Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
von unsern Gymnasien.

andre Anforderungen als das Griechische. Im Prinzip des lateinischen Unter¬
richts wird wenig zu ändern sein. Umso mehr im Griechischen. Bei diesem
kann es nicht auf Exerzitien und Formen, sondern nur auf Lektüre ankommen.
Die glückliche Hand des preußischen Kultusministers hat das richtige getroffen,
indem sie die Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische verbannte und an
ihre Stelle die aus dem Griechischen ins Deutsche setzte. Wir zweifeln, ob
man nun auch den gesamten Unterricht in den obern Klassen im Geiste dieser
Vorschrift regelt, ob man die Bekanntschaft mit den Meisterwerken griechischer
Komposition der formalen Ausbildung überordnet. Wir hören, obschon es
schwer ist, daran zu glauben, daß an manchen" Gymnasium Sophokles den
Schülern garnicht zu Gesicht kommt, und der Verfasser dieser Zeilen weiß ans
eigner Erfahrung, daß während seiner Schulzeit alle Proben griechischer Lyriker
aus dem Unterricht verbannt gewesen sind.

Zum Geist des griechischen Altertums gehört untrennbar seine Kunst. Es
ist zwar gewiß nicht zu wünschen, daß Archäologie in den Lehrplan aufgenommen
werde? aber es ist vom pädagogischen Standpunkte hoffentlich nicht verboten,
den Schülern einige Meisterwerke in Wort und Bild zu erläutern, und noch
heute dankt der Verfasser einem einzigen Aufsatzthema, welches nichts als eine
einfache Beschreibung der Laokoongruppe, nach einer in der Prima aufgehängten
Photographie, verlangte, mehr nachhaltige Anregung als einem Dutzend grie¬
chischer Exerzitien, kraft deren er noch heute weiß, daß das Perfektum "^/^,.</)" --
"höchst selten vorkommt." Die kahlen Wände unsrer Gymnasialklassen, die nur
selten eine Photographie belebt, lehren besser als viele Worte, wie man die
Schüler in den Geist des griechischen Altertums einführt. Die Abbildungen
der Sophoklcsstatue oder der Demosthcnesstatue, welche sich in der Prima
deutscher Gymnasien besinden, werden zu zählen sein, obwohl die Gebrüder
Michell in Berlin sie in Gyps mit 21, in Elfenbeinmasse mit 42 Mark ver¬
kaufen. Der Grund liegt tiefer. Wie nämlich unsre Philvlogicstndircnden sich
den Geist des griechischen Altertums zurecht legen, darüber wird ein Professor
der klassischen Archäologie am ersten geeignet sein, Auskunft zu geben. Im
Examen wird Bekanntschaft mit der Kunstgeschichte nicht verlangt, und somit
ist es höchst wertlos, die Ägineten oder den Parthenonfries zu studiren.
Diese Gleichgültigkeit aber ist die Mutter der Theorie, daß es schädlich oder
zerstreuend sei, solche Dinge den Gymnasiasten vorzuführen. Theorien haben
ja oft merkwürdig heterogene Thatsachen zur unwillkürlichen Veranlassung.

Ohne Grammatik geht es gewiß nicht. Aber ist es nicht höchst überflüssig,
nach L/^e^x" zu fragen, das im Kreise der Schullektüre garnicht und nach
^ecscet-re^o^ das so gut wie garnicht vorkommt? Für den Grammatiker möge"
es interessante Formen sein, aber nicht für den Schiller, der so seltene Dinge
nötigenfalls im Index zu seiner Grammatik oder in seinem Wörterbuch leicht finden
kann. Es ist ja vielleicht pädagogisch wirksam, nach Formen zu fragen, die


von unsern Gymnasien.

andre Anforderungen als das Griechische. Im Prinzip des lateinischen Unter¬
richts wird wenig zu ändern sein. Umso mehr im Griechischen. Bei diesem
kann es nicht auf Exerzitien und Formen, sondern nur auf Lektüre ankommen.
Die glückliche Hand des preußischen Kultusministers hat das richtige getroffen,
indem sie die Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische verbannte und an
ihre Stelle die aus dem Griechischen ins Deutsche setzte. Wir zweifeln, ob
man nun auch den gesamten Unterricht in den obern Klassen im Geiste dieser
Vorschrift regelt, ob man die Bekanntschaft mit den Meisterwerken griechischer
Komposition der formalen Ausbildung überordnet. Wir hören, obschon es
schwer ist, daran zu glauben, daß an manchen» Gymnasium Sophokles den
Schülern garnicht zu Gesicht kommt, und der Verfasser dieser Zeilen weiß ans
eigner Erfahrung, daß während seiner Schulzeit alle Proben griechischer Lyriker
aus dem Unterricht verbannt gewesen sind.

