteilen doppelt schadlos gehalten hat, wie die außerordentliche Propaganda in den Vereinigten Staaten von Amerika und in andern überseeischen Ländern beweist. Die französische Revolution hat liberall in dem innern und äußern Staatsleben die größten Umwälzungen hervorgerufen, uur die katholische Kirche ist aus derselben unberührt hervor¬ gegangen; sie hat den Gallikcmismus und Jansenismus zu unterdrücken ver¬ standen, sie hat es vermocht, den Jesuitenorden aufzuheben und wieder zu er¬ neuern, alles dies, weil nur ein Wille maßgebend war, weil diesem in den Bischöfen geschickte und willige Gehilfen die Wege bahnten, und weil das Volk, ohne zu frage» und ohne zu murren, gehorchte. Die Parteien, welche, wie überall an dem Sitze einer Regierung, so much im Vatikan vorhanden waren, beschränkten sich auf den kleinen Kreis des heiligen Kollegiums, der Papst- kaudidaten, die höchstens verschiedene weltliche Interessen, Bestrebungen ita¬ lienischer Fürsten oder auch andrer mächtiger Könige und Herren, zu fordern suchten, aber das Wesen der Kirche nicht berührten; nie sind bei einer Papst¬ wahl oder bei sonstigen Maßnahmen der katholischen Kirche die Wünsche eines Volkes von Bedeutung oder gar von Einfluß gewesen. Die katholische Kirche hat sich vermöge der Art ihrer Organisation natur¬ gemäß mehr zu dem absoluten Staatswesen angezogen gefühlt; hier war ihr Einfluß ein sehr viel mächtiger; wie sich die katholische Kirche des Schutzes des weltlichen Armes erfreute, so vermochte sie wiederum durch ihren Ein¬ fluß auf die Gemüter dem Throne eine Stütze zu gewähren. Die fran¬ zösische Revolution hat zwar gezeigt, daß diese gegenseitige Unterstützung nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/459>, abgerufen am 20.10.2024.