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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Aus der Erscheinung zu schließen, ist Herr Philippi ein Mann von unge¬
fähr vierzig Jahren, er befände sich dann auf dein Höhepunkte seines Lebens
und seiner Kraft. Großes haben wir von ihm schwerlich zu erwarten; aber
wenn er dem deutschen Theater für eine Reihe von Jahren tüchtige, das Leben
der Gegenwart wiederspiegelnde Schauspiele liefern würde, so wäre das ein nicht
zu unterschätzender Gewinn für uns. Nur ehrlich bleiben und fleißig, fleißig!

Es ist mir sehr erfreulich, daß ich meinen Bericht nicht abschließen muß,
ohne der dritten Neuigkeit des Theaterjahrcs die ihr gebührende Aufmerksam¬
keit geschenkt zu haben, dem von vielen mit Spannung erwarteten Schauspiele
"Das neue Gebot" von Ernst vou Wildenbruch, welches das Ostend-Theater
am 23. Oktober zur Aufführung gebracht hat. Ernst von Wildenbruch steht seit
einiger Zeit an ausgezeichneter Stelle, "ut wie wenig mich auch seine Theater¬
stücke bisher entzücken konnten, so bin ich doch dem Publikum für diese Neigung
uicht gram, weil Wildenbruch ohne Zweifel das Gute will und es mit ehrlichen
Mitteln zu erstreben versucht. Warum sollte man einem solchen Manne die
Teilnehmnng versagen? Vielleicht hat man dem Dichter von verschiednen Seiten
zu stürmisch entgegengejubelt; aber die Liebe, die Bewunderung kennt bekanntlich
selten ein Maß, und es ist immer fruchtbringender für beide Teile, zu liebevoll
zu sein, als licbeleer. Wildeubruchs Theaterstücke sind nichts weniger als be¬
deutende Schöpfungen. Der "Memorie" enthielt wohl Stellen von wirklich
edelm Wert, hin und wieder kam sogar echte Leidenschaft und ein Zug vou
Größe zum Vorschein; aber das Ganze zeigte so viele Mängel, namentlich in
der Motivirung und in der Charakteristik, daß dem Kenner kaum wohl dabei
werden konnte. Glücklicherweise war der "Memorie" sozusagen ein Jugendwerk
des hochstrebenden Dichters*); man dürfte das Reifere noch erwarten. Aber
wie wurde die Erwartung befriedigt? Mit den "Karolingern," mit "Harold"
und "Christoph Marlow"! Ich gestehe ganz offen, daß mir diese Stücke geradezu
widerwärtig waren und sind, obschon sich das Talent Wildenbruchs in ihnen
durchaus nicht verleugnet; aber hier ist nichts echt als das Theaterfetter, das
in einigen Szenen lodert und wohl zu den großen Erfolgen dieser Stücke haupt¬
sächlich beigetragen hat; "Christoph Marlow" beleidigte den gebildeten Geschmack
noch obenein durch seiue romantisch-verlogenen Voraussetzungen, durch das ab¬
geschmackte Pathos eines Dichternarren -- ich hatte jede Hoffnung für die
Entwicklung des nicht mehr jungen Dramatikers aufgegeben und würde mich
schwerlich mit einem seiner neuen Stücke auch nur oberflächlich beschäftigt haben,
wenn mich nicht die Gelegenheit gezwungen hätte, dem "Neuen Gebot" näher¬
zutreten. Meine Bemühung wurde durch eine sehr angenehme Enttäuschung
belohnt. Wildenbruch ist es hier zum erstenmale gelungen, eine menschlich-einfache,



*) Wenn ich nicht irre, so wurde das Stück im Frühjahr 1879 zum erstenmale (im Na-
tional-Theater) aufgeführt, ohne viel bemerkt zu werden; das "Deutsche Theater," welches
dasselbe 1384 anstandshalber zur Aufführung brachte, ließ es ohne weiteres fallen.
Neue Theaterstücke.

