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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Deutsche Sorgen in "Österreich,

am Porschitsch eine Gemeinde mit eigne". Rechte bildeten und sich selbst ihre
Richter wählten. Ähnliche Niederlassungen entstanden an vielen andern Orten
Böhmens, Mährens und Schlesiens, besonders unter den Preemysliden des
zwölften und dreizehnten Jahrhunderts und vor allem unter Ottokar II., der
recht eigentlich als Städtegründer zu bezeichnen ist. Diese Begünstigung der
Deutschen wurde zum Segen für das Land, wie selbst der tschechische Geschicht¬
schreiber Palacky anerkennt, wenn er sagt: "Die Deutschen waren von den
Königen Böhmens vorzüglich wegen ihrer Betriebsamkeit ins Land aufgenommen
worden. Auch entsprachen sie dem in sie gesetzten Vertrauen und erwiesen sich
dem Lande sehr nützlich, besonders im Bergbau nud im Roben und Urbarmachen
der vielen Wälder an der Grenze. Ihnen zunächst verdankt mau die hohe
Blüte der Silberbergwerke von Kuttenberg und Deutsch-Brod, welche auf die Ver¬
mehrung des Wohlstandes und somit auch der Macht des Staates so großen
Einfluß hatten. Für sie und größtenteils auch durch sie wurde der böhmische
Bürgerstand geschaffen, folglich auch die Gewerbethätigkeit neubelebt und ge¬
hoben. Ihre Ansiedlungen gaben endlich mittelbar Anlaß zu der seit Ottokar II.
eifrig betriebenen Emanzipation der Bauern." Am stärksten wirkte der deutsche
Einfluß im dreizehnten Jahrhundert. Mehrere Preemysliden vermählten sich
mit deutschen Fürstentöchtern, die deutsche Sprache wurde zur herrschenden am
Prager Hofe und unter dem Adel, dessen Geschlechter und dessen Burgen großen¬
teils deutsche Namen annahmen, eine Masse deutscher Bezeichnungen bürgerte
sich im Rechts- und Kulturleben des Landes ein, deutsche Meister führten die
meisten von dessen Kirchen, Schlössern und Klöstern auf, und der Hof wurde
zum Sammelplatze deutscher Minnesänger. Nach Ottokars Fall regte sich die
Reaktion der Tschechen gegen die inzwischen durch fortgesetzte Zuzüge verstärkten
"Eindringlinge" wieder lebhafter, indem der Adel, voll Neid und Besorgnis
über das Wachstum des deutschen Städtebürgertums, sich den mißgünstigen
Massen vielfach anschloß. Bald aber begann eine neue Blütezeit für das
böhmische Deutschtum. Die Luxemburger bestiegen den Thron, und der zweite
Herrscher dieses Geschlechtes, der als Karl IV. zugleich die deutsche Krone trug,
beabsichtigte Prag zur Hauptstadt Deutschlands zu machen, zu welchem Zwecke
er dort auch eine Universität gründete. Dieselbe wurde rasch der Mittelpunkt
des geistigen Lebens für ganz Mitteleuropa, und ihre Lehrer wie ihre Stu¬
denten waren weitüberwiegeud deutscher Nationalität. Die schöne Entwicklung
dieser Hochschule und mit ihr die des deutschen Elements in den böhmischen
Landen überhaupt wurde aber im fünfzehnten Jahrhundert verhängnisvoll dnrch
die hnssitische Bewegung zum Stillstande gebracht. Huß war ebenso sehr ein
fanatischer Tscheche und Deutscheufeind als ein Gegner der verrotteten Zustande
in der katholischen Kirche, und von seinen Anhängern gilt dies in noch höherem
Grade. Zunächst wurden die Deutschen an der Universität durch Schmälerung
ihrer bisherigen Rechte zur Auswanderung gezwungen, und die nun tschcchisirte


