Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus"der Chronik derer von Riffelshausen.

Stühle an die alten Plätze gerückt, die Bücher zurechtgelegt und der eine Rohr¬
stuhl, der im Getümmel der Schlacht ein Bein verloren hatte, mit Kunst von
Julien so zusammengestapelt, daß man den Schaden übersehen konnte.

Sieh mal, Valer, ich stelle ihn hier in die Ecke. Wenn er nicht benutzt
wird, hält er noch zwanzig Jahre.

El freilich. Ebenso gut ohne wie mit dem Bein. So, nun ist alles in
bester Ordnung.

Dies war auch gut, denn schon erscholl draußen Tmkelbergs etwas un¬
sicherer Schritt. Valerian nahm geschwind seinen Rock vom Fensterkreuze und
fuhr eben hinein, als der Lehrer eintrat. Trotz seiner Zerstreutheit blickte er
forschend umher, denn sein Zimmer dünkte ihn nicht ganz normal.

Was macht ihr denn, meine lieben Freunde? Es erscheint mir, das heißt,
es will mich bedünken --

Wir haben eben noch mal unsre Aufgaben repetirt, schrie Valer, und fuhr
dann leiser fort: Sieh doch mal, was dahinten los ist, Julie, ich komme nicht
in den verwünschten Rock!

Eure Aufgaben, wiederholte Trakelberg befriedigt, obwohl niemand zu lernen
schien; dann rieb er sich die Hände und wanderte im Zimmer auf und ab, während
Mathilde seinen Hut forttrug.

Ach, da ist etwas gerissen, Julie.

Sie war noch kopfschüttelnd mit des Bruders Kittel beschäftigt. Ja, ich
weiß nicht, da hat sich etwas verdreht.

Herr Trakelberg aber schritt dem verhängnisvollen Stuhle zu; denn dieser
war der einzige, der nicht mit Büchern belastet war.

Herr Trakelberg! rief warnend das Quartett; aber zu spät. Schon hatte
er sich niedergesetzt, und mit Krachen ging der Stuhl auseinander. Trakelberg
sah sich zu seiner Überraschung in einer höchst sonderbaren Position, die denn
auch unsre Jugend dergestalt begeisterte, daß sie trotz ihres Schreckens in ein
brüllendes Gelächter ausbrach.

Schon wollte Herr Trakelberg in dasselbe einstimmen, da öffnete sich die
Thür und -- Cäcilie stand, sprachlos wie Loth Weib, auf der Schwelle. Aber
nicht lange ließ sie das vernichtende Feuer ihrer Blicke allein wirken. Was
ist denn das? Stühle und Tische zerbrochen! Und meine Handtücher! Herr
Trakelberg, ist denn hier alles von Sinnen?

Das Ende vom Liede war, daß unsre Jugend verdammt wurde, das
Mittagsmahl im Gesindezimmer einzunehmen, wobei ihnen Herr Trakelberg gern
Gesellschaft geleistet hätte. Cäcilie aber entzog seit jenem Tage dem unglücklichen
Kandidaten ihr Vertrauen dermaßen, daß sie ihm nur noch Handtücher von ganz
grobem Gespinnst gab, um ihn zu demütigen. Schade nur, daß Trakelberg den
Unterschied garnicht merkte.




Grenzboten IV. 1886.
Aus"der Chronik derer von Riffelshausen.

Stühle an die alten Plätze gerückt, die Bücher zurechtgelegt und der eine Rohr¬
stuhl, der im Getümmel der Schlacht ein Bein verloren hatte, mit Kunst von
Julien so zusammengestapelt, daß man den Schaden übersehen konnte.

Sieh mal, Valer, ich stelle ihn hier in die Ecke. Wenn er nicht benutzt
wird, hält er noch zwanzig Jahre.

El freilich. Ebenso gut ohne wie mit dem Bein. So, nun ist alles in
bester Ordnung.

Dies war auch gut, denn schon erscholl draußen Tmkelbergs etwas un¬
sicherer Schritt. Valerian nahm geschwind seinen Rock vom Fensterkreuze und
fuhr eben hinein, als der Lehrer eintrat. Trotz seiner Zerstreutheit blickte er
forschend umher, denn sein Zimmer dünkte ihn nicht ganz normal.

Was macht ihr denn, meine lieben Freunde? Es erscheint mir, das heißt,
es will mich bedünken —

Wir haben eben noch mal unsre Aufgaben repetirt, schrie Valer, und fuhr
dann leiser fort: Sieh doch mal, was dahinten los ist, Julie, ich komme nicht
in den verwünschten Rock!

