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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in Österreich.

ordnung von 1777 empfiehlt es den sieben Hcmptnationeu des Landes, welche
sie anführt, da es "unumgänglich notwendig sei, daß jeder Hungar, der sich
dem Militär- oder Handelsstande widmen oder sich zu einem Handwerke begeben
wolle, der deutschen Sprache kundig sei." Josefs Germanisiruugsmaßregeln
scheiterten an dem Widerstande des Magyarentums, und diese Reaktion wurde
unter seinen Nachfolgern, die seine Wege verließen, aus einer defensiven zu einer
offensiven. Die Hebung der magyarischen Nationalität wurde zur Staatsangelegen¬
heit und nahm bald die Gestalt einer möglichst weitgehenden Einschränkung und
Ausschließung des deutschen Elements an. Die Gesetze und Verordnungen von
1790,1792, 1805, 1825 und 1832 dehnten das Geltungsgebiet des Magyarischen
im Landtage, bei den öffentlichen Behörden, den weltlichen und geistlichen Ge¬
richten, dem Klerus und in den Schulen mehr und mehr aus, die Regierung
ließ gewähren, und die ungarischen Deutschen leisteten nur passiven Widerstand
oder legten gar bereitwillig ihre Nationalität ab und wurden, wie Renegaten in
der Regel, zu eifrigen Mitarbeitern bei der Unterdrückung ihrer Stammgenossen.
Besonders die jüngere Generation seit 1840 setzte eine Ehre darein, in der
"ritterlichen" Nation der Magyaren aufzugehen, und namentlich in den Städten
vollzog sich dieser Prozeß in großem Umfange. Wenn dabei das deutschredeude
Judentum allen voran war, so ist das weder ein Wunder noch ein Verlust.
Nach der Lvstreunuug Ungarns von dem Verbände mit Österreich hat sich die
Lage der Deutschen dort und in Siebenbürgen nicht besser gestaltet, doch sehen wir
sie in Siebenbürgen der Magyarisirung wenigstens mannhaft Widerstand leiste"
und vereinzelt kamen Fälle der Art auch in Ungarn vor. Vorzüglich die Schul¬
gesetze, welche die herrschende Nasse durchsetzte, wurden lebhaft, wenn auch er¬
folglos, angefochten, und in der That sind dieselben von nachteiligster Wirkung
für das Deutschtum des Landes gewesen. Es ist vor kurzem in diesen Blättern
ausführlich darüber berichtet worden, und wir brauchen hier nur an einige Daten
zu erinnern. 1869 gab es in Ungarn und Siebenbürgen noch 1232 deutsche
Schulen, 1884 nur noch 670, beinahe die Hälfte also ist in diesen anderthalb Jahr¬
zehnten eingegangen, und nehmen wir Ungarn allein, so bestehen für dessen deutsche
Bevölkerung, mehr als anderthalb Millionen, nicht viel über vierhundert Schulen,
in welchen deutsch unterrichtet wird, und darunter ist keine einzige Gelehrtenschule;
denn die deutscheu Gymnasien sind neuerdings aufgehoben worden. Ebensowenig
giebt es ein Seminar zur Heranbildung deutscher Volksschullehrer. Im Jahre
1832 war die Unterrichtssprache in allen Schulen Ofens und Pesth die deutsche,
1843 bestanden hier unter neun Volksschulen bloß zwei magyarische, 1882
aber berichtete der Unterrichtsminister: "Die vierzehn Schulen mit magyarischer
Unterrichtssprache haben sich auf 133 vermehrt, die im Jahre 1369 noch vor-
handnen zwei Schulen mit deutscher Unterrichtssprache sind vollständig einge¬
gangen." Im Pester Komitate mit seinen 12 000 deutschen Schulkindern giebt es
mir eine deutsche Volksschule uoch, im Temescher Landkreise besteht für dessen


Deutsche Sorgen in Österreich.

