Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. nach dem Willen der Natur, als der Hausvater, der Landmann?" lesen wir ein Jahrelang also hatte Kleist den Plan, Landwirt zu werden, mit sich ge¬ Die Lösung des Verlöbnisfes und was unmittelbar vorausgeht und nach¬ Einige Worte über Kleists "Robert Guiscard," das nie vollendete Ideal- Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. nach dem Willen der Natur, als der Hausvater, der Landmann?" lesen wir ein Jahrelang also hatte Kleist den Plan, Landwirt zu werden, mit sich ge¬ Die Lösung des Verlöbnisfes und was unmittelbar vorausgeht und nach¬ Einige Worte über Kleists „Robert Guiscard," das nie vollendete Ideal- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199745"/> <fw type="header" place="top"> Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1590" prev="#ID_1589"> nach dem Willen der Natur, als der Hausvater, der Landmann?" lesen wir ein<lb/> andermal; „ist mir nicht jede ehrliche Arbeit willkommen und will ich einen<lb/> größern Preis, als Freiheit, ein eignes Haus und dich?" lautet eine dritte Stelle.</p><lb/> <p xml:id="ID_1591"> Jahrelang also hatte Kleist den Plan, Landwirt zu werden, mit sich ge¬<lb/> tragen und denselben, wie viel auch gegen ihn sprechen mochte, stets als die<lb/> einzig mögliche Lösung für das Drama seines Lebens gehalten. Es ist daher<lb/> erklärlich, wie erschütternd es auf ihn wirken mußte, daß Wilhelmine seinen<lb/> Vorschlag, als er ihn endlich in dem oben erwähnten Pariser Briefe vom<lb/> 10. Oktober 1801 in feste Worte kleidete, mit entschiednen Nein beantwortete.<lb/> Als Heinrich dieser Weigerung fein Beharren entgegensetzte, war er sich bewußt,<lb/> sein schönstes Glück von sich zu stoßen, denn das stand fest bei ihm, daß entweder<lb/> Wilhelmine oder keine sein Herz beglücken würde. Der Dämon seines Ehrgeizes<lb/> ließ ihn nicht zaudern, den Besitz Wilhelminens aufzuopfern gegen die Jagd nach<lb/> dem höchsten Ruhmeskranze. Daß der Dichter über den Menschen so vollständig<lb/> den Sieg davontragen konnte — einen Sieg, der beiden, sowohl dem Dichter<lb/> als dem Menschen, das innerste Lebensmark entzog —, dies ist das wahrhaft<lb/> Unbegreifliche in Kleists Leben. Ähnliche Kämpfe, wie er sie bis zu diesem<lb/> Punkte durchgekämpft hatte, sind fast jedem großen ringenden Geiste beschieden, jetzt<lb/> hat er sich von dem Menschlichen losgesagt und wandelt Bahnen, die zum Ver¬<lb/> derben führen müssen. Es ist ewig beklagenswert, daß kein Weg gefunden wurde,<lb/> auf dem Kleist für immer an der Seite Wilhelminens hätte wandern können.<lb/> Niemand kann sagen, ob Kleist, wenn ihn die Hand der Liebe aus den Stürmen<lb/> seines eignen Herzens zu retten vermocht hätte, nicht ein andrer Shakespeare<lb/> geworden wäre. Über die hohe dramatische Begabung Kleists herrscht nur eine<lb/> Stimme, und wie viel er an rein dichterischer Kraft besaß, zeigen die ernsten<lb/> Szenen des „Amphitryon" und das Trauerspiel „Penthesilea," ein Stück, in<lb/> dessen Sprache göttliches Feuer und dämonische Glut der Leidenschaft zu einem<lb/> Niesenbrande zusammenzüngeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1592"> Die Lösung des Verlöbnisfes und was unmittelbar vorausgeht und nach¬<lb/> folgt, fällt nicht mehr in den Nahmen dieses Aufsatzes. Meine Aufgabe war<lb/> nur der Nachweis, daß nicht erst in Würzburg das Dichterleben Kleists begonnen,<lb/> daß vielmehr die Entwicklung unsers Dichters, wie eigenartig immer, von seiner<lb/> Jugend an in geradem, bewußtem Vorstreben stattgefunden hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1593" next="#ID_1594"> Einige Worte über Kleists „Robert Guiscard," das nie vollendete Ideal-<lb/> Werk, welches die verhängnisvollste Rolle im Leben des Dichters gespielt hat,<lb/> mögen diesen Aufsatz beschließen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Plan<lb/> dieses Werkes schon vor und während der Würzburger Reise des Dichters Leit¬<lb/> stern war. Der Gedanke Kleists, mit seinem „Guiscard" es allen Meistern der<lb/> dramatischen Dichtkunst zuvorzuthun, muß jenen jugendlichen Jahren ent¬<lb/> stammen, wo das Vertrauen auf die eigne Kraft noch gleich dem Glauben ist,<lb/> der Berge versetzt. In Würzburg hat der Dichter, so scheint es, aus dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.
