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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Max Duncker.

werden konnte, minderte sich im Laufe der Zeit nicht, erforderte vielmehr ge¬
nauere Berücksichtigung der Einzelheiten, als Mariette-Vey, Vrugsch, v. Gut-
schmid, Brandes, Delitzsch und Schrader mit den Ergebnissen ihrer Studien
hervortraten. Es will etwas sagen, daß die Ruhe und Sammlung dazu ge¬
funden ward in einer Zeit, welche durch ihre jähen politischen Wandlungen
eine so lebhafte, leidenschaftliche Erregung wachrief. Und von nicht geringerer
Wichtigkeit ist ein zweites, das von der Kritik oft nicht genug an dem Buche
geschätzt worden ist, die in sicherer Klarheit und ebener Glätte dahinfließende
Darstellung. Für die griechische Geschichte war gleichfalls ein Neubau auf¬
zuführen. Eine Fülle von vereinzelten Bausteinen war vorhanden, dagegen
fehlten, abgesehen von dem, was durch Böckh, Otfried Müller, K. Fr. Hermann
und Wachsmuth geleistet war und was aus der Literaturgeschichte in das Arbeits¬
feld Dunckers herüberreichte, solche Werke, in denen die zersplitterten Stücke zu
einem geordneten Ganzen gefügt gewesen wären. Grote konnte nicht als Führer
dienen. Selbst in der Zeit von Solon abwärts ist er oft mehr ein eifriger
Anwalt für seine Günstlinge, die demokratischen Gebilde, als ein zuverlässiger
Gewährsmann; wie er für die heroische Zeit kaum etwas bietet, so scheint er
für das besondre Leben der Dorier, überhaupt fiir die Aristokratien, und gleicher¬
weise für die Thrcmnis das Auge fast absichtlich zu verschließen. Begreiflicher¬
weise hat es die Kritik nicht an Bekämpfungen dieser oder jener Ausführung
Dunckers fehlen lassen. Keine Ausstellung jedoch kann das große Verdienst schmä¬
lern, das er sich durch das Zusammenweben der einzelnen, oft recht verwirrt über¬
lieferten Fäden erworben hat; hier, auf dem wissenschaftlichen Gebiete, hat sich
denn auch die Arbeit glänzend gelohnt, welche dem Heimatsstaate so lange
Jahre gewidmet wurde, wenn anders zu der Befähigung, die treibenden Momente
für die politischen Entwicklungen zu finden und zu verfolgen, nicht allein Natur¬
begabung, sondern auch Übung und -- wir dürfen dies hinzufügen -- die bittere
Schule der persönlichen Erfahrung gehört. Von der Schärfe dieses politischen
Blickes aber legt im Grunde fast jeder Abschnitt Zeugnis ab. Von der treffenden
Darstellung der Staatsftthrung des Themistokles ist bereits gesprochen worden;
dieser Staatsmann ist ihm der Heros Athens. Man nehme hinzu die Aus¬
einandersetzung über das spartanische Doppelkönigtum, den Bericht über das
Ende des Miltiades und den Prozeß des Pausanias, endlich im letzten Bande
die Beurteilung der Politik des Perikles. Die letztere tritt der schrankenlosen
Bewunderung des großen Atheners, wie sie sich von Jahrhundert zu Jahr¬
hundert fortgeerbt hat, entgegen; allein sie thut dies mit Gründen, deren Ge¬
wicht von den modernen Philologen nicht gebührend mehr geschätzt zu werden
scheint, und thut es trotz der Mißbilligung vom sittlichen Standpunkte aus
mit der vollen Objektivität des gerechten Historikers. Wir halten, im Gegen¬
satz zu einer erst in den letzten Wochen erschienenen Besprechung, gerade den
letzten Band für einen trefflichen und krönenden Abschluß seines Lebenswerkes.


Max Duncker.

werden konnte, minderte sich im Laufe der Zeit nicht, erforderte vielmehr ge¬
nauere Berücksichtigung der Einzelheiten, als Mariette-Vey, Vrugsch, v. Gut-
schmid, Brandes, Delitzsch und Schrader mit den Ergebnissen ihrer Studien
hervortraten. Es will etwas sagen, daß die Ruhe und Sammlung dazu ge¬
funden ward in einer Zeit, welche durch ihre jähen politischen Wandlungen
eine so lebhafte, leidenschaftliche Erregung wachrief. Und von nicht geringerer
Wichtigkeit ist ein zweites, das von der Kritik oft nicht genug an dem Buche
geschätzt worden ist, die in sicherer Klarheit und ebener Glätte dahinfließende
Darstellung. Für die griechische Geschichte war gleichfalls ein Neubau auf¬
zuführen. Eine Fülle von vereinzelten Bausteinen war vorhanden, dagegen
fehlten, abgesehen von dem, was durch Böckh, Otfried Müller, K. Fr. Hermann
und Wachsmuth geleistet war und was aus der Literaturgeschichte in das Arbeits¬
feld Dunckers herüberreichte, solche Werke, in denen die zersplitterten Stücke zu
einem geordneten Ganzen gefügt gewesen wären. Grote konnte nicht als Führer
dienen. Selbst in der Zeit von Solon abwärts ist er oft mehr ein eifriger
Anwalt für seine Günstlinge, die demokratischen Gebilde, als ein zuverlässiger
Gewährsmann; wie er für die heroische Zeit kaum etwas bietet, so scheint er
für das besondre Leben der Dorier, überhaupt fiir die Aristokratien, und gleicher¬
weise für die Thrcmnis das Auge fast absichtlich zu verschließen. Begreiflicher¬
weise hat es die Kritik nicht an Bekämpfungen dieser oder jener Ausführung
Dunckers fehlen lassen. Keine Ausstellung jedoch kann das große Verdienst schmä¬
lern, das er sich durch das Zusammenweben der einzelnen, oft recht verwirrt über¬
lieferten Fäden erworben hat; hier, auf dem wissenschaftlichen Gebiete, hat sich
denn auch die Arbeit glänzend gelohnt, welche dem Heimatsstaate so lange
Jahre gewidmet wurde, wenn anders zu der Befähigung, die treibenden Momente
für die politischen Entwicklungen zu finden und zu verfolgen, nicht allein Natur¬
begabung, sondern auch Übung und — wir dürfen dies hinzufügen — die bittere
Schule der persönlichen Erfahrung gehört. Von der Schärfe dieses politischen
Blickes aber legt im Grunde fast jeder Abschnitt Zeugnis ab. Von der treffenden
Darstellung der Staatsftthrung des Themistokles ist bereits gesprochen worden;
dieser Staatsmann ist ihm der Heros Athens. Man nehme hinzu die Aus¬
einandersetzung über das spartanische Doppelkönigtum, den Bericht über das
Ende des Miltiades und den Prozeß des Pausanias, endlich im letzten Bande
die Beurteilung der Politik des Perikles. Die letztere tritt der schrankenlosen
Bewunderung des großen Atheners, wie sie sich von Jahrhundert zu Jahr¬
hundert fortgeerbt hat, entgegen; allein sie thut dies mit Gründen, deren Ge¬
wicht von den modernen Philologen nicht gebührend mehr geschätzt zu werden
scheint, und thut es trotz der Mißbilligung vom sittlichen Standpunkte aus
mit der vollen Objektivität des gerechten Historikers. Wir halten, im Gegen¬
satz zu einer erst in den letzten Wochen erschienenen Besprechung, gerade den
letzten Band für einen trefflichen und krönenden Abschluß seines Lebenswerkes.


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[0378] Max Duncker. werden konnte, minderte sich im Laufe der Zeit nicht, erforderte vielmehr ge¬ nauere Berücksichtigung der Einzelheiten, als Mariette-Vey, Vrugsch, v. Gut- schmid, Brandes, Delitzsch und Schrader mit den Ergebnissen ihrer Studien hervortraten. Es will etwas sagen, daß die Ruhe und Sammlung dazu ge¬ funden ward in einer Zeit, welche durch ihre jähen politischen Wandlungen eine so lebhafte, leidenschaftliche Erregung wachrief. Und von nicht geringerer Wichtigkeit ist ein zweites, das von der Kritik oft nicht genug an dem Buche geschätzt worden ist, die in sicherer Klarheit und ebener Glätte dahinfließende Darstellung. Für die griechische Geschichte war gleichfalls ein Neubau auf¬ zuführen. Eine Fülle von vereinzelten Bausteinen war vorhanden, dagegen fehlten, abgesehen von dem, was durch Böckh, Otfried Müller, K. Fr. Hermann und Wachsmuth geleistet war und was aus der Literaturgeschichte in das Arbeits¬ feld Dunckers herüberreichte, solche Werke, in denen die zersplitterten Stücke zu einem geordneten Ganzen gefügt gewesen wären. Grote konnte nicht als Führer dienen. Selbst in der Zeit von Solon abwärts ist er oft mehr ein eifriger Anwalt für seine Günstlinge, die demokratischen Gebilde, als ein zuverlässiger Gewährsmann; wie er für die heroische Zeit kaum etwas bietet, so scheint er für das besondre Leben der Dorier, überhaupt fiir die Aristokratien, und gleicher¬ weise für die Thrcmnis das Auge fast absichtlich zu verschließen. Begreiflicher¬ weise hat es die Kritik nicht an Bekämpfungen dieser oder jener Ausführung Dunckers fehlen lassen. Keine Ausstellung jedoch kann das große Verdienst schmä¬ lern, das er sich durch das Zusammenweben der einzelnen, oft recht verwirrt über¬ lieferten Fäden erworben hat; hier, auf dem wissenschaftlichen Gebiete, hat sich denn auch die Arbeit glänzend gelohnt, welche dem Heimatsstaate so lange Jahre gewidmet wurde, wenn anders zu der Befähigung, die treibenden Momente für die politischen Entwicklungen zu finden und zu verfolgen, nicht allein Natur¬ begabung, sondern auch Übung und — wir dürfen dies hinzufügen — die bittere Schule der persönlichen Erfahrung gehört. Von der Schärfe dieses politischen Blickes aber legt im Grunde fast jeder Abschnitt Zeugnis ab. Von der treffenden Darstellung der Staatsftthrung des Themistokles ist bereits gesprochen worden; dieser Staatsmann ist ihm der Heros Athens. Man nehme hinzu die Aus¬ einandersetzung über das spartanische Doppelkönigtum, den Bericht über das Ende des Miltiades und den Prozeß des Pausanias, endlich im letzten Bande die Beurteilung der Politik des Perikles. Die letztere tritt der schrankenlosen Bewunderung des großen Atheners, wie sie sich von Jahrhundert zu Jahr¬ hundert fortgeerbt hat, entgegen; allein sie thut dies mit Gründen, deren Ge¬ wicht von den modernen Philologen nicht gebührend mehr geschätzt zu werden scheint, und thut es trotz der Mißbilligung vom sittlichen Standpunkte aus mit der vollen Objektivität des gerechten Historikers. Wir halten, im Gegen¬ satz zu einer erst in den letzten Wochen erschienenen Besprechung, gerade den letzten Band für einen trefflichen und krönenden Abschluß seines Lebenswerkes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/378>, abgerufen am 27.09.2024.