Deutsche Sorgen in «Österreich,

am Porschitsch eine Gemeinde mit eigne». Rechte bildeten und sich selbst ihre
Richter wählten. Ähnliche Niederlassungen entstanden an vielen andern Orten
Böhmens, Mährens und Schlesiens, besonders unter den Preemysliden des
zwölften und dreizehnten Jahrhunderts und vor allem unter Ottokar II., der
recht eigentlich als Städtegründer zu bezeichnen ist. Diese Begünstigung der
Deutschen wurde zum Segen für das Land, wie selbst der tschechische Geschicht¬
schreiber Palacky anerkennt, wenn er sagt: „Die Deutschen waren von den
Königen Böhmens vorzüglich wegen ihrer Betriebsamkeit ins Land aufgenommen
worden. Auch entsprachen sie dem in sie gesetzten Vertrauen und erwiesen sich
dem Lande sehr nützlich, besonders im Bergbau nud im Roben und Urbarmachen
der vielen Wälder an der Grenze. Ihnen zunächst verdankt mau die hohe
Blüte der Silberbergwerke von Kuttenberg und Deutsch-Brod, welche auf die Ver¬
mehrung des Wohlstandes und somit auch der Macht des Staates so großen
Einfluß hatten. Für sie und größtenteils auch durch sie wurde der böhmische
Bürgerstand geschaffen, folglich auch die Gewerbethätigkeit neubelebt und ge¬
hoben. Ihre Ansiedlungen gaben endlich mittelbar Anlaß zu der seit Ottokar II.
eifrig betriebenen Emanzipation der Bauern." Am stärksten wirkte der deutsche
Einfluß im dreizehnten Jahrhundert. Mehrere Preemysliden vermählten sich
mit deutschen Fürstentöchtern, die deutsche Sprache wurde zur herrschenden am
Prager Hofe und unter dem Adel, dessen Geschlechter und dessen Burgen großen¬
teils deutsche Namen annahmen, eine Masse deutscher Bezeichnungen bürgerte
sich im Rechts- und Kulturleben des Landes ein, deutsche Meister führten die
meisten von dessen Kirchen, Schlössern und Klöstern auf, und der Hof wurde
zum Sammelplatze deutscher Minnesänger. Nach Ottokars Fall regte sich die
Reaktion der Tschechen gegen die inzwischen durch fortgesetzte Zuzüge verstärkten
„Eindringlinge" wieder lebhafter, indem der Adel, voll Neid und Besorgnis
über das Wachstum des deutschen Städtebürgertums, sich den mißgünstigen
Massen vielfach anschloß. Bald aber begann eine neue Blütezeit für das
böhmische Deutschtum. Die Luxemburger bestiegen den Thron, und der zweite
Herrscher dieses Geschlechtes, der als Karl IV. zugleich die deutsche Krone trug,
beabsichtigte Prag zur Hauptstadt Deutschlands zu machen, zu welchem Zwecke
er dort auch eine Universität gründete. Dieselbe wurde rasch der Mittelpunkt
des geistigen Lebens für ganz Mitteleuropa, und ihre Lehrer wie ihre Stu¬
denten waren weitüberwiegeud deutscher Nationalität. Die schöne Entwicklung
dieser Hochschule und mit ihr die des deutschen Elements in den böhmischen
Landen überhaupt wurde aber im fünfzehnten Jahrhundert verhängnisvoll dnrch
die hnssitische Bewegung zum Stillstande gebracht. Huß war ebenso sehr ein
fanatischer Tscheche und Deutscheufeind als ein Gegner der verrotteten Zustande
in der katholischen Kirche, und von seinen Anhängern gilt dies in noch höherem
Grade. Zunächst wurden die Deutschen an der Universität durch Schmälerung
ihrer bisherigen Rechte zur Auswanderung gezwungen, und die nun tschcchisirte


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[0410] Deutsche Sorgen in «Österreich, am Porschitsch eine Gemeinde mit eigne». Rechte bildeten und sich selbst ihre Richter wählten. Ähnliche Niederlassungen entstanden an vielen andern Orten Böhmens, Mährens und Schlesiens, besonders unter den Preemysliden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts und vor allem unter Ottokar II., der recht eigentlich als Städtegründer zu bezeichnen ist. Diese Begünstigung der Deutschen wurde zum Segen für das Land, wie selbst der tschechische Geschicht¬ schreiber Palacky anerkennt, wenn er sagt: „Die Deutschen waren von den Königen Böhmens vorzüglich wegen ihrer Betriebsamkeit ins Land aufgenommen worden. Auch entsprachen sie dem in sie gesetzten Vertrauen und erwiesen sich dem Lande sehr nützlich, besonders im Bergbau nud im Roben und Urbarmachen der vielen Wälder an der Grenze. Ihnen zunächst verdankt mau die hohe Blüte der Silberbergwerke von Kuttenberg und Deutsch-Brod, welche auf die Ver¬ mehrung des Wohlstandes und somit auch der Macht des Staates so großen Einfluß hatten. Für sie und größtenteils auch durch sie wurde der böhmische Bürgerstand geschaffen, folglich auch die Gewerbethätigkeit neubelebt und ge¬ hoben. Ihre Ansiedlungen gaben endlich mittelbar Anlaß zu der seit Ottokar II. eifrig betriebenen Emanzipation der Bauern." Am stärksten wirkte der deutsche Einfluß im dreizehnten Jahrhundert. Mehrere Preemysliden vermählten sich mit deutschen Fürstentöchtern, die deutsche Sprache wurde zur herrschenden am Prager Hofe und unter dem Adel, dessen Geschlechter und dessen Burgen großen¬ teils deutsche Namen annahmen, eine Masse deutscher Bezeichnungen bürgerte sich im Rechts- und Kulturleben des Landes ein, deutsche Meister führten die meisten von dessen Kirchen, Schlössern und Klöstern auf, und der Hof wurde zum Sammelplatze deutscher Minnesänger. Nach Ottokars Fall regte sich die Reaktion der Tschechen gegen die inzwischen durch fortgesetzte Zuzüge verstärkten „Eindringlinge" wieder lebhafter, indem der Adel, voll Neid und Besorgnis über das Wachstum des deutschen Städtebürgertums, sich den mißgünstigen Massen vielfach anschloß. Bald aber begann eine neue Blütezeit für das böhmische Deutschtum. Die Luxemburger bestiegen den Thron, und der zweite Herrscher dieses Geschlechtes, der als Karl IV. zugleich die deutsche Krone trug, beabsichtigte Prag zur Hauptstadt Deutschlands zu machen, zu welchem Zwecke er dort auch eine Universität gründete. Dieselbe wurde rasch der Mittelpunkt des geistigen Lebens für ganz Mitteleuropa, und ihre Lehrer wie ihre Stu¬ denten waren weitüberwiegeud deutscher Nationalität. Die schöne Entwicklung dieser Hochschule und mit ihr die des deutschen Elements in den böhmischen Landen überhaupt wurde aber im fünfzehnten Jahrhundert verhängnisvoll dnrch die hnssitische Bewegung zum Stillstande gebracht. Huß war ebenso sehr ein fanatischer Tscheche und Deutscheufeind als ein Gegner der verrotteten Zustande in der katholischen Kirche, und von seinen Anhängern gilt dies in noch höherem Grade. Zunächst wurden die Deutschen an der Universität durch Schmälerung ihrer bisherigen Rechte zur Auswanderung gezwungen, und die nun tschcchisirte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/410>, abgerufen am 27.09.2024.