nach dem Willen der Natur, als der Hausvater, der Landmann?" lesen wir ein
andermal; „ist mir nicht jede ehrliche Arbeit willkommen und will ich einen
größern Preis, als Freiheit, ein eignes Haus und dich?" lautet eine dritte Stelle.
Jahrelang also hatte Kleist den Plan, Landwirt zu werden, mit sich ge¬
tragen und denselben, wie viel auch gegen ihn sprechen mochte, stets als die
einzig mögliche Lösung für das Drama seines Lebens gehalten. Es ist daher
erklärlich, wie erschütternd es auf ihn wirken mußte, daß Wilhelmine seinen
Vorschlag, als er ihn endlich in dem oben erwähnten Pariser Briefe vom
10. Oktober 1801 in feste Worte kleidete, mit entschiednen Nein beantwortete.
Als Heinrich dieser Weigerung fein Beharren entgegensetzte, war er sich bewußt,
sein schönstes Glück von sich zu stoßen, denn das stand fest bei ihm, daß entweder
Wilhelmine oder keine sein Herz beglücken würde. Der Dämon seines Ehrgeizes
ließ ihn nicht zaudern, den Besitz Wilhelminens aufzuopfern gegen die Jagd nach
dem höchsten Ruhmeskranze. Daß der Dichter über den Menschen so vollständig
den Sieg davontragen konnte — einen Sieg, der beiden, sowohl dem Dichter
als dem Menschen, das innerste Lebensmark entzog —, dies ist das wahrhaft
Unbegreifliche in Kleists Leben. Ähnliche Kämpfe, wie er sie bis zu diesem
Punkte durchgekämpft hatte, sind fast jedem großen ringenden Geiste beschieden, jetzt
hat er sich von dem Menschlichen losgesagt und wandelt Bahnen, die zum Ver¬
derben führen müssen. Es ist ewig beklagenswert, daß kein Weg gefunden wurde,
auf dem Kleist für immer an der Seite Wilhelminens hätte wandern können.
Niemand kann sagen, ob Kleist, wenn ihn die Hand der Liebe aus den Stürmen
seines eignen Herzens zu retten vermocht hätte, nicht ein andrer Shakespeare
geworden wäre. Über die hohe dramatische Begabung Kleists herrscht nur eine
Stimme, und wie viel er an rein dichterischer Kraft besaß, zeigen die ernsten
Szenen des „Amphitryon" und das Trauerspiel „Penthesilea," ein Stück, in
dessen Sprache göttliches Feuer und dämonische Glut der Leidenschaft zu einem
Niesenbrande zusammenzüngeln.
Die Lösung des Verlöbnisfes und was unmittelbar vorausgeht und nach¬
folgt, fällt nicht mehr in den Nahmen dieses Aufsatzes. Meine Aufgabe war
nur der Nachweis, daß nicht erst in Würzburg das Dichterleben Kleists begonnen,
daß vielmehr die Entwicklung unsers Dichters, wie eigenartig immer, von seiner
Jugend an in geradem, bewußtem Vorstreben stattgefunden hat.
Einige Worte über Kleists „Robert Guiscard," das nie vollendete Ideal-
Werk, welches die verhängnisvollste Rolle im Leben des Dichters gespielt hat,
mögen diesen Aufsatz beschließen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Plan
dieses Werkes schon vor und während der Würzburger Reise des Dichters Leit¬
stern war. Der Gedanke Kleists, mit seinem „Guiscard" es allen Meistern der
dramatischen Dichtkunst zuvorzuthun, muß jenen jugendlichen Jahren ent¬
stammen, wo das Vertrauen auf die eigne Kraft noch gleich dem Glauben ist,
der Berge versetzt. In Würzburg hat der Dichter, so scheint es, aus dem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |