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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Schlechte, Anspruchslose ihr dieselben oder gar bessere Dienste leistet. Wir
brauchen in Berlin ein von allen unkünstlcrischeu Zwecken unabhängiges erstes
Theater, und dieses Theater könnte nur ein Stadttheater sein. Der Magistrat
von Berlin hat sich auf allen andern Kulturgebieten bereits die höchsten Ver¬
dienste erworben -- will er es nicht auch einmal mit der dramatischen Kunst
versuchen? Alle andern Künste können von oben her, wenigstens bis zu einem
gewissen Grade, befördert werden -- nur die dramatische Kunst, weil sie eine
geistige Kunst und zugleich die volkstümlichste Kunst ist, bedarf der Gunst der
gebildeten Bürgerschaft, wenn sie blühen soll, die Bürgerschaft muß die Pflege
derselben selbst in die Hand nehmen.

Für heute beschränke ich mich auf dieses Wenige. Unsre Zeit ist so günstig
wie möglich, um einer solchen Idee Leben zu gebe": man führe eine unschein¬
bare Theatersteuer ein, wie mau uns eine Kirchensteuer auferlegt, und gönne
dafür der ärmeren Bevölkerung den freien Eintritt ans die niedrigen Plätze,
während man zugleich die Preise der Plätze im allgemeinen für die steuer-
zahlenden Bürger der Stadt möglichst niedrig berechne ich zweifle keinen
Augenblick daran, daß das Theater nicht mir jeden Abend voll sein, sondern
auch dem Säckel der Stadt eine schöne Jahreseinnahme liefern würde. Drama¬
tiker, Dramaturgen und Schauspieler würden sich schon finden, wenn man nur
nicht gleich zu viel erreichen und Früchte pflücken will, ehe die Saat gestreut
worden ist. Eine Beeinträchtigung des Schauspielhauses wäre uicht zu befürchten;
das Schauspielhaus kann nur wenige Neuigkeiten im Jahre bringen und würde
sich in diesem Falle ziemlich ausschließlich auf die Pflege des historisch ge¬
wordenen Guten zu beschränken haben, was ein großer Gewinn sM die Kunst
wäre. Das "Stadttheater" müßte sich, wie gesagt, nur mit dem Neulebendigen
beschäftigen, sodaß es sich zu dem Schauspielhause verhalten würde wie etwa
die "Natioualgalcrie" zum "Museum."

Ein Traum! wird mau rufen. Sei's ein Traum; aber schon mancher
Traum ist in Erfüllung gegangen, und ich wüßte keinen, der über kurz oder
lang so notwendigerweise wird in Erfüllung gehen müssen wie dieser!




Neue Theaterstücke.

Schlechte, Anspruchslose ihr dieselben oder gar bessere Dienste leistet. Wir
brauchen in Berlin ein von allen unkünstlcrischeu Zwecken unabhängiges erstes
Theater, und dieses Theater könnte nur ein Stadttheater sein. Der Magistrat
von Berlin hat sich auf allen andern Kulturgebieten bereits die höchsten Ver¬
dienste erworben — will er es nicht auch einmal mit der dramatischen Kunst
versuchen? Alle andern Künste können von oben her, wenigstens bis zu einem
gewissen Grade, befördert werden — nur die dramatische Kunst, weil sie eine
geistige Kunst und zugleich die volkstümlichste Kunst ist, bedarf der Gunst der
gebildeten Bürgerschaft, wenn sie blühen soll, die Bürgerschaft muß die Pflege
derselben selbst in die Hand nehmen.

Für heute beschränke ich mich auf dieses Wenige. Unsre Zeit ist so günstig
wie möglich, um einer solchen Idee Leben zu gebe«: man führe eine unschein¬
bare Theatersteuer ein, wie mau uns eine Kirchensteuer auferlegt, und gönne
dafür der ärmeren Bevölkerung den freien Eintritt ans die niedrigen Plätze,
während man zugleich die Preise der Plätze im allgemeinen für die steuer-
zahlenden Bürger der Stadt möglichst niedrig berechne ich zweifle keinen
Augenblick daran, daß das Theater nicht mir jeden Abend voll sein, sondern
auch dem Säckel der Stadt eine schöne Jahreseinnahme liefern würde. Drama¬
tiker, Dramaturgen und Schauspieler würden sich schon finden, wenn man nur
nicht gleich zu viel erreichen und Früchte pflücken will, ehe die Saat gestreut
worden ist. Eine Beeinträchtigung des Schauspielhauses wäre uicht zu befürchten;
das Schauspielhaus kann nur wenige Neuigkeiten im Jahre bringen und würde
sich in diesem Falle ziemlich ausschließlich auf die Pflege des historisch ge¬
wordenen Guten zu beschränken haben, was ein großer Gewinn sM die Kunst
wäre. Das „Stadttheater" müßte sich, wie gesagt, nur mit dem Neulebendigen
beschäftigen, sodaß es sich zu dem Schauspielhause verhalten würde wie etwa
die „Natioualgalcrie" zum „Museum."

Ein Traum! wird mau rufen. Sei's ein Traum; aber schon mancher
Traum ist in Erfüllung gegangen, und ich wüßte keinen, der über kurz oder
lang so notwendigerweise wird in Erfüllung gehen müssen wie dieser!




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[0347] Neue Theaterstücke. Schlechte, Anspruchslose ihr dieselben oder gar bessere Dienste leistet. Wir brauchen in Berlin ein von allen unkünstlcrischeu Zwecken unabhängiges erstes Theater, und dieses Theater könnte nur ein Stadttheater sein. Der Magistrat von Berlin hat sich auf allen andern Kulturgebieten bereits die höchsten Ver¬ dienste erworben — will er es nicht auch einmal mit der dramatischen Kunst versuchen? Alle andern Künste können von oben her, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, befördert werden — nur die dramatische Kunst, weil sie eine geistige Kunst und zugleich die volkstümlichste Kunst ist, bedarf der Gunst der gebildeten Bürgerschaft, wenn sie blühen soll, die Bürgerschaft muß die Pflege derselben selbst in die Hand nehmen. Für heute beschränke ich mich auf dieses Wenige. Unsre Zeit ist so günstig wie möglich, um einer solchen Idee Leben zu gebe«: man führe eine unschein¬ bare Theatersteuer ein, wie mau uns eine Kirchensteuer auferlegt, und gönne dafür der ärmeren Bevölkerung den freien Eintritt ans die niedrigen Plätze, während man zugleich die Preise der Plätze im allgemeinen für die steuer- zahlenden Bürger der Stadt möglichst niedrig berechne ich zweifle keinen Augenblick daran, daß das Theater nicht mir jeden Abend voll sein, sondern auch dem Säckel der Stadt eine schöne Jahreseinnahme liefern würde. Drama¬ tiker, Dramaturgen und Schauspieler würden sich schon finden, wenn man nur nicht gleich zu viel erreichen und Früchte pflücken will, ehe die Saat gestreut worden ist. Eine Beeinträchtigung des Schauspielhauses wäre uicht zu befürchten; das Schauspielhaus kann nur wenige Neuigkeiten im Jahre bringen und würde sich in diesem Falle ziemlich ausschließlich auf die Pflege des historisch ge¬ wordenen Guten zu beschränken haben, was ein großer Gewinn sM die Kunst wäre. Das „Stadttheater" müßte sich, wie gesagt, nur mit dem Neulebendigen beschäftigen, sodaß es sich zu dem Schauspielhause verhalten würde wie etwa die „Natioualgalcrie" zum „Museum." Ein Traum! wird mau rufen. Sei's ein Traum; aber schon mancher Traum ist in Erfüllung gegangen, und ich wüßte keinen, der über kurz oder lang so notwendigerweise wird in Erfüllung gehen müssen wie dieser!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/347>, abgerufen am 28.09.2024.