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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aur Lebsn5beschreibnng Heinrichs von Kleist.

Gedanken die ersten befriedigenden Thaten hervortreiben sehen. Offenbar hatte
er damals bereits goldne Früchte seines Dichtergcnics geerntet, sonst hätte
er den folgenschweren Entschluß, kein Amt anzunehmen, dem "eignen Zweck"
zu leben, nicht fassen können. Was in Würzburg dem Dichtenden zufiel, be¬
friedigte ihn in so hohem Maße, daß er an Ulrike die Worte richten durfte:
"Jetzt erst öffnet sich mir etwas, das mich aus der Zukunft anlächelt, wie
Erdenglück." Und dieser Ausdruck weist wieder auf deu "Robert Guiseard"
hin, denn es ist wohl kein Zufall, daß Kleist zwei Jahre später, wo er vor der
Vollendung seines Meisterwerks zu stehen glaubt, mit Anwendung desselben Wortes
an Ulrike schreibt: "In kurzem werde ich dir viel Frohes zu schreiben haben, denn
ich nähere mich allem Erdenglück." Die "Familie Schrosfenstein," Kleists erstes
vollendetes Drama, ist offenbar nicht das erste in seinem Geist empfangene. Als
er an der größern Aufgabe des "Robert Guiscard" für den Augenblick ver¬
zweifelte, da wandte er sich mißmutig jener kleinern zu, die denn auch ganz deu
Eindruck macht, als habe der Dichter ihr nur einen Teil seiner Kraft gewidmet,
die größere Hälfte für den "Guiscard" zurückhaltend, zu welchem immer seiue
Gedanken aufwärts schweiften. Damit steht ganz im Einklange die geringe Liebe
des Dichters der "Schrosfensteiuer" für dieses Kind seiner Muse; er achtet es
gleich einem seiner unwürdigen Bastard und rühmt sich weit besseren Könnens.

Um schließlich zu zeigen, daß gerade das uns erhaltene Guiscard-Fragment
sehr wohl aus der Würzburger Zeit stammen kann, setze ich eine Stelle des
Fragments zur Vergleichung mit dem Anfange des Gedichts "An Wilhelmine"
hierher. Das oben auszugsweise mitgeteilte Gedicht (in der Hempelschen Aus¬
gabe steht es S. 11 des fünfte" Teils), welches wahrscheinlich kurz vor dem
Antritt der Würzburger Reise verfaßt worden ist, beginnt:


Nicht aus des Herzens bloßem Wunsche keimt
Des Glückes schöne Götterpflanze auf.
Der Mensch soll mit der Mühe Pflugschar sich
Des Schicksals harten Boden öffnen.

Genau dasselbe Bild, welches das Glück als Pflanze, den Grund, worauf es
wächst, als Acker schildert, findet sich im sechsten Auftritt des Guiseard-Frag¬
ments, wo der Greis zu Abälard, dem Neffen Robert Guiscards, sagt:


Nun jeder Segen schütte, der in Wolken
Die Tugenden umschwebt, sich auf dich nieder
Und ziehe deines Glückes Pflanze groß!
Das, was der Grund vermag, auf dem sie steht,
Das, zweifle nicht, o Herr, das wird geschehn!
Doch eines Düngers, mißlichen Geschlechts,
Bedarf es nicht, vergieb, um sie zu treiben;
Der Acker, wenn es sein kann, bleibe rein!

Eine Ähnlichkeit beider Stellen in Bezug auf Gedanken und Stil ist unver¬
kennbar. Nach alledem kann angenommen werden, daß zu derselben Zeit, wo


Aur Lebsn5beschreibnng Heinrichs von Kleist.

Gedanken die ersten befriedigenden Thaten hervortreiben sehen. Offenbar hatte
er damals bereits goldne Früchte seines Dichtergcnics geerntet, sonst hätte
er den folgenschweren Entschluß, kein Amt anzunehmen, dem „eignen Zweck"
zu leben, nicht fassen können. Was in Würzburg dem Dichtenden zufiel, be¬
friedigte ihn in so hohem Maße, daß er an Ulrike die Worte richten durfte:
„Jetzt erst öffnet sich mir etwas, das mich aus der Zukunft anlächelt, wie
Erdenglück." Und dieser Ausdruck weist wieder auf deu „Robert Guiseard"
hin, denn es ist wohl kein Zufall, daß Kleist zwei Jahre später, wo er vor der
Vollendung seines Meisterwerks zu stehen glaubt, mit Anwendung desselben Wortes
an Ulrike schreibt: „In kurzem werde ich dir viel Frohes zu schreiben haben, denn
ich nähere mich allem Erdenglück." Die „Familie Schrosfenstein," Kleists erstes
vollendetes Drama, ist offenbar nicht das erste in seinem Geist empfangene. Als
er an der größern Aufgabe des „Robert Guiscard" für den Augenblick ver¬
zweifelte, da wandte er sich mißmutig jener kleinern zu, die denn auch ganz deu
Eindruck macht, als habe der Dichter ihr nur einen Teil seiner Kraft gewidmet,
die größere Hälfte für den „Guiscard" zurückhaltend, zu welchem immer seiue
Gedanken aufwärts schweiften. Damit steht ganz im Einklange die geringe Liebe
des Dichters der „Schrosfensteiuer" für dieses Kind seiner Muse; er achtet es
gleich einem seiner unwürdigen Bastard und rühmt sich weit besseren Könnens.

Um schließlich zu zeigen, daß gerade das uns erhaltene Guiscard-Fragment
sehr wohl aus der Würzburger Zeit stammen kann, setze ich eine Stelle des
Fragments zur Vergleichung mit dem Anfange des Gedichts „An Wilhelmine"
hierher. Das oben auszugsweise mitgeteilte Gedicht (in der Hempelschen Aus¬
gabe steht es S. 11 des fünfte» Teils), welches wahrscheinlich kurz vor dem
Antritt der Würzburger Reise verfaßt worden ist, beginnt:


Nicht aus des Herzens bloßem Wunsche keimt
Des Glückes schöne Götterpflanze auf.
Der Mensch soll mit der Mühe Pflugschar sich
Des Schicksals harten Boden öffnen.

Genau dasselbe Bild, welches das Glück als Pflanze, den Grund, worauf es
wächst, als Acker schildert, findet sich im sechsten Auftritt des Guiseard-Frag¬
ments, wo der Greis zu Abälard, dem Neffen Robert Guiscards, sagt:


Nun jeder Segen schütte, der in Wolken
Die Tugenden umschwebt, sich auf dich nieder
Und ziehe deines Glückes Pflanze groß!
Das, was der Grund vermag, auf dem sie steht,
Das, zweifle nicht, o Herr, das wird geschehn!
Doch eines Düngers, mißlichen Geschlechts,
Bedarf es nicht, vergieb, um sie zu treiben;
Der Acker, wenn es sein kann, bleibe rein!

Eine Ähnlichkeit beider Stellen in Bezug auf Gedanken und Stil ist unver¬
kennbar. Nach alledem kann angenommen werden, daß zu derselben Zeit, wo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/392>, abgerufen am 27.09.2024.