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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

Er soll des Glückes heil'gen Tempel sich
Nicht mit HermeoS Caduceus*) öffnen,
Nicht wie ein Nabob seinen trägen Arm
Nach der Erfüllung jedes Wunsches strecken.
Er soll mit Etwas den Genuß erkaufen,
Wär's auch mit des Genusses Sehnsucht nur-

An sechs Beispielen lehrt dann der Dichter, daß jeder Erfolg nur aus An¬
strengungen erwächst, daß jedes Glück der Preis mühevoller Arbeit ist.


Nicht vor den Bogen tritt der Hirsch und wendet
Die Scheibe seiner Brust dem Pfeile zu;
Der Jäger muß in Feld und Wald ihn suchen,
Wenn er daheim mit Beute kehren will.
Er muß mit jedem Halme sich beraten,
Ob er des Hirsches leichte Schenkel trug,
An jedes Baums eutreiftem Aste prüfen,
Ob ihn sein königlich Geweih berührt.
Er muß die Spur durch Thal und Berg verfolgen,
Sich rastlos durch des Moors Gestrüppe drehn,
Sich auf des Felsens Gipfel schwingen, sich
Hinab in tiefer Schlünde Absturz stürzen,
Bis in der Wildnis dicksten Mitternacht
Er kraftlos neben seiue Beute sinkt u. s. w.

Der Dichter schließt mit einer deutlichen Beziehung auf sich selbst und Wil¬
helmine:


Auch zu der Liebe schwimmt nicht stets das Glück,
Wie zu dem Kaufmann nicht der Indus schwimmt.
Sie muß sich ruhig in des Lebens Schiff
Des Schicksals wildem Meere anvertraun,
Dem Wind des Zufalls seine Segel öffnen,
Es an der Hoffnung Steuerruder lenken,
Und, stürmt es, vor der Treue Anker gehn.
Sie muß des Wankelmutes Sandbank meiden,
Geschickt des Mißtrauus spitzen Fels umgehn,
Und mit des Schicksals wilden Wogen kämpfen,
Bis in des Glückes sichern Port sie läuft.

Mit diesem Gedichte verfolgte Kleist den doppelten Zweck, sich selbst für
sein Unternehmen zu ermutigen und die Braut zum Vertrauen auf ihn zu er¬
nähren. Welche Bedeutung er dem Gedichte beilegte, geht daraus hervor, daß
er selbst ein Exemplar desselben mit auf die Reise nahm und Wilhelminen
eins zurückließ; sein Exemplar war von ihrer Hand geschrieben, das ihrige von
seiner. So betrachtete er das Gedicht als den Talisman, der ihn vor Ermattung
in seinem Streben und sie vor Beunruhigung über sein geheimnisvolles Thun be¬
wahren sollte. Auch in den Briefen kommt er auf das Gedicht zu sprechen.



*) Merkurs Zauberstab, der alle Schlösser löste. (Anmerkung Kleists.)
Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist.

Er soll des Glückes heil'gen Tempel sich
Nicht mit HermeoS Caduceus*) öffnen,
Nicht wie ein Nabob seinen trägen Arm
Nach der Erfüllung jedes Wunsches strecken.
Er soll mit Etwas den Genuß erkaufen,
Wär's auch mit des Genusses Sehnsucht nur-

An sechs Beispielen lehrt dann der Dichter, daß jeder Erfolg nur aus An¬
strengungen erwächst, daß jedes Glück der Preis mühevoller Arbeit ist.


Nicht vor den Bogen tritt der Hirsch und wendet
Die Scheibe seiner Brust dem Pfeile zu;
Der Jäger muß in Feld und Wald ihn suchen,
Wenn er daheim mit Beute kehren will.
Er muß mit jedem Halme sich beraten,
Ob er des Hirsches leichte Schenkel trug,
An jedes Baums eutreiftem Aste prüfen,
Ob ihn sein königlich Geweih berührt.
Er muß die Spur durch Thal und Berg verfolgen,
Sich rastlos durch des Moors Gestrüppe drehn,
Sich auf des Felsens Gipfel schwingen, sich
Hinab in tiefer Schlünde Absturz stürzen,
Bis in der Wildnis dicksten Mitternacht
Er kraftlos neben seiue Beute sinkt u. s. w.

Der Dichter schließt mit einer deutlichen Beziehung auf sich selbst und Wil¬
helmine:


Auch zu der Liebe schwimmt nicht stets das Glück,
Wie zu dem Kaufmann nicht der Indus schwimmt.
Sie muß sich ruhig in des Lebens Schiff
Des Schicksals wildem Meere anvertraun,
Dem Wind des Zufalls seine Segel öffnen,
Es an der Hoffnung Steuerruder lenken,
Und, stürmt es, vor der Treue Anker gehn.
Sie muß des Wankelmutes Sandbank meiden,
Geschickt des Mißtrauus spitzen Fels umgehn,
Und mit des Schicksals wilden Wogen kämpfen,
Bis in des Glückes sichern Port sie läuft.

Mit diesem Gedichte verfolgte Kleist den doppelten Zweck, sich selbst für
sein Unternehmen zu ermutigen und die Braut zum Vertrauen auf ihn zu er¬
nähren. Welche Bedeutung er dem Gedichte beilegte, geht daraus hervor, daß
er selbst ein Exemplar desselben mit auf die Reise nahm und Wilhelminen
eins zurückließ; sein Exemplar war von ihrer Hand geschrieben, das ihrige von
seiner. So betrachtete er das Gedicht als den Talisman, der ihn vor Ermattung
in seinem Streben und sie vor Beunruhigung über sein geheimnisvolles Thun be¬
wahren sollte. Auch in den Briefen kommt er auf das Gedicht zu sprechen.



*) Merkurs Zauberstab, der alle Schlösser löste. (Anmerkung Kleists.)
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[0381] Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Kleist. Er soll des Glückes heil'gen Tempel sich Nicht mit HermeoS Caduceus*) öffnen, Nicht wie ein Nabob seinen trägen Arm Nach der Erfüllung jedes Wunsches strecken. Er soll mit Etwas den Genuß erkaufen, Wär's auch mit des Genusses Sehnsucht nur- An sechs Beispielen lehrt dann der Dichter, daß jeder Erfolg nur aus An¬ strengungen erwächst, daß jedes Glück der Preis mühevoller Arbeit ist. Nicht vor den Bogen tritt der Hirsch und wendet Die Scheibe seiner Brust dem Pfeile zu; Der Jäger muß in Feld und Wald ihn suchen, Wenn er daheim mit Beute kehren will. Er muß mit jedem Halme sich beraten, Ob er des Hirsches leichte Schenkel trug, An jedes Baums eutreiftem Aste prüfen, Ob ihn sein königlich Geweih berührt. Er muß die Spur durch Thal und Berg verfolgen, Sich rastlos durch des Moors Gestrüppe drehn, Sich auf des Felsens Gipfel schwingen, sich Hinab in tiefer Schlünde Absturz stürzen, Bis in der Wildnis dicksten Mitternacht Er kraftlos neben seiue Beute sinkt u. s. w. Der Dichter schließt mit einer deutlichen Beziehung auf sich selbst und Wil¬ helmine: Auch zu der Liebe schwimmt nicht stets das Glück, Wie zu dem Kaufmann nicht der Indus schwimmt. Sie muß sich ruhig in des Lebens Schiff Des Schicksals wildem Meere anvertraun, Dem Wind des Zufalls seine Segel öffnen, Es an der Hoffnung Steuerruder lenken, Und, stürmt es, vor der Treue Anker gehn. Sie muß des Wankelmutes Sandbank meiden, Geschickt des Mißtrauus spitzen Fels umgehn, Und mit des Schicksals wilden Wogen kämpfen, Bis in des Glückes sichern Port sie läuft. Mit diesem Gedichte verfolgte Kleist den doppelten Zweck, sich selbst für sein Unternehmen zu ermutigen und die Braut zum Vertrauen auf ihn zu er¬ nähren. Welche Bedeutung er dem Gedichte beilegte, geht daraus hervor, daß er selbst ein Exemplar desselben mit auf die Reise nahm und Wilhelminen eins zurückließ; sein Exemplar war von ihrer Hand geschrieben, das ihrige von seiner. So betrachtete er das Gedicht als den Talisman, der ihn vor Ermattung in seinem Streben und sie vor Beunruhigung über sein geheimnisvolles Thun be¬ wahren sollte. Auch in den Briefen kommt er auf das Gedicht zu sprechen. *) Merkurs Zauberstab, der alle Schlösser löste. (Anmerkung Kleists.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/381>, abgerufen am 27.09.2024.