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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Worüber man sich freilich nicht zu wundern braucht; das deutsche Wort klänge
viel zu anspruchs-, zu würdevoll.

In keinem Punkte sollte der Kritiker strenger sein als in dem angedeuteten,
wenn der gemeine Stoff Ehren hinwegnimmt, die rechtmäßig nur der Form,
der hohen Kunstform gebühren, und umso strenger, je mehr der große Hause
dem gemeinen Stoff in seiner Anmaßung entgegenkommt. Der Kritiker mag
jede Nachsicht gegen das noch im Emporringen begriffene künstlerische Wollen
und Streben üben und hier so lange Talent erwarten, als er nicht vom Gegenteil
sicher überzeugt ist. Ja in solchen Füllen ist es seiue Pflicht, nicht bloß durch
liebevolle Kenntnisnahme und bereitwillige, freudige Anerkennung jeder noch so
schüchternen positiv künstlerischen Leistung dem Strebenden in der Entwickung
seines Talentes förderlich zu sein, sondern auch Schwächen, so lange sie nicht
den Kern berühren, mit Milde zu behandeln, um uicht zu entmutigen. Aber
wenn ein Profaner, den nie der Kuß der Kamönen geweiht "in heiliger, ver¬
schwiegener Nacht," in das Tempclheiligtum der Kunst gepoltert, oder was uoch
schlimmer ist, geschlichen kommt und sich da spreizt und der grobsinnigeu Menge
imponirt; wenn er gar von der sich ihm verwandt fühlenden Masse und auf An¬
stiften scheelsüchtiger Neider und aufgeblasener Widersacher Apolls als ein König
oder Gott ausgerufen wird, weil er sich dafür ausgiebt, dann ist es am Kri¬
tiker, seines hohen Hüteramts mit aller Strenge zu walten, dann ist es an
der Zeit, daß er in Zorn erglüht über den rohen Einbruch in den Tempel
der Kunst, über das sich breit machende marktschreierische Wesen; er müßte
voll Ingrimm die Tische der Spielwaarenhändler und Antiquare mit all ihrem
staubigen archäologischen Kleinkram und Plunder über den Haufen werfen,
seine Geißel schwingen und alle die Täuscher, Wechsler und VerWechsler zum
Tempel hinausjagen. Da darf er freilich nicht ein feiger Küster oder Schul¬
meister, sondern er muß den Priestern des Heiligtums ebenbürtig, mit dem
gleichen Geist und Feuer geweiht sein, um sich uicht von Afterpriestern imponiren
zu lassen.

Mit dem letztern soll nicht gesagt sein, daß etwa über Malerei nur wieder
Maler etwas richtiges und wertvolles sagen könnten. Eine solche Behauptung
(und es ist bekannt, daß sie in neuerer Zeit oft aufgestellt worden ist) beruht
auf einem großen Mißverständnis. Für das Handwerksdetail mag sie gelten,
nicht nur in der Malerei, sondern in jeder andern Kunst. Dagegen ist daran
festzuhalten: das Wesen der Kunst im allgemeinen wie in seiner besondern Aus¬
bildung in einer gegebenen Kunst vermag nur zu erfasse", wer selber nicht etwa
Künstler ist, aber etwas vom Künstler, vom Poeten in sich hat. Wer den
Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen, gilt auch in diesem Sinne;
er muß aus des Dichters Landen, d. h. mit dein Dichter gleichen Ursprunges sein.
Wenn diese Forderung im Kritiker erfüllt ist, dann wird er in der Besprechung
einer Dichtung weder ein System von Ästhetik auskrame,: wollen, noch auch,


Grenzboten IV. 1836. 34

Worüber man sich freilich nicht zu wundern braucht; das deutsche Wort klänge
viel zu anspruchs-, zu würdevoll.

In keinem Punkte sollte der Kritiker strenger sein als in dem angedeuteten,
wenn der gemeine Stoff Ehren hinwegnimmt, die rechtmäßig nur der Form,
der hohen Kunstform gebühren, und umso strenger, je mehr der große Hause
dem gemeinen Stoff in seiner Anmaßung entgegenkommt. Der Kritiker mag
jede Nachsicht gegen das noch im Emporringen begriffene künstlerische Wollen
und Streben üben und hier so lange Talent erwarten, als er nicht vom Gegenteil
sicher überzeugt ist. Ja in solchen Füllen ist es seiue Pflicht, nicht bloß durch
liebevolle Kenntnisnahme und bereitwillige, freudige Anerkennung jeder noch so
schüchternen positiv künstlerischen Leistung dem Strebenden in der Entwickung
seines Talentes förderlich zu sein, sondern auch Schwächen, so lange sie nicht
den Kern berühren, mit Milde zu behandeln, um uicht zu entmutigen. Aber
wenn ein Profaner, den nie der Kuß der Kamönen geweiht „in heiliger, ver¬
schwiegener Nacht," in das Tempclheiligtum der Kunst gepoltert, oder was uoch
schlimmer ist, geschlichen kommt und sich da spreizt und der grobsinnigeu Menge
imponirt; wenn er gar von der sich ihm verwandt fühlenden Masse und auf An¬
stiften scheelsüchtiger Neider und aufgeblasener Widersacher Apolls als ein König
oder Gott ausgerufen wird, weil er sich dafür ausgiebt, dann ist es am Kri¬
tiker, seines hohen Hüteramts mit aller Strenge zu walten, dann ist es an
der Zeit, daß er in Zorn erglüht über den rohen Einbruch in den Tempel
der Kunst, über das sich breit machende marktschreierische Wesen; er müßte
voll Ingrimm die Tische der Spielwaarenhändler und Antiquare mit all ihrem
staubigen archäologischen Kleinkram und Plunder über den Haufen werfen,
seine Geißel schwingen und alle die Täuscher, Wechsler und VerWechsler zum
Tempel hinausjagen. Da darf er freilich nicht ein feiger Küster oder Schul¬
meister, sondern er muß den Priestern des Heiligtums ebenbürtig, mit dem
gleichen Geist und Feuer geweiht sein, um sich uicht von Afterpriestern imponiren
zu lassen.