Aus der Erscheinung zu schließen, ist Herr Philippi ein Mann von unge¬
fähr vierzig Jahren, er befände sich dann auf dein Höhepunkte seines Lebens
und seiner Kraft. Großes haben wir von ihm schwerlich zu erwarten; aber
wenn er dem deutschen Theater für eine Reihe von Jahren tüchtige, das Leben
der Gegenwart wiederspiegelnde Schauspiele liefern würde, so wäre das ein nicht
zu unterschätzender Gewinn für uns. Nur ehrlich bleiben und fleißig, fleißig!

Es ist mir sehr erfreulich, daß ich meinen Bericht nicht abschließen muß,
ohne der dritten Neuigkeit des Theaterjahrcs die ihr gebührende Aufmerksam¬
keit geschenkt zu haben, dem von vielen mit Spannung erwarteten Schauspiele
„Das neue Gebot" von Ernst vou Wildenbruch, welches das Ostend-Theater
am 23. Oktober zur Aufführung gebracht hat. Ernst von Wildenbruch steht seit
einiger Zeit an ausgezeichneter Stelle, »ut wie wenig mich auch seine Theater¬
stücke bisher entzücken konnten, so bin ich doch dem Publikum für diese Neigung
uicht gram, weil Wildenbruch ohne Zweifel das Gute will und es mit ehrlichen
Mitteln zu erstreben versucht. Warum sollte man einem solchen Manne die
Teilnehmnng versagen? Vielleicht hat man dem Dichter von verschiednen Seiten
zu stürmisch entgegengejubelt; aber die Liebe, die Bewunderung kennt bekanntlich
selten ein Maß, und es ist immer fruchtbringender für beide Teile, zu liebevoll
zu sein, als licbeleer. Wildeubruchs Theaterstücke sind nichts weniger als be¬
deutende Schöpfungen. Der „Memorie" enthielt wohl Stellen von wirklich
edelm Wert, hin und wieder kam sogar echte Leidenschaft und ein Zug vou
Größe zum Vorschein; aber das Ganze zeigte so viele Mängel, namentlich in
der Motivirung und in der Charakteristik, daß dem Kenner kaum wohl dabei
werden konnte. Glücklicherweise war der „Memorie" sozusagen ein Jugendwerk
des hochstrebenden Dichters*); man dürfte das Reifere noch erwarten. Aber
wie wurde die Erwartung befriedigt? Mit den „Karolingern," mit „Harold"
und „Christoph Marlow"! Ich gestehe ganz offen, daß mir diese Stücke geradezu
widerwärtig waren und sind, obschon sich das Talent Wildenbruchs in ihnen
durchaus nicht verleugnet; aber hier ist nichts echt als das Theaterfetter, das
in einigen Szenen lodert und wohl zu den großen Erfolgen dieser Stücke haupt¬
sächlich beigetragen hat; „Christoph Marlow" beleidigte den gebildeten Geschmack
noch obenein durch seiue romantisch-verlogenen Voraussetzungen, durch das ab¬
geschmackte Pathos eines Dichternarren — ich hatte jede Hoffnung für die
Entwicklung des nicht mehr jungen Dramatikers aufgegeben und würde mich
schwerlich mit einem seiner neuen Stücke auch nur oberflächlich beschäftigt haben,
wenn mich nicht die Gelegenheit gezwungen hätte, dem „Neuen Gebot" näher¬
zutreten. Meine Bemühung wurde durch eine sehr angenehme Enttäuschung
belohnt. Wildenbruch ist es hier zum erstenmale gelungen, eine menschlich-einfache,