Zum Geist des griechischen Altertums gehört untrennbar seine Kunst. Es
ist zwar gewiß nicht zu wünschen, daß Archäologie in den Lehrplan aufgenommen
werde? aber es ist vom pädagogischen Standpunkte hoffentlich nicht verboten,
den Schülern einige Meisterwerke in Wort und Bild zu erläutern, und noch
heute dankt der Verfasser einem einzigen Aufsatzthema, welches nichts als eine
einfache Beschreibung der Laokoongruppe, nach einer in der Prima aufgehängten
Photographie, verlangte, mehr nachhaltige Anregung als einem Dutzend grie¬
chischer Exerzitien, kraft deren er noch heute weiß, daß das Perfektum «^/^,.</)« —
„höchst selten vorkommt." Die kahlen Wände unsrer Gymnasialklassen, die nur
selten eine Photographie belebt, lehren besser als viele Worte, wie man die
Schüler in den Geist des griechischen Altertums einführt. Die Abbildungen
der Sophoklcsstatue oder der Demosthcnesstatue, welche sich in der Prima
deutscher Gymnasien besinden, werden zu zählen sein, obwohl die Gebrüder
Michell in Berlin sie in Gyps mit 21, in Elfenbeinmasse mit 42 Mark ver¬
kaufen. Der Grund liegt tiefer. Wie nämlich unsre Philvlogicstndircnden sich
den Geist des griechischen Altertums zurecht legen, darüber wird ein Professor
der klassischen Archäologie am ersten geeignet sein, Auskunft zu geben. Im
Examen wird Bekanntschaft mit der Kunstgeschichte nicht verlangt, und somit
ist es höchst wertlos, die Ägineten oder den Parthenonfries zu studiren.
Diese Gleichgültigkeit aber ist die Mutter der Theorie, daß es schädlich oder
zerstreuend sei, solche Dinge den Gymnasiasten vorzuführen. Theorien haben
ja oft merkwürdig heterogene Thatsachen zur unwillkürlichen Veranlassung.

