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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in Österreich.

Hochschule verlor ihre Bedeutung. Bald darauf gewannen die Tschechen im
Präger Stadträte die Oberhand, und die Folge war Unterdrückung der Deutschen.
Die Hussitenkriege, die darauf folgten, waren ein Rafsenkampf, welcher das
Deutschtum allenthalben im Lande, besonders aber in den Städten, tief herunter¬
brachte und dessen Gegner erstarken ließ. Indes wurde eine vollständige Slawi-
sirung Böhmens unmöglich, weil sich in dem entvölkerten Lande sofort nach
dem Frieden die Notwendigkeit fühlbar machte, ihm durch neue Kolonisten auf¬
zuhelfen, die nur ans Deutschland kommen konnten, und die Beschränkungen der¬
selben, in welche Kaiser Sigismund willigen gemußt hatte, sich bald als unwirksam
erwiesen. Immerhin aber wirkte der Haß der Tschechen gegen diese Kultur
lange Jahre fort und hinderte das Wiederaufkommen ihrer Träger vielfach,
wobei der Adel, der unter den jetzt herrschenden schwachen Jagelloneu allen Einfluß
an sich gerissen hatte, sein Bestes that, die "Ausländer" vom Erwerb von Gütern
und Ämtern und ihre Sprache von den Gerichten auszuschließen. Ferdinand I.,
mit dem die Habsburger auf den böhmischen Thron gelangten, that nichts gegen
dieses System, sondern beschränkte sich darauf, der Macht der adlichen Stände
entgegenzutreten. Unter seinen nächsten Nachfolgern aber stieg dieselbe wieder,
und abermals zwang sie die Regierung zu Maßregeln gegen die verhaßten
Deutschen. 1615 mußte Kaiser Mathias einen Beschluß des Prager Landtags,
d. h. der tschechischen Feudalherren, bestätigen, nach dessen Bestimmungen nie¬
mand, der nicht tschechisch verstand, sich im Lande niederlassen, jeder, welcher
bei Zusammenkünften die deutsche Sprache gebrauchte, dasselbe binnen sechs
Monaten meiden, und jeder deutsche Geistliche, jeder Schullehrer uach seinem
Ableben durch einen tschechischen ersetzt werden sollte. Der Adelsherrschaft be¬
reitete Kaiser Ferdinand ein Ende, leider aber war dies mit rücksichtsloser Unter¬
drückung des Protestantismus verbunden, der sich hier so rasch wie in den
Alpenländern der Habsburger ausgebreitet und hier wie dort zur Erhaltung
und Kräftigung des deutschen Elements beigetragen hatte. Die "Vcrnewertc
Landesverordnung," mit welcher der Kaiser nach seinem Siege am Weißen Berge
die Privilegien der böhmischen Barone beseitigte und an deren Stelle den Ab¬
solutismus einführte, verhalf wenigstens der deutschen Sprache bei den Gerichten
und der Laudtafel zur Geltung. Ferdinands Gegenreformation aber zerriß
das Band, mit welchem der Protestantismus die böhmischen Deutschen an die
Stammgenossen jenseits der Grenze geknüpft hatte, für lauge Jahre und zwang
Massen von Deutschen, die uicht katholisch werden wollten, zur Auswanderung.
Allerdings wurde dieser Verlust später durch Zuzüge aus Österreich und katho¬
lischen Gegenden Süddeutschlands einigermaßen ausgeglichen, aber das Bewußt¬
sein nationaler Zusammengehörigkeit und der geistige Verkehr mit dem Norden,
wo von jetzt an der Schwerpunkt der Nation lag und die Keime zu deren Neu¬
gestaltung sich zu entwickeln begannen, gingen verloren. Österreich konzentrirte
sich und schloß sich ab, wie im Süden so auch in Böhmen und den andern


Deutsche Sorgen in Österreich.

