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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien.

Mittel geben, welche das weitere reißend schnelle Fortschreiten der höchst un¬
gleichen Besitzverteilnng zu verzögern, sowie die aus ihr hervorgegangenen mi߬
lichen und bedenklichen Folgen zu mildern geeignet sind.

Zu den hauptsächlich durch eine weise Gesetzgebung erst zu schaffenden
Mitteln ersterer Art rechnen wir alles das, was den mühelosem Vermögens¬
erwerb hemmen und den mitunter höchst unberechtigten, nur dem Großkapital
zu Gute kommenden und daher mitunter geradezu von ihm provozirten, die
Kapitalien der sogenannten Mittelklassen und die Sparpfennige vieler Witwen
und Waisen mit aufsaugenden Vermögensverschiebungen entgegenwirken kann,
z. B. die Wuchergesetze. Solche unberechtigte Vermögensverschiebungen dürften
zum Teil auch die gegenwärtigen sogenannten "Konvertirnngen" (schönes, sanftes
Wort!) höherprozentiger Wertpapiere vieler Bankinstitute in niedrigerprozentige
sein, insofern diese aus dem angeblichen bedeutenden Fallen des Zinsfußes, in
Wirklichkeit aber uur ans seinen unbedeutenden Schwankungen, ungeheure Vor¬
teile für sich erstreben, solche aber nicht auch ihren Schuldnern und zwar ent¬
weder garnicht, oder aber nur gegen sehr hohe, unannehmbare Provisionen
zugestehen. Diese "Kvnvertirungeu" sind umso bedenklicher, weil zu besorgen ist,
daß die das Großkapital vertretenden Bankinstitute auch in Zukunft die nun
begonnene Praxis zu ihrem Vorteile fortsetzen und bei jeder Zinsschwanknng,
und zwar beim Fallen des Zinsfußes ihre Zinsverbindlichkeit und beim Steigen
desselben ihre Schuldverbindlichkeit selbst zum Teile abschütteln werden.

Zu den Mitteln zweiter Art rechnen wir vor allem die Verteilung der
öffentlichen Lasten uach Verhältnis der Stcuerkräfte, oder mit andern Worten
die Einführung einer völlig gerechten direkten Steuer. Doch verstehen wir
hierunter nicht die gewöhnlich hierfür erklärte progressive Einkommensteuer;
denn da das Einkommen und die Steuerkraft keineswegs identische, sondern
höchst verschiedne Begriffe sind, und da wir täglich wahrnehmen müssen, daß
Personen mit ganz gleichem Einkommen doch sehr verschieden steuerkräftig sind,
ja daß selbst manche mit geringerm Einkommen oft steuerkräftiger sind als solche
mit hohem, so halten wir das Einkommen für eine ganz verkehrte Steuerbasis
und die progressive Einkommensteuer selbst für eiuen potenzirten Grad einer
solchen falschen Steuerbasis.

Auch die Ertrcigsstenern sind, da sie die für die Steuerkräfte ausschlag,
gebenden Verhältnisse, nämlich die Schulden und die Anzahl der Familienglieder,
systemgemäß garnicht berücksichtigen können, ebensowenig zu einer gerechten
Laftmverteilung geeignet, wie die in der neuern Zeit so sehr gepflegten Ver¬
mögenssteuern, nämlich diejenigen direkte" Abgaben, welche unter den Namen:
Gebühren, Taxen, Äquivalente, Erbschaftssteuern ?e. bei Führung von Zivil-
prozessen, Errichtung notarieller Verträge, Besitzveränderungen von Immobilien,
Auseinandersetzung von Verlassenschaften:e. zu entrichten sind, weil diese Steuern
derartig zufällige sind, daß sie eiuen vernünftigen Ausgleich garnicht ermöglichen,


volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien.

Mittel geben, welche das weitere reißend schnelle Fortschreiten der höchst un¬
gleichen Besitzverteilnng zu verzögern, sowie die aus ihr hervorgegangenen mi߬
lichen und bedenklichen Folgen zu mildern geeignet sind.

Zu den hauptsächlich durch eine weise Gesetzgebung erst zu schaffenden
Mitteln ersterer Art rechnen wir alles das, was den mühelosem Vermögens¬
erwerb hemmen und den mitunter höchst unberechtigten, nur dem Großkapital
zu Gute kommenden und daher mitunter geradezu von ihm provozirten, die
Kapitalien der sogenannten Mittelklassen und die Sparpfennige vieler Witwen
und Waisen mit aufsaugenden Vermögensverschiebungen entgegenwirken kann,
z. B. die Wuchergesetze. Solche unberechtigte Vermögensverschiebungen dürften
zum Teil auch die gegenwärtigen sogenannten „Konvertirnngen" (schönes, sanftes
Wort!) höherprozentiger Wertpapiere vieler Bankinstitute in niedrigerprozentige
sein, insofern diese aus dem angeblichen bedeutenden Fallen des Zinsfußes, in
Wirklichkeit aber uur ans seinen unbedeutenden Schwankungen, ungeheure Vor¬
teile für sich erstreben, solche aber nicht auch ihren Schuldnern und zwar ent¬
weder garnicht, oder aber nur gegen sehr hohe, unannehmbare Provisionen
zugestehen. Diese „Kvnvertirungeu" sind umso bedenklicher, weil zu besorgen ist,
daß die das Großkapital vertretenden Bankinstitute auch in Zukunft die nun
begonnene Praxis zu ihrem Vorteile fortsetzen und bei jeder Zinsschwanknng,
und zwar beim Fallen des Zinsfußes ihre Zinsverbindlichkeit und beim Steigen
desselben ihre Schuldverbindlichkeit selbst zum Teile abschütteln werden.