Mit dem letztern soll nicht gesagt sein, daß etwa über Malerei nur wieder
Maler etwas richtiges und wertvolles sagen könnten. Eine solche Behauptung
(und es ist bekannt, daß sie in neuerer Zeit oft aufgestellt worden ist) beruht
auf einem großen Mißverständnis. Für das Handwerksdetail mag sie gelten,
nicht nur in der Malerei, sondern in jeder andern Kunst. Dagegen ist daran
festzuhalten: das Wesen der Kunst im allgemeinen wie in seiner besondern Aus¬
bildung in einer gegebenen Kunst vermag nur zu erfasse», wer selber nicht etwa
Künstler ist, aber etwas vom Künstler, vom Poeten in sich hat. Wer den
Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen, gilt auch in diesem Sinne;
er muß aus des Dichters Landen, d. h. mit dein Dichter gleichen Ursprunges sein.
Wenn diese Forderung im Kritiker erfüllt ist, dann wird er in der Besprechung
einer Dichtung weder ein System von Ästhetik auskrame,: wollen, noch auch,


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[0433] Worüber man sich freilich nicht zu wundern braucht; das deutsche Wort klänge viel zu anspruchs-, zu würdevoll. In keinem Punkte sollte der Kritiker strenger sein als in dem angedeuteten, wenn der gemeine Stoff Ehren hinwegnimmt, die rechtmäßig nur der Form, der hohen Kunstform gebühren, und umso strenger, je mehr der große Hause dem gemeinen Stoff in seiner Anmaßung entgegenkommt. Der Kritiker mag jede Nachsicht gegen das noch im Emporringen begriffene künstlerische Wollen und Streben üben und hier so lange Talent erwarten, als er nicht vom Gegenteil sicher überzeugt ist. Ja in solchen Füllen ist es seiue Pflicht, nicht bloß durch liebevolle Kenntnisnahme und bereitwillige, freudige Anerkennung jeder noch so schüchternen positiv künstlerischen Leistung dem Strebenden in der Entwickung seines Talentes förderlich zu sein, sondern auch Schwächen, so lange sie nicht den Kern berühren, mit Milde zu behandeln, um uicht zu entmutigen. Aber wenn ein Profaner, den nie der Kuß der Kamönen geweiht „in heiliger, ver¬ schwiegener Nacht," in das Tempclheiligtum der Kunst gepoltert, oder was uoch schlimmer ist, geschlichen kommt und sich da spreizt und der grobsinnigeu Menge imponirt; wenn er gar von der sich ihm verwandt fühlenden Masse und auf An¬ stiften scheelsüchtiger Neider und aufgeblasener Widersacher Apolls als ein König oder Gott ausgerufen wird, weil er sich dafür ausgiebt, dann ist es am Kri¬ tiker, seines hohen Hüteramts mit aller Strenge zu walten, dann ist es an der Zeit, daß er in Zorn erglüht über den rohen Einbruch in den Tempel der Kunst, über das sich breit machende marktschreierische Wesen; er müßte voll Ingrimm die Tische der Spielwaarenhändler und Antiquare mit all ihrem staubigen archäologischen Kleinkram und Plunder über den Haufen werfen, seine Geißel schwingen und alle die Täuscher, Wechsler und VerWechsler zum Tempel hinausjagen. Da darf er freilich nicht ein feiger Küster oder Schul¬ meister, sondern er muß den Priestern des Heiligtums ebenbürtig, mit dem gleichen Geist und Feuer geweiht sein, um sich uicht von Afterpriestern imponiren zu lassen. Mit dem letztern soll nicht gesagt sein, daß etwa über Malerei nur wieder Maler etwas richtiges und wertvolles sagen könnten. Eine solche Behauptung (und es ist bekannt, daß sie in neuerer Zeit oft aufgestellt worden ist) beruht auf einem großen Mißverständnis. Für das Handwerksdetail mag sie gelten, nicht nur in der Malerei, sondern in jeder andern Kunst. Dagegen ist daran festzuhalten: das Wesen der Kunst im allgemeinen wie in seiner besondern Aus¬ bildung in einer gegebenen Kunst vermag nur zu erfasse», wer selber nicht etwa Künstler ist, aber etwas vom Künstler, vom Poeten in sich hat. Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen, gilt auch in diesem Sinne; er muß aus des Dichters Landen, d. h. mit dein Dichter gleichen Ursprunges sein. Wenn diese Forderung im Kritiker erfüllt ist, dann wird er in der Besprechung einer Dichtung weder ein System von Ästhetik auskrame,: wollen, noch auch, Grenzboten IV. 1836. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/433>, abgerufen am 15.01.2025.