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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in "Österreich.

damals und noch lange nachher nur Deutsche das Bürgerrecht erwerben, vor
Gericht gütiges Zeugnis ablegen und zur Würde des Sachsengrafen gelangen.
Wie die arpadischen Könige, so begünstigten auch deren Nachfolger bis auf
Matthias Corvinus die deutschen Städte auf jede Weise, ja die Periode von
1301 bis 1490 wurde zur eigentlichen Blütezeit derselben. Der gesamte Berg¬
bau, die Kultur der Neben, neun Zehntel vorn Handel und Handwerk, die
Schulen, die Künste befanden sich in den Händen der Deutschen, die sich in
stetem Zusammenhange mit dem Mutterlande erhielten.

Mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts begann diese Blüte zu welken.
Unter schwachen Königen gewann der magyarische Adel eine Macht, die allmählich
zur Oligarchie wurde und sich wie gegen die Fürsten so auch gegen deren beste
Stütze, das Bürgertum, wendete. Geldbedürftige Herrscher wie die Jagelloueu
halfen sich durch Verpfändung von Städten an reiche Magnaten aus der Not,
und diese Städte, meist in Oberungarn gelegen, verloren, den sie umgebenden
Kvmitaten einverleibt, ihre Selbständigkeit und mit dieser ihre Triebkraft und
die Fähigkeit, ihr Deutschtum gegenüber der benachbarten slawischen Land¬
bevölkerung zu behaupten. Sie sanken zu elenden Slowakennestern herab. Der
stete Parteihader und die fast unausgesetzten Empörungen des Adels ließen das
Land nicht zur Ruhe kommen, und zuletzt rief ein Teil des letztern die Türken
zur Hilfe gegen den König (den Habsburger Ferdinand I.) ins Land, dessen
Geschicke von da an anderthalb Jahrhunderte durch die Türken bestimmt wurden,
und das durch ihre Herrschaft und die Kämpfe mit ihnen aufs äußerste herunter¬
kam. Das Deutschtum Ungarns litt darunter nicht minder als die übrigen
Nationalitäten desselben, ja insofern noch mehr, als jetzt die Zuzüge aus dem
Mutterlande aufhörten, welche es bisher gestärkt hatten. Einigermaßen wurden
diese dadurch ersetzt, daß die Reformation sich auch in Ungarn und Siebenbürgen
ausbreitete und mit ihr die Hebung des deutschen Schulwesens Hand in Hand
ging. Aber bald trat auch hier eine Reaktion ein, und die gewaltsame Znrück-
füyrnug des Katholizismus, die sich nach dem verunglückten Aufstände von 1670
besonders in der Zips und den Bergstädten am Südrande der Karpathen vollzog,
trieb zahlreiche Deutsche über die Grenze und ließ katholische Slawen sich an
deren Stelle festsetzen. Als die Türke" endlich mit Unterstützung von Deutschland
her besiegt und verjagt waren, galt es, die von ihnen verwüsteten und ent¬
völkerten Gegenden neu zu kräftigen, und wieder geschah dies durch Heranziehung
deutscher Volkskraft, welche diesmal vorzüglich aus Schwaben hierher geleitet
wurde und namentlich im Banat und der Baezka fruchtbare Verwendung fand.
Mit einem Aufwands von sieben Millionen Gulden gewannen Maria Theresia
und Josef II. in den Jahren 1763 bis 1789 mehr als 80 000 fleißige Bürger.
Zu gleicher Zeit gelaugte die deutsche Sprache in Ungarn zu weiterer Verbreitung,
teils weil die höhern Stände sich mehr der westlichen Bildung näherten, teils
weil die Regierung die Bekanntschaft mit dem Deutschen förderte. Die Studien-


Deutsche Sorgen in «Österreich.

damals und noch lange nachher nur Deutsche das Bürgerrecht erwerben, vor
Gericht gütiges Zeugnis ablegen und zur Würde des Sachsengrafen gelangen.
Wie die arpadischen Könige, so begünstigten auch deren Nachfolger bis auf
Matthias Corvinus die deutschen Städte auf jede Weise, ja die Periode von
1301 bis 1490 wurde zur eigentlichen Blütezeit derselben. Der gesamte Berg¬
bau, die Kultur der Neben, neun Zehntel vorn Handel und Handwerk, die
Schulen, die Künste befanden sich in den Händen der Deutschen, die sich in
stetem Zusammenhange mit dem Mutterlande erhielten.

Mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts begann diese Blüte zu welken.
Unter schwachen Königen gewann der magyarische Adel eine Macht, die allmählich
zur Oligarchie wurde und sich wie gegen die Fürsten so auch gegen deren beste
Stütze, das Bürgertum, wendete. Geldbedürftige Herrscher wie die Jagelloueu
halfen sich durch Verpfändung von Städten an reiche Magnaten aus der Not,
und diese Städte, meist in Oberungarn gelegen, verloren, den sie umgebenden
Kvmitaten einverleibt, ihre Selbständigkeit und mit dieser ihre Triebkraft und
die Fähigkeit, ihr Deutschtum gegenüber der benachbarten slawischen Land¬
bevölkerung zu behaupten. Sie sanken zu elenden Slowakennestern herab. Der
stete Parteihader und die fast unausgesetzten Empörungen des Adels ließen das
Land nicht zur Ruhe kommen, und zuletzt rief ein Teil des letztern die Türken
zur Hilfe gegen den König (den Habsburger Ferdinand I.) ins Land, dessen
Geschicke von da an anderthalb Jahrhunderte durch die Türken bestimmt wurden,
und das durch ihre Herrschaft und die Kämpfe mit ihnen aufs äußerste herunter¬
kam. Das Deutschtum Ungarns litt darunter nicht minder als die übrigen
Nationalitäten desselben, ja insofern noch mehr, als jetzt die Zuzüge aus dem
Mutterlande aufhörten, welche es bisher gestärkt hatten. Einigermaßen wurden
diese dadurch ersetzt, daß die Reformation sich auch in Ungarn und Siebenbürgen
ausbreitete und mit ihr die Hebung des deutschen Schulwesens Hand in Hand
ging. Aber bald trat auch hier eine Reaktion ein, und die gewaltsame Znrück-
füyrnug des Katholizismus, die sich nach dem verunglückten Aufstände von 1670
besonders in der Zips und den Bergstädten am Südrande der Karpathen vollzog,
trieb zahlreiche Deutsche über die Grenze und ließ katholische Slawen sich an
deren Stelle festsetzen. Als die Türke» endlich mit Unterstützung von Deutschland
her besiegt und verjagt waren, galt es, die von ihnen verwüsteten und ent¬
völkerten Gegenden neu zu kräftigen, und wieder geschah dies durch Heranziehung
deutscher Volkskraft, welche diesmal vorzüglich aus Schwaben hierher geleitet
wurde und namentlich im Banat und der Baezka fruchtbare Verwendung fand.
Mit einem Aufwands von sieben Millionen Gulden gewannen Maria Theresia
und Josef II. in den Jahren 1763 bis 1789 mehr als 80 000 fleißige Bürger.
Zu gleicher Zeit gelaugte die deutsche Sprache in Ungarn zu weiterer Verbreitung,
teils weil die höhern Stände sich mehr der westlichen Bildung näherten, teils
weil die Regierung die Bekanntschaft mit dem Deutschen förderte. Die Studien-


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[0415] Deutsche Sorgen in «Österreich. damals und noch lange nachher nur Deutsche das Bürgerrecht erwerben, vor Gericht gütiges Zeugnis ablegen und zur Würde des Sachsengrafen gelangen. Wie die arpadischen Könige, so begünstigten auch deren Nachfolger bis auf Matthias Corvinus die deutschen Städte auf jede Weise, ja die Periode von 1301 bis 1490 wurde zur eigentlichen Blütezeit derselben. Der gesamte Berg¬ bau, die Kultur der Neben, neun Zehntel vorn Handel und Handwerk, die Schulen, die Künste befanden sich in den Händen der Deutschen, die sich in stetem Zusammenhange mit dem Mutterlande erhielten. Mit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts begann diese Blüte zu welken. Unter schwachen Königen gewann der magyarische Adel eine Macht, die allmählich zur Oligarchie wurde und sich wie gegen die Fürsten so auch gegen deren beste Stütze, das Bürgertum, wendete. Geldbedürftige Herrscher wie die Jagelloueu halfen sich durch Verpfändung von Städten an reiche Magnaten aus der Not, und diese Städte, meist in Oberungarn gelegen, verloren, den sie umgebenden Kvmitaten einverleibt, ihre Selbständigkeit und mit dieser ihre Triebkraft und die Fähigkeit, ihr Deutschtum gegenüber der benachbarten slawischen Land¬ bevölkerung zu behaupten. Sie sanken zu elenden Slowakennestern herab. Der stete Parteihader und die fast unausgesetzten Empörungen des Adels ließen das Land nicht zur Ruhe kommen, und zuletzt rief ein Teil des letztern die Türken zur Hilfe gegen den König (den Habsburger Ferdinand I.) ins Land, dessen Geschicke von da an anderthalb Jahrhunderte durch die Türken bestimmt wurden, und das durch ihre Herrschaft und die Kämpfe mit ihnen aufs äußerste herunter¬ kam. Das Deutschtum Ungarns litt darunter nicht minder als die übrigen Nationalitäten desselben, ja insofern noch mehr, als jetzt die Zuzüge aus dem Mutterlande aufhörten, welche es bisher gestärkt hatten. Einigermaßen wurden diese dadurch ersetzt, daß die Reformation sich auch in Ungarn und Siebenbürgen ausbreitete und mit ihr die Hebung des deutschen Schulwesens Hand in Hand ging. Aber bald trat auch hier eine Reaktion ein, und die gewaltsame Znrück- füyrnug des Katholizismus, die sich nach dem verunglückten Aufstände von 1670 besonders in der Zips und den Bergstädten am Südrande der Karpathen vollzog, trieb zahlreiche Deutsche über die Grenze und ließ katholische Slawen sich an deren Stelle festsetzen. Als die Türke» endlich mit Unterstützung von Deutschland her besiegt und verjagt waren, galt es, die von ihnen verwüsteten und ent¬ völkerten Gegenden neu zu kräftigen, und wieder geschah dies durch Heranziehung deutscher Volkskraft, welche diesmal vorzüglich aus Schwaben hierher geleitet wurde und namentlich im Banat und der Baezka fruchtbare Verwendung fand. Mit einem Aufwands von sieben Millionen Gulden gewannen Maria Theresia und Josef II. in den Jahren 1763 bis 1789 mehr als 80 000 fleißige Bürger. Zu gleicher Zeit gelaugte die deutsche Sprache in Ungarn zu weiterer Verbreitung, teils weil die höhern Stände sich mehr der westlichen Bildung näherten, teils weil die Regierung die Bekanntschaft mit dem Deutschen förderte. Die Studien-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/415>, abgerufen am 20.10.2024.