Ohne Grammatik geht es gewiß nicht. Aber ist es nicht höchst überflüssig,
nach L/^e^x« zu fragen, das im Kreise der Schullektüre garnicht und nach
^ecscet-re^o^ das so gut wie garnicht vorkommt? Für den Grammatiker möge»
es interessante Formen sein, aber nicht für den Schiller, der so seltene Dinge
nötigenfalls im Index zu seiner Grammatik oder in seinem Wörterbuch leicht finden
kann. Es ist ja vielleicht pädagogisch wirksam, nach Formen zu fragen, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199778"/>
          <fw type="header" place="top"> von unsern Gymnasien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1756" prev="#ID_1755"> andre Anforderungen als das Griechische. Im Prinzip des lateinischen Unter¬<lb/>
richts wird wenig zu ändern sein. Umso mehr im Griechischen. Bei diesem<lb/>
kann es nicht auf Exerzitien und Formen, sondern nur auf Lektüre ankommen.<lb/>
Die glückliche Hand des preußischen Kultusministers hat das richtige getroffen,<lb/>
indem sie die Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische verbannte und an<lb/>
ihre Stelle die aus dem Griechischen ins Deutsche setzte. Wir zweifeln, ob<lb/>
man nun auch den gesamten Unterricht in den obern Klassen im Geiste dieser<lb/>
Vorschrift regelt, ob man die Bekanntschaft mit den Meisterwerken griechischer<lb/>
Komposition der formalen Ausbildung überordnet. Wir hören, obschon es<lb/>
schwer ist, daran zu glauben, daß an manchen» Gymnasium Sophokles den<lb/>
Schülern garnicht zu Gesicht kommt, und der Verfasser dieser Zeilen weiß ans<lb/>
eigner Erfahrung, daß während seiner Schulzeit alle Proben griechischer Lyriker<lb/>
aus dem Unterricht verbannt gewesen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1757"> Zum Geist des griechischen Altertums gehört untrennbar seine Kunst. Es<lb/>
ist zwar gewiß nicht zu wünschen, daß Archäologie in den Lehrplan aufgenommen<lb/>
werde? aber es ist vom pädagogischen Standpunkte hoffentlich nicht verboten,<lb/>
den Schülern einige Meisterwerke in Wort und Bild zu erläutern, und noch<lb/>
heute dankt der Verfasser einem einzigen Aufsatzthema, welches nichts als eine<lb/>
einfache Beschreibung der Laokoongruppe, nach einer in der Prima aufgehängten<lb/>
Photographie, verlangte, mehr nachhaltige Anregung als einem Dutzend grie¬<lb/>
chischer Exerzitien, kraft deren er noch heute weiß, daß das Perfektum «^/^,.&lt;/)« &#x2014;<lb/>
&#x201E;höchst selten vorkommt." Die kahlen Wände unsrer Gymnasialklassen, die nur<lb/>
selten eine Photographie belebt, lehren besser als viele Worte, wie man die<lb/>
Schüler in den Geist des griechischen Altertums einführt. Die Abbildungen<lb/>
der Sophoklcsstatue oder der Demosthcnesstatue, welche sich in der Prima<lb/>
deutscher Gymnasien besinden, werden zu zählen sein, obwohl die Gebrüder<lb/>
Michell in Berlin sie in Gyps mit 21, in Elfenbeinmasse mit 42 Mark ver¬<lb/>
kaufen. Der Grund liegt tiefer. Wie nämlich unsre Philvlogicstndircnden sich<lb/>
den Geist des griechischen Altertums zurecht legen, darüber wird ein Professor<lb/>
der klassischen Archäologie am ersten geeignet sein, Auskunft zu geben. Im<lb/>
Examen wird Bekanntschaft mit der Kunstgeschichte nicht verlangt, und somit<lb/>
ist es höchst wertlos, die Ägineten oder den Parthenonfries zu studiren.<lb/>
Diese Gleichgültigkeit aber ist die Mutter der Theorie, daß es schädlich oder<lb/>
zerstreuend sei, solche Dinge den Gymnasiasten vorzuführen. Theorien haben<lb/>
ja oft merkwürdig heterogene Thatsachen zur unwillkürlichen Veranlassung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1758" next="#ID_1759"> Ohne Grammatik geht es gewiß nicht. Aber ist es nicht höchst überflüssig,<lb/>
nach L/^e^x« zu fragen, das im Kreise der Schullektüre garnicht und nach<lb/>
^ecscet-re^o^ das so gut wie garnicht vorkommt? Für den Grammatiker möge»<lb/>
es interessante Formen sein, aber nicht für den Schiller, der so seltene Dinge<lb/>
nötigenfalls im Index zu seiner Grammatik oder in seinem Wörterbuch leicht finden<lb/>
kann.  Es ist ja vielleicht pädagogisch wirksam, nach Formen zu fragen, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] von unsern Gymnasien. andre Anforderungen als das Griechische. Im Prinzip des lateinischen Unter¬ richts wird wenig zu ändern sein. Umso mehr im Griechischen. Bei diesem kann es nicht auf Exerzitien und Formen, sondern nur auf Lektüre ankommen. Die glückliche Hand des preußischen Kultusministers hat das richtige getroffen, indem sie die Übersetzung aus dem Deutschen ins Griechische verbannte und an ihre Stelle die aus dem Griechischen ins Deutsche setzte. Wir zweifeln, ob man nun auch den gesamten Unterricht in den obern Klassen im Geiste dieser Vorschrift regelt, ob man die Bekanntschaft mit den Meisterwerken griechischer Komposition der formalen Ausbildung überordnet. Wir hören, obschon es schwer ist, daran zu glauben, daß an manchen» Gymnasium Sophokles den Schülern garnicht zu Gesicht kommt, und der Verfasser dieser Zeilen weiß ans eigner Erfahrung, daß während seiner Schulzeit alle Proben griechischer Lyriker aus dem Unterricht verbannt gewesen sind. Zum Geist des griechischen Altertums gehört untrennbar seine Kunst. Es ist zwar gewiß nicht zu wünschen, daß Archäologie in den Lehrplan aufgenommen werde? aber es ist vom pädagogischen Standpunkte hoffentlich nicht verboten, den Schülern einige Meisterwerke in Wort und Bild zu erläutern, und noch heute dankt der Verfasser einem einzigen Aufsatzthema, welches nichts als eine einfache Beschreibung der Laokoongruppe, nach einer in der Prima aufgehängten Photographie, verlangte, mehr nachhaltige Anregung als einem Dutzend grie¬ chischer Exerzitien, kraft deren er noch heute weiß, daß das Perfektum «^/^,.</)« — „höchst selten vorkommt." Die kahlen Wände unsrer Gymnasialklassen, die nur selten eine Photographie belebt, lehren besser als viele Worte, wie man die Schüler in den Geist des griechischen Altertums einführt. Die Abbildungen der Sophoklcsstatue oder der Demosthcnesstatue, welche sich in der Prima deutscher Gymnasien besinden, werden zu zählen sein, obwohl die Gebrüder Michell in Berlin sie in Gyps mit 21, in Elfenbeinmasse mit 42 Mark ver¬ kaufen. Der Grund liegt tiefer. Wie nämlich unsre Philvlogicstndircnden sich den Geist des griechischen Altertums zurecht legen, darüber wird ein Professor der klassischen Archäologie am ersten geeignet sein, Auskunft zu geben. Im Examen wird Bekanntschaft mit der Kunstgeschichte nicht verlangt, und somit ist es höchst wertlos, die Ägineten oder den Parthenonfries zu studiren. Diese Gleichgültigkeit aber ist die Mutter der Theorie, daß es schädlich oder zerstreuend sei, solche Dinge den Gymnasiasten vorzuführen. Theorien haben ja oft merkwürdig heterogene Thatsachen zur unwillkürlichen Veranlassung. Ohne Grammatik geht es gewiß nicht. Aber ist es nicht höchst überflüssig, nach L/^e^x« zu fragen, das im Kreise der Schullektüre garnicht und nach ^ecscet-re^o^ das so gut wie garnicht vorkommt? Für den Grammatiker möge» es interessante Formen sein, aber nicht für den Schiller, der so seltene Dinge nötigenfalls im Index zu seiner Grammatik oder in seinem Wörterbuch leicht finden kann. Es ist ja vielleicht pädagogisch wirksam, nach Formen zu fragen, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/424>, abgerufen am 27.09.2024.