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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen Welt.

sich über einen theoretischen Feldzugsplan zu einigen, und weil sie die Sätze
nicht finden können, welche zu einem gemeinsamen Programm sichren sollen.
Denn die Partei spielt heute die erste Rolle in dem öffentlichen Leben des
Volkes; in dem dritten Lustrum nach erlangter Einheit des Reiches ist der so
schwer errungene Besitz des geeinigten Vaterlandes längst vergessen, und nicht,
was ihm zum Ziele dient, ist die Parole der Männer, welche in den Parla¬
menten das Staatswohl beraten sollen, sondern was der kleinen Absplitterung,
welcher sie angehören, einen Wahlsitz mehr zuführen könnte. -

In diesem Kampfe der Parteien fällt es schwer, sich zu dem Huttenscheu
Satze zu bekennen, daß es ein Genuß sei, zu leben. Dieses Parteizeichen,
welches unsrer Zeit auf die Stirn gedrückt ist, hat auch den Streit um die
idealen Güter der Volksgemeinschaften ergriffen, und wie man wahrend des
dreißigjährigen Krieges mit den Waffen in der Faust um weltlichen Besitz
kämpfte, während die Parole der bedrohten Religion ausgegeben war, so birgt
sich bellte hinter dem Kampfe um die Freiheit der Kirche die Herrschafts-
bestrebliug der Partei.

Ihre eigenartige Organisation und ihre auf dieser Organisation beruhende
Machtfülle gegenüber den Zersplitterungen der andern Parteien haben die
katholische Kirche einen Kampf bestehen lassen, aus welchem sie äußerlich als
Siegerin hervorzugehen scheint und in dem zwischen Staat und Kirche angebahnten
Frieden die Früchte des Sieges gepflückt zu haben sich den Anschein giebt.
Diese äußerlich scheinende Stärkung hat bei protestantischen Müuuern eine Art
von Neidgcfühl hervorgerufen; sie mochten auch für ihre Kirche die gleichen
Vorteile sammeln, und sie glauben dieselben auf keinem andern Wege finden zu
köunen, als auf dem, welchen sie die päpstliche Kirche einschlagen sehen. Ge¬
blendet von diesen äußerlichen Erfolgen, ist man der Prüfung der Frage noch
uicht näher getreten, ob die Macht, welche die katholische Kirche behauptet und
errungen zu haben scheint, in Wirklichkeit mit dem Wesen übereinstimmt, welchem
sie bisher ihr Gepräge verdankt. Wird diese Frage untersucht, dann wird die
Prüfung leichter sein, ob das gegebene Beispiel Nachahmung verdient, und ob
nicht vielmehr diejenigen, welche zu den Oberhirten der katholischen Kirche berufen
sind, eilten Grund haben, die Folgen des Pvrrhussieges abzuwehren und, da es
noch Zeit ist, die entfesselten Kräfte wieder zu bannen und an ihren Platz zu
verweisen.

Die Macht der katholischen Kirche ist ein lebendiger Beweis dafür, daß
der Absolutismus insbesondre im Kampfe gegen die Außenwelt kräftiger ist, als
ein durch die Negierung des Volkes und seine Teilnahme an der Leitung ge¬
mischtes Gemeinwesen.

Ausgestattet mit der höchsten Machtvollkommenheit, welche die Herrschaft
über die Geister in sich trägt, hat die katholische Hierarchie unumschränkt ge¬
herrscht. Der Laienstand, an sich von den wechselnden Bedürfnissen der Zeit


Bewegungen in der katholischen Welt.

sich über einen theoretischen Feldzugsplan zu einigen, und weil sie die Sätze
nicht finden können, welche zu einem gemeinsamen Programm sichren sollen.
Denn die Partei spielt heute die erste Rolle in dem öffentlichen Leben des
Volkes; in dem dritten Lustrum nach erlangter Einheit des Reiches ist der so
schwer errungene Besitz des geeinigten Vaterlandes längst vergessen, und nicht,
was ihm zum Ziele dient, ist die Parole der Männer, welche in den Parla¬
menten das Staatswohl beraten sollen, sondern was der kleinen Absplitterung,
welcher sie angehören, einen Wahlsitz mehr zuführen könnte. -

In diesem Kampfe der Parteien fällt es schwer, sich zu dem Huttenscheu
Satze zu bekennen, daß es ein Genuß sei, zu leben. Dieses Parteizeichen,
welches unsrer Zeit auf die Stirn gedrückt ist, hat auch den Streit um die
idealen Güter der Volksgemeinschaften ergriffen, und wie man wahrend des
dreißigjährigen Krieges mit den Waffen in der Faust um weltlichen Besitz
kämpfte, während die Parole der bedrohten Religion ausgegeben war, so birgt
sich bellte hinter dem Kampfe um die Freiheit der Kirche die Herrschafts-
bestrebliug der Partei.

