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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Still-Leben in einer böhmischen Landstadt.

tigem Schulmeister, den behenden, lustigen Barbier, der alle Stadtgcschichtcn
kennt, den im Gefühl seiner Amtswürde stolz einhergehenden Gemeindewaibcl --
in Österreich "Wächter" genannt. Es giebt aber auch erfreuliche Beispiele, wie
alte Tüchtigkeit mit modernem Bildungstrieb vereinigt werden kann: da ist ein
Gastwirt, der in den Mußestunden eines langen Winters eine treffliche, auf ur¬
kundlichen Material aufgebaute Geschichte seines Städtchens geschrieben hat,
der -- obwohl gelernter Schlosser -- doch Latein versteht, dessen Erholung?^
tellure Freytag oder Scheffel bildet. Ein gutes Zeugnis für die geistige Rührig¬
keit ist es auch, daß die Bürger etwa allmonatlich eine Theatervorstellung im
großen Saale des Gemeindehauses veranstalten; wir sahen den "Trompeter von
Säckingen" als Schauspiel mit Gesang in sieben Bildern. Alle Rollen wurden von
Stadtangehörigen gespielt, mit großer Naivität, in den groben Strichen der
Hans Sachsschen Bühne, wie sie uns vor Jahren H. Laube durch die Jnsze-
nirung des "Heiß Eisen" vorgeführt hatte. Einige, wie jener Gastwirt als
alter Freiherr, ragten darüber hinaus, doch nicht so, daß die Einheit des Ganzen
gestört worden wäre. Sehr possirlich wirkten einige von dem "Bearbeiter" neu
eingeführte komische Figuren. Der Ertrag solcher Vorstellungen fließt in die
Kasse des deutschen Schnlvercins oder kommt auch unmittelbar den Schulen
des Städtchens zu Gute.

Die Erziehung der Kiuder ist streng, Schläge werden nicht gespart, von
der Freiheit, welche auch die halbwüchsige Jngend in den großen Städten heute
so oft genießt, ist hier leine Spur. Aber um wieviel gesitteter ist sie dafür
auch! Sie grüßen auf der Straße Fremde wie Einheimische, und wenn sie ein
lärmendes Spiel spielen, so halten sie inne und weichen ans. Das Gymnasium
des Städtchens ist auffallend reich an guten Schülern, die meist Söhne von
blutarmen Waldbauern siud. Aber die Lehrer vom Lande führen nur ihre
Besten der Mittelschule zu, solche, von denen sie wissen, daß sie ihnen Ehre
machen werden.

Die Bürgerschaft ist ihrem Kerne nach deutsch, und seit Jahren schon fühlt
sie sich als solche. Doch thut auch Zusammenhalten not, denn die Nen-
cmsicdler sind alle tschechisch, und deutlich ist das Bestreben, die Sprachgrenze
nach Süden hinab ins Gebirge zu verschieben. Die Negierung scheint dies zu
unterstützen, denn alle Beamten, vom Vezirlshanptmann bis zum letzten
Schreiber, sind tschechisch, ebenso die vom Gericht, der Notar, der Advokat, die
Geistlichkeit, selbst einige Lehrer an deutschen Schulen. Und so war denn die
Gemeinde mich genötigt, eine tschechische Schule zu errichten und muß sie er¬
halten. Auch besteht eine Bosoä^, in welche die Beamten zu gehen sich nicht
scheuen, während doch an Orten, wo deutsche Beamte sind, diese es mit Recht
als unpassend ansehen und vermeiden, national gefärbten Vereinen beizutreten
oder ihre Versammlungen zu besuchen. Die Garnison dagegen ist zur Hälfte
deutsch, die Offiziere fast durchaus. Die gesellschaftliche Scheidung der beiden


Still-Leben in einer böhmischen Landstadt.

tigem Schulmeister, den behenden, lustigen Barbier, der alle Stadtgcschichtcn
kennt, den im Gefühl seiner Amtswürde stolz einhergehenden Gemeindewaibcl —
in Österreich „Wächter" genannt. Es giebt aber auch erfreuliche Beispiele, wie
alte Tüchtigkeit mit modernem Bildungstrieb vereinigt werden kann: da ist ein
Gastwirt, der in den Mußestunden eines langen Winters eine treffliche, auf ur¬
kundlichen Material aufgebaute Geschichte seines Städtchens geschrieben hat,
der — obwohl gelernter Schlosser — doch Latein versteht, dessen Erholung?^
tellure Freytag oder Scheffel bildet. Ein gutes Zeugnis für die geistige Rührig¬
keit ist es auch, daß die Bürger etwa allmonatlich eine Theatervorstellung im
großen Saale des Gemeindehauses veranstalten; wir sahen den „Trompeter von
Säckingen" als Schauspiel mit Gesang in sieben Bildern. Alle Rollen wurden von
Stadtangehörigen gespielt, mit großer Naivität, in den groben Strichen der
Hans Sachsschen Bühne, wie sie uns vor Jahren H. Laube durch die Jnsze-
nirung des „Heiß Eisen" vorgeführt hatte. Einige, wie jener Gastwirt als
alter Freiherr, ragten darüber hinaus, doch nicht so, daß die Einheit des Ganzen
gestört worden wäre. Sehr possirlich wirkten einige von dem „Bearbeiter" neu
eingeführte komische Figuren. Der Ertrag solcher Vorstellungen fließt in die
Kasse des deutschen Schnlvercins oder kommt auch unmittelbar den Schulen
des Städtchens zu Gute.

Die Erziehung der Kiuder ist streng, Schläge werden nicht gespart, von
der Freiheit, welche auch die halbwüchsige Jngend in den großen Städten heute
so oft genießt, ist hier leine Spur. Aber um wieviel gesitteter ist sie dafür
auch! Sie grüßen auf der Straße Fremde wie Einheimische, und wenn sie ein
lärmendes Spiel spielen, so halten sie inne und weichen ans. Das Gymnasium
des Städtchens ist auffallend reich an guten Schülern, die meist Söhne von
blutarmen Waldbauern siud. Aber die Lehrer vom Lande führen nur ihre
Besten der Mittelschule zu, solche, von denen sie wissen, daß sie ihnen Ehre
machen werden.

Die Bürgerschaft ist ihrem Kerne nach deutsch, und seit Jahren schon fühlt
sie sich als solche. Doch thut auch Zusammenhalten not, denn die Nen-
cmsicdler sind alle tschechisch, und deutlich ist das Bestreben, die Sprachgrenze
nach Süden hinab ins Gebirge zu verschieben. Die Negierung scheint dies zu
unterstützen, denn alle Beamten, vom Vezirlshanptmann bis zum letzten
Schreiber, sind tschechisch, ebenso die vom Gericht, der Notar, der Advokat, die
Geistlichkeit, selbst einige Lehrer an deutschen Schulen. Und so war denn die
Gemeinde mich genötigt, eine tschechische Schule zu errichten und muß sie er¬
halten. Auch besteht eine Bosoä^, in welche die Beamten zu gehen sich nicht
scheuen, während doch an Orten, wo deutsche Beamte sind, diese es mit Recht
als unpassend ansehen und vermeiden, national gefärbten Vereinen beizutreten
oder ihre Versammlungen zu besuchen. Die Garnison dagegen ist zur Hälfte
deutsch, die Offiziere fast durchaus. Die gesellschaftliche Scheidung der beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/36>, abgerufen am 15.01.2025.