*) Wenn ich nicht irre, so wurde das Stück im Frühjahr 1879 zum erstenmale (im Na-
tional-Theater) aufgeführt, ohne viel bemerkt zu werden; das „Deutsche Theater," welches
dasselbe 1384 anstandshalber zur Aufführung brachte, ließ es ohne weiteres fallen.
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[0343] Neue Theaterstücke. Aus der Erscheinung zu schließen, ist Herr Philippi ein Mann von unge¬ fähr vierzig Jahren, er befände sich dann auf dein Höhepunkte seines Lebens und seiner Kraft. Großes haben wir von ihm schwerlich zu erwarten; aber wenn er dem deutschen Theater für eine Reihe von Jahren tüchtige, das Leben der Gegenwart wiederspiegelnde Schauspiele liefern würde, so wäre das ein nicht zu unterschätzender Gewinn für uns. Nur ehrlich bleiben und fleißig, fleißig! Es ist mir sehr erfreulich, daß ich meinen Bericht nicht abschließen muß, ohne der dritten Neuigkeit des Theaterjahrcs die ihr gebührende Aufmerksam¬ keit geschenkt zu haben, dem von vielen mit Spannung erwarteten Schauspiele „Das neue Gebot" von Ernst vou Wildenbruch, welches das Ostend-Theater am 23. Oktober zur Aufführung gebracht hat. Ernst von Wildenbruch steht seit einiger Zeit an ausgezeichneter Stelle, »ut wie wenig mich auch seine Theater¬ stücke bisher entzücken konnten, so bin ich doch dem Publikum für diese Neigung uicht gram, weil Wildenbruch ohne Zweifel das Gute will und es mit ehrlichen Mitteln zu erstreben versucht. Warum sollte man einem solchen Manne die Teilnehmnng versagen? Vielleicht hat man dem Dichter von verschiednen Seiten zu stürmisch entgegengejubelt; aber die Liebe, die Bewunderung kennt bekanntlich selten ein Maß, und es ist immer fruchtbringender für beide Teile, zu liebevoll zu sein, als licbeleer. Wildeubruchs Theaterstücke sind nichts weniger als be¬ deutende Schöpfungen. Der „Memorie" enthielt wohl Stellen von wirklich edelm Wert, hin und wieder kam sogar echte Leidenschaft und ein Zug vou Größe zum Vorschein; aber das Ganze zeigte so viele Mängel, namentlich in der Motivirung und in der Charakteristik, daß dem Kenner kaum wohl dabei werden konnte. Glücklicherweise war der „Memorie" sozusagen ein Jugendwerk des hochstrebenden Dichters*); man dürfte das Reifere noch erwarten. Aber wie wurde die Erwartung befriedigt? Mit den „Karolingern," mit „Harold" und „Christoph Marlow"! Ich gestehe ganz offen, daß mir diese Stücke geradezu widerwärtig waren und sind, obschon sich das Talent Wildenbruchs in ihnen durchaus nicht verleugnet; aber hier ist nichts echt als das Theaterfetter, das in einigen Szenen lodert und wohl zu den großen Erfolgen dieser Stücke haupt¬ sächlich beigetragen hat; „Christoph Marlow" beleidigte den gebildeten Geschmack noch obenein durch seiue romantisch-verlogenen Voraussetzungen, durch das ab¬ geschmackte Pathos eines Dichternarren — ich hatte jede Hoffnung für die Entwicklung des nicht mehr jungen Dramatikers aufgegeben und würde mich schwerlich mit einem seiner neuen Stücke auch nur oberflächlich beschäftigt haben, wenn mich nicht die Gelegenheit gezwungen hätte, dem „Neuen Gebot" näher¬ zutreten. Meine Bemühung wurde durch eine sehr angenehme Enttäuschung belohnt. Wildenbruch ist es hier zum erstenmale gelungen, eine menschlich-einfache, *) Wenn ich nicht irre, so wurde das Stück im Frühjahr 1879 zum erstenmale (im Na- tional-Theater) aufgeführt, ohne viel bemerkt zu werden; das „Deutsche Theater," welches dasselbe 1384 anstandshalber zur Aufführung brachte, ließ es ohne weiteres fallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/343>, abgerufen am 28.09.2024.