Ihre eigenartige Organisation und ihre auf dieser Organisation beruhende
Machtfülle gegenüber den Zersplitterungen der andern Parteien haben die
katholische Kirche einen Kampf bestehen lassen, aus welchem sie äußerlich als
Siegerin hervorzugehen scheint und in dem zwischen Staat und Kirche angebahnten
Frieden die Früchte des Sieges gepflückt zu haben sich den Anschein giebt.
Diese äußerlich scheinende Stärkung hat bei protestantischen Müuuern eine Art
von Neidgcfühl hervorgerufen; sie mochten auch für ihre Kirche die gleichen
Vorteile sammeln, und sie glauben dieselben auf keinem andern Wege finden zu
köunen, als auf dem, welchen sie die päpstliche Kirche einschlagen sehen. Ge¬
blendet von diesen äußerlichen Erfolgen, ist man der Prüfung der Frage noch
uicht näher getreten, ob die Macht, welche die katholische Kirche behauptet und
errungen zu haben scheint, in Wirklichkeit mit dem Wesen übereinstimmt, welchem
sie bisher ihr Gepräge verdankt. Wird diese Frage untersucht, dann wird die
Prüfung leichter sein, ob das gegebene Beispiel Nachahmung verdient, und ob
nicht vielmehr diejenigen, welche zu den Oberhirten der katholischen Kirche berufen
sind, eilten Grund haben, die Folgen des Pvrrhussieges abzuwehren und, da es
noch Zeit ist, die entfesselten Kräfte wieder zu bannen und an ihren Platz zu
verweisen.

Die Macht der katholischen Kirche ist ein lebendiger Beweis dafür, daß
der Absolutismus insbesondre im Kampfe gegen die Außenwelt kräftiger ist, als
ein durch die Negierung des Volkes und seine Teilnahme an der Leitung ge¬
mischtes Gemeinwesen.

Ausgestattet mit der höchsten Machtvollkommenheit, welche die Herrschaft
über die Geister in sich trägt, hat die katholische Hierarchie unumschränkt ge¬
herrscht. Der Laienstand, an sich von den wechselnden Bedürfnissen der Zeit


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[0458] Bewegungen in der katholischen Welt. sich über einen theoretischen Feldzugsplan zu einigen, und weil sie die Sätze nicht finden können, welche zu einem gemeinsamen Programm sichren sollen. Denn die Partei spielt heute die erste Rolle in dem öffentlichen Leben des Volkes; in dem dritten Lustrum nach erlangter Einheit des Reiches ist der so schwer errungene Besitz des geeinigten Vaterlandes längst vergessen, und nicht, was ihm zum Ziele dient, ist die Parole der Männer, welche in den Parla¬ menten das Staatswohl beraten sollen, sondern was der kleinen Absplitterung, welcher sie angehören, einen Wahlsitz mehr zuführen könnte. - In diesem Kampfe der Parteien fällt es schwer, sich zu dem Huttenscheu Satze zu bekennen, daß es ein Genuß sei, zu leben. Dieses Parteizeichen, welches unsrer Zeit auf die Stirn gedrückt ist, hat auch den Streit um die idealen Güter der Volksgemeinschaften ergriffen, und wie man wahrend des dreißigjährigen Krieges mit den Waffen in der Faust um weltlichen Besitz kämpfte, während die Parole der bedrohten Religion ausgegeben war, so birgt sich bellte hinter dem Kampfe um die Freiheit der Kirche die Herrschafts- bestrebliug der Partei. Ihre eigenartige Organisation und ihre auf dieser Organisation beruhende Machtfülle gegenüber den Zersplitterungen der andern Parteien haben die katholische Kirche einen Kampf bestehen lassen, aus welchem sie äußerlich als Siegerin hervorzugehen scheint und in dem zwischen Staat und Kirche angebahnten Frieden die Früchte des Sieges gepflückt zu haben sich den Anschein giebt. Diese äußerlich scheinende Stärkung hat bei protestantischen Müuuern eine Art von Neidgcfühl hervorgerufen; sie mochten auch für ihre Kirche die gleichen Vorteile sammeln, und sie glauben dieselben auf keinem andern Wege finden zu köunen, als auf dem, welchen sie die päpstliche Kirche einschlagen sehen. Ge¬ blendet von diesen äußerlichen Erfolgen, ist man der Prüfung der Frage noch uicht näher getreten, ob die Macht, welche die katholische Kirche behauptet und errungen zu haben scheint, in Wirklichkeit mit dem Wesen übereinstimmt, welchem sie bisher ihr Gepräge verdankt. Wird diese Frage untersucht, dann wird die Prüfung leichter sein, ob das gegebene Beispiel Nachahmung verdient, und ob nicht vielmehr diejenigen, welche zu den Oberhirten der katholischen Kirche berufen sind, eilten Grund haben, die Folgen des Pvrrhussieges abzuwehren und, da es noch Zeit ist, die entfesselten Kräfte wieder zu bannen und an ihren Platz zu verweisen. Die Macht der katholischen Kirche ist ein lebendiger Beweis dafür, daß der Absolutismus insbesondre im Kampfe gegen die Außenwelt kräftiger ist, als ein durch die Negierung des Volkes und seine Teilnahme an der Leitung ge¬ mischtes Gemeinwesen. Ausgestattet mit der höchsten Machtvollkommenheit, welche die Herrschaft über die Geister in sich trägt, hat die katholische Hierarchie unumschränkt ge¬ herrscht. Der Laienstand, an sich von den wechselnden Bedürfnissen der Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/458>, abgerufen am 15.01.2025.