Hochschule verlor ihre Bedeutung. Bald darauf gewannen die Tschechen im
Präger Stadträte die Oberhand, und die Folge war Unterdrückung der Deutschen.
Die Hussitenkriege, die darauf folgten, waren ein Rafsenkampf, welcher das
Deutschtum allenthalben im Lande, besonders aber in den Städten, tief herunter¬
brachte und dessen Gegner erstarken ließ. Indes wurde eine vollständige Slawi-
sirung Böhmens unmöglich, weil sich in dem entvölkerten Lande sofort nach
dem Frieden die Notwendigkeit fühlbar machte, ihm durch neue Kolonisten auf¬
zuhelfen, die nur ans Deutschland kommen konnten, und die Beschränkungen der¬
selben, in welche Kaiser Sigismund willigen gemußt hatte, sich bald als unwirksam
erwiesen. Immerhin aber wirkte der Haß der Tschechen gegen diese Kultur
lange Jahre fort und hinderte das Wiederaufkommen ihrer Träger vielfach,
wobei der Adel, der unter den jetzt herrschenden schwachen Jagelloneu allen Einfluß
an sich gerissen hatte, sein Bestes that, die „Ausländer" vom Erwerb von Gütern
und Ämtern und ihre Sprache von den Gerichten auszuschließen. Ferdinand I.,
mit dem die Habsburger auf den böhmischen Thron gelangten, that nichts gegen
dieses System, sondern beschränkte sich darauf, der Macht der adlichen Stände
entgegenzutreten. Unter seinen nächsten Nachfolgern aber stieg dieselbe wieder,
und abermals zwang sie die Regierung zu Maßregeln gegen die verhaßten
Deutschen. 1615 mußte Kaiser Mathias einen Beschluß des Prager Landtags,
d. h. der tschechischen Feudalherren, bestätigen, nach dessen Bestimmungen nie¬
mand, der nicht tschechisch verstand, sich im Lande niederlassen, jeder, welcher
bei Zusammenkünften die deutsche Sprache gebrauchte, dasselbe binnen sechs
Monaten meiden, und jeder deutsche Geistliche, jeder Schullehrer uach seinem
Ableben durch einen tschechischen ersetzt werden sollte. Der Adelsherrschaft be¬
reitete Kaiser Ferdinand ein Ende, leider aber war dies mit rücksichtsloser Unter¬
drückung des Protestantismus verbunden, der sich hier so rasch wie in den
Alpenländern der Habsburger ausgebreitet und hier wie dort zur Erhaltung
und Kräftigung des deutschen Elements beigetragen hatte. Die „Vcrnewertc
Landesverordnung," mit welcher der Kaiser nach seinem Siege am Weißen Berge
die Privilegien der böhmischen Barone beseitigte und an deren Stelle den Ab¬
solutismus einführte, verhalf wenigstens der deutschen Sprache bei den Gerichten
und der Laudtafel zur Geltung. Ferdinands Gegenreformation aber zerriß
das Band, mit welchem der Protestantismus die böhmischen Deutschen an die
Stammgenossen jenseits der Grenze geknüpft hatte, für lauge Jahre und zwang
Massen von Deutschen, die uicht katholisch werden wollten, zur Auswanderung.
Allerdings wurde dieser Verlust später durch Zuzüge aus Österreich und katho¬
lischen Gegenden Süddeutschlands einigermaßen ausgeglichen, aber das Bewußt¬
sein nationaler Zusammengehörigkeit und der geistige Verkehr mit dem Norden,
wo von jetzt an der Schwerpunkt der Nation lag und die Keime zu deren Neu¬
gestaltung sich zu entwickeln begannen, gingen verloren. Österreich konzentrirte
sich und schloß sich ab, wie im Süden so auch in Böhmen und den andern


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[0411] Deutsche Sorgen in Österreich. Hochschule verlor ihre Bedeutung. Bald darauf gewannen die Tschechen im Präger Stadträte die Oberhand, und die Folge war Unterdrückung der Deutschen. Die Hussitenkriege, die darauf folgten, waren ein Rafsenkampf, welcher das Deutschtum allenthalben im Lande, besonders aber in den Städten, tief herunter¬ brachte und dessen Gegner erstarken ließ. Indes wurde eine vollständige Slawi- sirung Böhmens unmöglich, weil sich in dem entvölkerten Lande sofort nach dem Frieden die Notwendigkeit fühlbar machte, ihm durch neue Kolonisten auf¬ zuhelfen, die nur ans Deutschland kommen konnten, und die Beschränkungen der¬ selben, in welche Kaiser Sigismund willigen gemußt hatte, sich bald als unwirksam erwiesen. Immerhin aber wirkte der Haß der Tschechen gegen diese Kultur lange Jahre fort und hinderte das Wiederaufkommen ihrer Träger vielfach, wobei der Adel, der unter den jetzt herrschenden schwachen Jagelloneu allen Einfluß an sich gerissen hatte, sein Bestes that, die „Ausländer" vom Erwerb von Gütern und Ämtern und ihre Sprache von den Gerichten auszuschließen. Ferdinand I., mit dem die Habsburger auf den böhmischen Thron gelangten, that nichts gegen dieses System, sondern beschränkte sich darauf, der Macht der adlichen Stände entgegenzutreten. Unter seinen nächsten Nachfolgern aber stieg dieselbe wieder, und abermals zwang sie die Regierung zu Maßregeln gegen die verhaßten Deutschen. 1615 mußte Kaiser Mathias einen Beschluß des Prager Landtags, d. h. der tschechischen Feudalherren, bestätigen, nach dessen Bestimmungen nie¬ mand, der nicht tschechisch verstand, sich im Lande niederlassen, jeder, welcher bei Zusammenkünften die deutsche Sprache gebrauchte, dasselbe binnen sechs Monaten meiden, und jeder deutsche Geistliche, jeder Schullehrer uach seinem Ableben durch einen tschechischen ersetzt werden sollte. Der Adelsherrschaft be¬ reitete Kaiser Ferdinand ein Ende, leider aber war dies mit rücksichtsloser Unter¬ drückung des Protestantismus verbunden, der sich hier so rasch wie in den Alpenländern der Habsburger ausgebreitet und hier wie dort zur Erhaltung und Kräftigung des deutschen Elements beigetragen hatte. Die „Vcrnewertc Landesverordnung," mit welcher der Kaiser nach seinem Siege am Weißen Berge die Privilegien der böhmischen Barone beseitigte und an deren Stelle den Ab¬ solutismus einführte, verhalf wenigstens der deutschen Sprache bei den Gerichten und der Laudtafel zur Geltung. Ferdinands Gegenreformation aber zerriß das Band, mit welchem der Protestantismus die böhmischen Deutschen an die Stammgenossen jenseits der Grenze geknüpft hatte, für lauge Jahre und zwang Massen von Deutschen, die uicht katholisch werden wollten, zur Auswanderung. Allerdings wurde dieser Verlust später durch Zuzüge aus Österreich und katho¬ lischen Gegenden Süddeutschlands einigermaßen ausgeglichen, aber das Bewußt¬ sein nationaler Zusammengehörigkeit und der geistige Verkehr mit dem Norden, wo von jetzt an der Schwerpunkt der Nation lag und die Keime zu deren Neu¬ gestaltung sich zu entwickeln begannen, gingen verloren. Österreich konzentrirte sich und schloß sich ab, wie im Süden so auch in Böhmen und den andern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/411>, abgerufen am 27.09.2024.