Zu den Mitteln zweiter Art rechnen wir vor allem die Verteilung der
öffentlichen Lasten uach Verhältnis der Stcuerkräfte, oder mit andern Worten
die Einführung einer völlig gerechten direkten Steuer. Doch verstehen wir
hierunter nicht die gewöhnlich hierfür erklärte progressive Einkommensteuer;
denn da das Einkommen und die Steuerkraft keineswegs identische, sondern
höchst verschiedne Begriffe sind, und da wir täglich wahrnehmen müssen, daß
Personen mit ganz gleichem Einkommen doch sehr verschieden steuerkräftig sind,
ja daß selbst manche mit geringerm Einkommen oft steuerkräftiger sind als solche
mit hohem, so halten wir das Einkommen für eine ganz verkehrte Steuerbasis
und die progressive Einkommensteuer selbst für eiuen potenzirten Grad einer
solchen falschen Steuerbasis.

Auch die Ertrcigsstenern sind, da sie die für die Steuerkräfte ausschlag,
gebenden Verhältnisse, nämlich die Schulden und die Anzahl der Familienglieder,
systemgemäß garnicht berücksichtigen können, ebensowenig zu einer gerechten
Laftmverteilung geeignet, wie die in der neuern Zeit so sehr gepflegten Ver¬
mögenssteuern, nämlich diejenigen direkte» Abgaben, welche unter den Namen:
Gebühren, Taxen, Äquivalente, Erbschaftssteuern ?e. bei Führung von Zivil-
prozessen, Errichtung notarieller Verträge, Besitzveränderungen von Immobilien,
Auseinandersetzung von Verlassenschaften:e. zu entrichten sind, weil diese Steuern
derartig zufällige sind, daß sie eiuen vernünftigen Ausgleich garnicht ermöglichen,


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[0419] volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien. Mittel geben, welche das weitere reißend schnelle Fortschreiten der höchst un¬ gleichen Besitzverteilnng zu verzögern, sowie die aus ihr hervorgegangenen mi߬ lichen und bedenklichen Folgen zu mildern geeignet sind. Zu den hauptsächlich durch eine weise Gesetzgebung erst zu schaffenden Mitteln ersterer Art rechnen wir alles das, was den mühelosem Vermögens¬ erwerb hemmen und den mitunter höchst unberechtigten, nur dem Großkapital zu Gute kommenden und daher mitunter geradezu von ihm provozirten, die Kapitalien der sogenannten Mittelklassen und die Sparpfennige vieler Witwen und Waisen mit aufsaugenden Vermögensverschiebungen entgegenwirken kann, z. B. die Wuchergesetze. Solche unberechtigte Vermögensverschiebungen dürften zum Teil auch die gegenwärtigen sogenannten „Konvertirnngen" (schönes, sanftes Wort!) höherprozentiger Wertpapiere vieler Bankinstitute in niedrigerprozentige sein, insofern diese aus dem angeblichen bedeutenden Fallen des Zinsfußes, in Wirklichkeit aber uur ans seinen unbedeutenden Schwankungen, ungeheure Vor¬ teile für sich erstreben, solche aber nicht auch ihren Schuldnern und zwar ent¬ weder garnicht, oder aber nur gegen sehr hohe, unannehmbare Provisionen zugestehen. Diese „Kvnvertirungeu" sind umso bedenklicher, weil zu besorgen ist, daß die das Großkapital vertretenden Bankinstitute auch in Zukunft die nun begonnene Praxis zu ihrem Vorteile fortsetzen und bei jeder Zinsschwanknng, und zwar beim Fallen des Zinsfußes ihre Zinsverbindlichkeit und beim Steigen desselben ihre Schuldverbindlichkeit selbst zum Teile abschütteln werden. Zu den Mitteln zweiter Art rechnen wir vor allem die Verteilung der öffentlichen Lasten uach Verhältnis der Stcuerkräfte, oder mit andern Worten die Einführung einer völlig gerechten direkten Steuer. Doch verstehen wir hierunter nicht die gewöhnlich hierfür erklärte progressive Einkommensteuer; denn da das Einkommen und die Steuerkraft keineswegs identische, sondern höchst verschiedne Begriffe sind, und da wir täglich wahrnehmen müssen, daß Personen mit ganz gleichem Einkommen doch sehr verschieden steuerkräftig sind, ja daß selbst manche mit geringerm Einkommen oft steuerkräftiger sind als solche mit hohem, so halten wir das Einkommen für eine ganz verkehrte Steuerbasis und die progressive Einkommensteuer selbst für eiuen potenzirten Grad einer solchen falschen Steuerbasis. Auch die Ertrcigsstenern sind, da sie die für die Steuerkräfte ausschlag, gebenden Verhältnisse, nämlich die Schulden und die Anzahl der Familienglieder, systemgemäß garnicht berücksichtigen können, ebensowenig zu einer gerechten Laftmverteilung geeignet, wie die in der neuern Zeit so sehr gepflegten Ver¬ mögenssteuern, nämlich diejenigen direkte» Abgaben, welche unter den Namen: Gebühren, Taxen, Äquivalente, Erbschaftssteuern ?e. bei Führung von Zivil- prozessen, Errichtung notarieller Verträge, Besitzveränderungen von Immobilien, Auseinandersetzung von Verlassenschaften:e. zu entrichten sind, weil diese Steuern derartig zufällige sind, daß sie eiuen vernünftigen Ausgleich garnicht ermöglichen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/419>, abgerufen am 27.09.2024.