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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

des Sehens wert wäre, nur der eine oder andre zu erreichende theatralische
Effekt wird ihm deutlich; aber er besitzt die seltene Fähigkeit, diesen gesehenen
Effekt mit aller Kraft auszugestalten. Wenn er dazu gebracht werden könnte,
mehr in seine Stoffe hineinzusehen, so wäre damit vielleicht die Möglichkeit für
ihn geboten, dieses Gesehene dann auch zu gestalten; und dann käme es wohl nur
auf andauernden Fleiß an, damit er Werke hervorbrächte, die unserm Theater
dauernd zur Zierde gereichen könnten.

Die Darstellung, welche dem Werk auf der Bühne des neuerstandcnen
Ostend-Theaters zu Teil wurde, war immerhin genügend. In pathetischen
Stücken dieser Gattung sucht man weder Wahrheit noch Natürlichkeit, man ver¬
langt sie daher auch nicht von den Darstellern. Sie schrieen und schlenderten
die Arme in die Luft, daß es eine Lust war, und der jubelnde Beifall des
vollen Hauses blieb denn auch nach den Aktschlüsse" nie aus. Aber mir that
doch das Herz weh bei diesem Jubel! Alles ehrlich Gewollte und Geleistete
soll sich bewähren dürfen -- das ist mein Grundsatz. Aber wenn ich nun das
gelesene Buch weggelegt habe und vor der Bühne sitze und diesen Lärm mit
anhöre! Ju der bildenden Kunst sind wir endlich dem Theatralischen so gut
wie entwachsen, nach Einfachheit und Natürlichkeit streben die Guten und
die Besten, selbst die religiösen Gemälde zeigen uns den Heiland nicht mehr
im aufgeputzten Sonntagsstaat, in theatralischen Stellungen. Auch die Lite¬
ratur geht immer entschiedner dem Ideal einfacher Naturwahrheit entgegen.
Und hier?

Und nun zum Schluß noch eine Gelegenheitsbetrachtung. Wir haben
es einem glücklichen Zufall zu verdanken, daß das "Neue Gebot" vor dem
Publikum der Hauptstadt zur Darstellung gelangt ist. Das Schauspielhaus
war verhindert worden, sich diese Lorberen zu pflücken; die Aufführung an
dem ersten Theater Berlins mußte unterbleiben. Das "Deutsche Theater"
hat in der Erkenntnis seiner Schranken längst darauf verzichtet, ein künst¬
lerisches Institut zu sein, das höhere Verpflichtungen zu erfüllen streben
muß; es ist durchaus auf Spekulation gegründet und kommt den "idealen"
Bedürfnissen seines Publikums durch schöne Dekorationen und Gewänder
entgegen, für die es die nichts kostender "Klassiker," soweit sie für das
lückenhafte Personal spielbar sind, als Füllung verwendet. So mußte sich
denn das Ostend-Theater, das, am äußersten Ende von Berlin gelegen, nicht
leben und nicht sterben kann, des heimatlosen Werkes erbarmen. Sind das
der Hauptstadt des deutschen Reiches würdige Zustände? Nein! Uns mangelt ein
vornehmes Theater, das, durch keine Rücksichten behindert, dem Guten eine
Stätte bereiten kann, und, wohlgemerkt! dein lebendigen Guten. Sollen wir
auf dieses Theater warten, bis die Spekulation sich dazu erhebt? Die Speku¬
lation ist ein Krebsschaden für jede Kunst, sie kann wohl gelegentlich das Gute
fördern, wenn sie dabei ihre Rechnung findet, aber sie wird es nie, wenn das


Neue Theaterstücke.

des Sehens wert wäre, nur der eine oder andre zu erreichende theatralische
Effekt wird ihm deutlich; aber er besitzt die seltene Fähigkeit, diesen gesehenen
Effekt mit aller Kraft auszugestalten. Wenn er dazu gebracht werden könnte,
mehr in seine Stoffe hineinzusehen, so wäre damit vielleicht die Möglichkeit für
ihn geboten, dieses Gesehene dann auch zu gestalten; und dann käme es wohl nur
auf andauernden Fleiß an, damit er Werke hervorbrächte, die unserm Theater
dauernd zur Zierde gereichen könnten.

Die Darstellung, welche dem Werk auf der Bühne des neuerstandcnen
Ostend-Theaters zu Teil wurde, war immerhin genügend. In pathetischen
Stücken dieser Gattung sucht man weder Wahrheit noch Natürlichkeit, man ver¬
langt sie daher auch nicht von den Darstellern. Sie schrieen und schlenderten
die Arme in die Luft, daß es eine Lust war, und der jubelnde Beifall des
vollen Hauses blieb denn auch nach den Aktschlüsse» nie aus. Aber mir that
doch das Herz weh bei diesem Jubel! Alles ehrlich Gewollte und Geleistete
soll sich bewähren dürfen — das ist mein Grundsatz. Aber wenn ich nun das
gelesene Buch weggelegt habe und vor der Bühne sitze und diesen Lärm mit
anhöre! Ju der bildenden Kunst sind wir endlich dem Theatralischen so gut
wie entwachsen, nach Einfachheit und Natürlichkeit streben die Guten und
die Besten, selbst die religiösen Gemälde zeigen uns den Heiland nicht mehr
im aufgeputzten Sonntagsstaat, in theatralischen Stellungen. Auch die Lite¬
ratur geht immer entschiedner dem Ideal einfacher Naturwahrheit entgegen.
Und hier?

Und nun zum Schluß noch eine Gelegenheitsbetrachtung. Wir haben
es einem glücklichen Zufall zu verdanken, daß das „Neue Gebot" vor dem
Publikum der Hauptstadt zur Darstellung gelangt ist. Das Schauspielhaus
war verhindert worden, sich diese Lorberen zu pflücken; die Aufführung an
dem ersten Theater Berlins mußte unterbleiben. Das „Deutsche Theater"
hat in der Erkenntnis seiner Schranken längst darauf verzichtet, ein künst¬
lerisches Institut zu sein, das höhere Verpflichtungen zu erfüllen streben
muß; es ist durchaus auf Spekulation gegründet und kommt den „idealen"
Bedürfnissen seines Publikums durch schöne Dekorationen und Gewänder
entgegen, für die es die nichts kostender „Klassiker," soweit sie für das
lückenhafte Personal spielbar sind, als Füllung verwendet. So mußte sich
denn das Ostend-Theater, das, am äußersten Ende von Berlin gelegen, nicht
leben und nicht sterben kann, des heimatlosen Werkes erbarmen. Sind das
der Hauptstadt des deutschen Reiches würdige Zustände? Nein! Uns mangelt ein
vornehmes Theater, das, durch keine Rücksichten behindert, dem Guten eine
Stätte bereiten kann, und, wohlgemerkt! dein lebendigen Guten. Sollen wir
auf dieses Theater warten, bis die Spekulation sich dazu erhebt? Die Speku¬
lation ist ein Krebsschaden für jede Kunst, sie kann wohl gelegentlich das Gute
fördern, wenn sie dabei ihre Rechnung findet, aber sie wird es nie, wenn das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/346>, abgerufen am 28.09.2024.