Eure Aufgaben, wiederholte Trakelberg befriedigt, obwohl niemand zu lernen
schien; dann rieb er sich die Hände und wanderte im Zimmer auf und ab, während
Mathilde seinen Hut forttrug.

Ach, da ist etwas gerissen, Julie.

Sie war noch kopfschüttelnd mit des Bruders Kittel beschäftigt. Ja, ich
weiß nicht, da hat sich etwas verdreht.

Herr Trakelberg aber schritt dem verhängnisvollen Stuhle zu; denn dieser
war der einzige, der nicht mit Büchern belastet war.

Herr Trakelberg! rief warnend das Quartett; aber zu spät. Schon hatte
er sich niedergesetzt, und mit Krachen ging der Stuhl auseinander. Trakelberg
sah sich zu seiner Überraschung in einer höchst sonderbaren Position, die denn
auch unsre Jugend dergestalt begeisterte, daß sie trotz ihres Schreckens in ein
brüllendes Gelächter ausbrach.

Schon wollte Herr Trakelberg in dasselbe einstimmen, da öffnete sich die
Thür und — Cäcilie stand, sprachlos wie Loth Weib, auf der Schwelle. Aber
nicht lange ließ sie das vernichtende Feuer ihrer Blicke allein wirken. Was
ist denn das? Stühle und Tische zerbrochen! Und meine Handtücher! Herr
Trakelberg, ist denn hier alles von Sinnen?

Das Ende vom Liede war, daß unsre Jugend verdammt wurde, das
Mittagsmahl im Gesindezimmer einzunehmen, wobei ihnen Herr Trakelberg gern
Gesellschaft geleistet hätte. Cäcilie aber entzog seit jenem Tage dem unglücklichen
Kandidaten ihr Vertrauen dermaßen, daß sie ihm nur noch Handtücher von ganz
grobem Gespinnst gab, um ihn zu demütigen. Schade nur, daß Trakelberg den
Unterschied garnicht merkte.