ordnung von 1777 empfiehlt es den sieben Hcmptnationeu des Landes, welche
sie anführt, da es „unumgänglich notwendig sei, daß jeder Hungar, der sich
dem Militär- oder Handelsstande widmen oder sich zu einem Handwerke begeben
wolle, der deutschen Sprache kundig sei." Josefs Germanisiruugsmaßregeln
scheiterten an dem Widerstande des Magyarentums, und diese Reaktion wurde
unter seinen Nachfolgern, die seine Wege verließen, aus einer defensiven zu einer
offensiven. Die Hebung der magyarischen Nationalität wurde zur Staatsangelegen¬
heit und nahm bald die Gestalt einer möglichst weitgehenden Einschränkung und
Ausschließung des deutschen Elements an. Die Gesetze und Verordnungen von
1790,1792, 1805, 1825 und 1832 dehnten das Geltungsgebiet des Magyarischen
im Landtage, bei den öffentlichen Behörden, den weltlichen und geistlichen Ge¬
richten, dem Klerus und in den Schulen mehr und mehr aus, die Regierung
ließ gewähren, und die ungarischen Deutschen leisteten nur passiven Widerstand
oder legten gar bereitwillig ihre Nationalität ab und wurden, wie Renegaten in
der Regel, zu eifrigen Mitarbeitern bei der Unterdrückung ihrer Stammgenossen.
Besonders die jüngere Generation seit 1840 setzte eine Ehre darein, in der
„ritterlichen" Nation der Magyaren aufzugehen, und namentlich in den Städten
vollzog sich dieser Prozeß in großem Umfange. Wenn dabei das deutschredeude
Judentum allen voran war, so ist das weder ein Wunder noch ein Verlust.
Nach der Lvstreunuug Ungarns von dem Verbände mit Österreich hat sich die
Lage der Deutschen dort und in Siebenbürgen nicht besser gestaltet, doch sehen wir
sie in Siebenbürgen der Magyarisirung wenigstens mannhaft Widerstand leiste»
und vereinzelt kamen Fälle der Art auch in Ungarn vor. Vorzüglich die Schul¬
gesetze, welche die herrschende Nasse durchsetzte, wurden lebhaft, wenn auch er¬
folglos, angefochten, und in der That sind dieselben von nachteiligster Wirkung
für das Deutschtum des Landes gewesen. Es ist vor kurzem in diesen Blättern
ausführlich darüber berichtet worden, und wir brauchen hier nur an einige Daten
zu erinnern. 1869 gab es in Ungarn und Siebenbürgen noch 1232 deutsche
Schulen, 1884 nur noch 670, beinahe die Hälfte also ist in diesen anderthalb Jahr¬
zehnten eingegangen, und nehmen wir Ungarn allein, so bestehen für dessen deutsche
Bevölkerung, mehr als anderthalb Millionen, nicht viel über vierhundert Schulen,
in welchen deutsch unterrichtet wird, und darunter ist keine einzige Gelehrtenschule;
denn die deutscheu Gymnasien sind neuerdings aufgehoben worden. Ebensowenig
giebt es ein Seminar zur Heranbildung deutscher Volksschullehrer. Im Jahre
1832 war die Unterrichtssprache in allen Schulen Ofens und Pesth die deutsche,
1843 bestanden hier unter neun Volksschulen bloß zwei magyarische, 1882
aber berichtete der Unterrichtsminister: „Die vierzehn Schulen mit magyarischer
Unterrichtssprache haben sich auf 133 vermehrt, die im Jahre 1369 noch vor-
handnen zwei Schulen mit deutscher Unterrichtssprache sind vollständig einge¬
gangen." Im Pester Komitate mit seinen 12 000 deutschen Schulkindern giebt es
mir eine deutsche Volksschule uoch, im Temescher Landkreise besteht für dessen


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[0416] Deutsche Sorgen in Österreich. ordnung von 1777 empfiehlt es den sieben Hcmptnationeu des Landes, welche sie anführt, da es „unumgänglich notwendig sei, daß jeder Hungar, der sich dem Militär- oder Handelsstande widmen oder sich zu einem Handwerke begeben wolle, der deutschen Sprache kundig sei." Josefs Germanisiruugsmaßregeln scheiterten an dem Widerstande des Magyarentums, und diese Reaktion wurde unter seinen Nachfolgern, die seine Wege verließen, aus einer defensiven zu einer offensiven. Die Hebung der magyarischen Nationalität wurde zur Staatsangelegen¬ heit und nahm bald die Gestalt einer möglichst weitgehenden Einschränkung und Ausschließung des deutschen Elements an. Die Gesetze und Verordnungen von 1790,1792, 1805, 1825 und 1832 dehnten das Geltungsgebiet des Magyarischen im Landtage, bei den öffentlichen Behörden, den weltlichen und geistlichen Ge¬ richten, dem Klerus und in den Schulen mehr und mehr aus, die Regierung ließ gewähren, und die ungarischen Deutschen leisteten nur passiven Widerstand oder legten gar bereitwillig ihre Nationalität ab und wurden, wie Renegaten in der Regel, zu eifrigen Mitarbeitern bei der Unterdrückung ihrer Stammgenossen. Besonders die jüngere Generation seit 1840 setzte eine Ehre darein, in der „ritterlichen" Nation der Magyaren aufzugehen, und namentlich in den Städten vollzog sich dieser Prozeß in großem Umfange. Wenn dabei das deutschredeude Judentum allen voran war, so ist das weder ein Wunder noch ein Verlust. Nach der Lvstreunuug Ungarns von dem Verbände mit Österreich hat sich die Lage der Deutschen dort und in Siebenbürgen nicht besser gestaltet, doch sehen wir sie in Siebenbürgen der Magyarisirung wenigstens mannhaft Widerstand leiste» und vereinzelt kamen Fälle der Art auch in Ungarn vor. Vorzüglich die Schul¬ gesetze, welche die herrschende Nasse durchsetzte, wurden lebhaft, wenn auch er¬ folglos, angefochten, und in der That sind dieselben von nachteiligster Wirkung für das Deutschtum des Landes gewesen. Es ist vor kurzem in diesen Blättern ausführlich darüber berichtet worden, und wir brauchen hier nur an einige Daten zu erinnern. 1869 gab es in Ungarn und Siebenbürgen noch 1232 deutsche Schulen, 1884 nur noch 670, beinahe die Hälfte also ist in diesen anderthalb Jahr¬ zehnten eingegangen, und nehmen wir Ungarn allein, so bestehen für dessen deutsche Bevölkerung, mehr als anderthalb Millionen, nicht viel über vierhundert Schulen, in welchen deutsch unterrichtet wird, und darunter ist keine einzige Gelehrtenschule; denn die deutscheu Gymnasien sind neuerdings aufgehoben worden. Ebensowenig giebt es ein Seminar zur Heranbildung deutscher Volksschullehrer. Im Jahre 1832 war die Unterrichtssprache in allen Schulen Ofens und Pesth die deutsche, 1843 bestanden hier unter neun Volksschulen bloß zwei magyarische, 1882 aber berichtete der Unterrichtsminister: „Die vierzehn Schulen mit magyarischer Unterrichtssprache haben sich auf 133 vermehrt, die im Jahre 1369 noch vor- handnen zwei Schulen mit deutscher Unterrichtssprache sind vollständig einge¬ gangen." Im Pester Komitate mit seinen 12 000 deutschen Schulkindern giebt es mir eine deutsche Volksschule uoch, im Temescher Landkreise besteht für dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/416>, abgerufen am 27.09.2024.