Grenzboten IV. 1886.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199395"/>
            <fw type="header" place="top"> Aus"der Chronik derer von Riffelshausen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_93" prev="#ID_92"> Stühle an die alten Plätze gerückt, die Bücher zurechtgelegt und der eine Rohr¬<lb/>
stuhl, der im Getümmel der Schlacht ein Bein verloren hatte, mit Kunst von<lb/>
Julien so zusammengestapelt, daß man den Schaden übersehen konnte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_94"> Sieh mal, Valer, ich stelle ihn hier in die Ecke. Wenn er nicht benutzt<lb/>
wird, hält er noch zwanzig Jahre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_95"> El freilich. Ebenso gut ohne wie mit dem Bein. So, nun ist alles in<lb/>
bester Ordnung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_96"> Dies war auch gut, denn schon erscholl draußen Tmkelbergs etwas un¬<lb/>
sicherer Schritt. Valerian nahm geschwind seinen Rock vom Fensterkreuze und<lb/>
fuhr eben hinein, als der Lehrer eintrat. Trotz seiner Zerstreutheit blickte er<lb/>
forschend umher, denn sein Zimmer dünkte ihn nicht ganz normal.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_97"> Was macht ihr denn, meine lieben Freunde? Es erscheint mir, das heißt,<lb/>
es will mich bedünken &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_98"> Wir haben eben noch mal unsre Aufgaben repetirt, schrie Valer, und fuhr<lb/>
dann leiser fort: Sieh doch mal, was dahinten los ist, Julie, ich komme nicht<lb/>
in den verwünschten Rock!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_99"> Eure Aufgaben, wiederholte Trakelberg befriedigt, obwohl niemand zu lernen<lb/>
schien; dann rieb er sich die Hände und wanderte im Zimmer auf und ab, während<lb/>
Mathilde seinen Hut forttrug.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_100"> Ach, da ist etwas gerissen, Julie.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_101"> Sie war noch kopfschüttelnd mit des Bruders Kittel beschäftigt. Ja, ich<lb/>
weiß nicht, da hat sich etwas verdreht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_102"> Herr Trakelberg aber schritt dem verhängnisvollen Stuhle zu; denn dieser<lb/>
war der einzige, der nicht mit Büchern belastet war.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_103"> Herr Trakelberg! rief warnend das Quartett; aber zu spät. Schon hatte<lb/>
er sich niedergesetzt, und mit Krachen ging der Stuhl auseinander. Trakelberg<lb/>
sah sich zu seiner Überraschung in einer höchst sonderbaren Position, die denn<lb/>
auch unsre Jugend dergestalt begeisterte, daß sie trotz ihres Schreckens in ein<lb/>
brüllendes Gelächter ausbrach.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_104"> Schon wollte Herr Trakelberg in dasselbe einstimmen, da öffnete sich die<lb/>
Thür und &#x2014; Cäcilie stand, sprachlos wie Loth Weib, auf der Schwelle. Aber<lb/>
nicht lange ließ sie das vernichtende Feuer ihrer Blicke allein wirken. Was<lb/>
ist denn das? Stühle und Tische zerbrochen! Und meine Handtücher! Herr<lb/>
Trakelberg, ist denn hier alles von Sinnen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_105"> Das Ende vom Liede war, daß unsre Jugend verdammt wurde, das<lb/>
Mittagsmahl im Gesindezimmer einzunehmen, wobei ihnen Herr Trakelberg gern<lb/>
Gesellschaft geleistet hätte. Cäcilie aber entzog seit jenem Tage dem unglücklichen<lb/>
Kandidaten ihr Vertrauen dermaßen, daß sie ihm nur noch Handtücher von ganz<lb/>
grobem Gespinnst gab, um ihn zu demütigen. Schade nur, daß Trakelberg den<lb/>
Unterschied garnicht merkte.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1886.</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0041] Aus"der Chronik derer von Riffelshausen. Stühle an die alten Plätze gerückt, die Bücher zurechtgelegt und der eine Rohr¬ stuhl, der im Getümmel der Schlacht ein Bein verloren hatte, mit Kunst von Julien so zusammengestapelt, daß man den Schaden übersehen konnte. Sieh mal, Valer, ich stelle ihn hier in die Ecke. Wenn er nicht benutzt wird, hält er noch zwanzig Jahre. El freilich. Ebenso gut ohne wie mit dem Bein. So, nun ist alles in bester Ordnung. Dies war auch gut, denn schon erscholl draußen Tmkelbergs etwas un¬ sicherer Schritt. Valerian nahm geschwind seinen Rock vom Fensterkreuze und fuhr eben hinein, als der Lehrer eintrat. Trotz seiner Zerstreutheit blickte er forschend umher, denn sein Zimmer dünkte ihn nicht ganz normal. Was macht ihr denn, meine lieben Freunde? Es erscheint mir, das heißt, es will mich bedünken — Wir haben eben noch mal unsre Aufgaben repetirt, schrie Valer, und fuhr dann leiser fort: Sieh doch mal, was dahinten los ist, Julie, ich komme nicht in den verwünschten Rock! Eure Aufgaben, wiederholte Trakelberg befriedigt, obwohl niemand zu lernen schien; dann rieb er sich die Hände und wanderte im Zimmer auf und ab, während Mathilde seinen Hut forttrug. Ach, da ist etwas gerissen, Julie. Sie war noch kopfschüttelnd mit des Bruders Kittel beschäftigt. Ja, ich weiß nicht, da hat sich etwas verdreht. Herr Trakelberg aber schritt dem verhängnisvollen Stuhle zu; denn dieser war der einzige, der nicht mit Büchern belastet war. Herr Trakelberg! rief warnend das Quartett; aber zu spät. Schon hatte er sich niedergesetzt, und mit Krachen ging der Stuhl auseinander. Trakelberg sah sich zu seiner Überraschung in einer höchst sonderbaren Position, die denn auch unsre Jugend dergestalt begeisterte, daß sie trotz ihres Schreckens in ein brüllendes Gelächter ausbrach. Schon wollte Herr Trakelberg in dasselbe einstimmen, da öffnete sich die Thür und — Cäcilie stand, sprachlos wie Loth Weib, auf der Schwelle. Aber nicht lange ließ sie das vernichtende Feuer ihrer Blicke allein wirken. Was ist denn das? Stühle und Tische zerbrochen! Und meine Handtücher! Herr Trakelberg, ist denn hier alles von Sinnen? Das Ende vom Liede war, daß unsre Jugend verdammt wurde, das Mittagsmahl im Gesindezimmer einzunehmen, wobei ihnen Herr Trakelberg gern Gesellschaft geleistet hätte. Cäcilie aber entzog seit jenem Tage dem unglücklichen Kandidaten ihr Vertrauen dermaßen, daß sie ihm nur noch Handtücher von ganz grobem Gespinnst gab, um ihn zu demütigen. Schade nur, daß Trakelberg den Unterschied garnicht merkte. Grenzboten IV. 1886.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/41
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/41>, abgerufen am 27.09.2024.