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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

Ich kenne von ihm ein älteres Stück: "Der Advokat" (Universal-Bibliothek
Ur, 2145), welches, nach den Mustern von Dumas Fils und Angler, in An¬
lehnung an das "Fallissement" von Björnson sehr geschickt aufgebaut ist. Ein
Bankier Hcllbach, der spekulirt und Wechsel gefälscht hat, wird von einem
Freunde, dem Advokaten Blankenberg, der der Jugeudgelicbte seiner unglücklichen
Frau ist, vor dem äußersten bewahrt; aber während er die Achtung und Liebe
seiner Frau einbüßt, kommt er in die Lage, für die Ehre der Frau einstehen
zu müssen, bei welcher Gelegenheit er den Tod findet. Die Handlung ist weder
ungewöhnlich noch eigentlich spannend; aber sie hat den großen und seltenen
Vorzug, einfach, übersichtlich und Teilnehmung erweckend zu sein. Darin, daß
er Hellbach untergehen läßt, ohne uns auch nur die Möglichkeit eiuer Ver¬
einigung Vlankenbcrgs mit der immer noch Geliebten zu zeigen, offenbart sich
der Charakter des Verfassers, Plulippi will mehr, als nur das Publikum unter¬
halte", und das ist schätzenswert.

Wie ernst er es meint, beweist sein neuestes Schauspiel, das einen be¬
deutenden Fortschritt gegen den " Advokaten" bezeichnet. Auch diesmal ist die
Handlung einfach und übersichtlich: Eberhard von Leucten hat nach dem Tode
seiner ersten, schwärmerisch von ihm geliebten Gattin aus Rücksicht für sein
Kind eine zweite Frau geheiratet, Daniela, die ihn aus tiefster Seele liebt und
zugleich davon weiß, daß die erste Frau Eberhard untreu gewesen ist. Um
nun dem Manne, den sie liebt, den größten Schmerz zu ersparen, ist sie bemüht,
auch das letzte Zeugnis von dem Verbrechen der Verstorbenen ans den Hciudeu
des Mitschuldigen der Ehebrecherin zu vernichten. Bei dieser Gelegenheit wird
sie von dem Gemahl überrascht, es kommt zu einer heftigen Szene, die damit
endet, daß Daniela das Haus ihres Gatten verläßt und bei einer Freundin
Obdach sucht. Eberhard will sich von Daniela scheiden und sucht sich einen
Rechtsbeistand, der kein andrer ist als der Mitschuldige seiner ersten Frau.
In einer sehr geschickt und fein durchgeführten Unterredung erfährt Eberhard
die Wahrheit, er lernt die Seelengröße Danielas verehren, und die Gatten ver¬
einigen sich wieder, nachdem der Räuber von Eberhards Ehre sich hinter der
Szene getötet hat, um ein unausweichliches Duell zu verhindern.

Diese Daniela, die sich von ihrem Manne nicht eigentlich geliebt weiß und
dennoch bemüht ist, den Götzendienst ihres Mannes vor dem Bilde einer Ge¬
storbenen, die seiner Liebe nicht würdig war, zu schonen, weil sie fürchtet, daß
er durch die Enthüllung unglücklich werden könnte, ohne daß sie dabei viel ge¬
wönne, ist eine schöne Erscheinung, um deretwillen mau dem Verfasser vieles
nachsehen muß, was die Vorzüge seiner Arbeit zu verdunkeln droht. Die Vor¬
züge sind jedoch nicht gering. Schon der Einleituugscckt ist geschickt und spannend
geführt; wir haben die ganze Lage übersehen, wenn der Vorhang zum ersten¬
male fällt. Im zweiten Akte ist die Wendung, daß Eberhard der verdächtigten
Frau, die ihm den größten Liebesdienst zu leisten gedenkt, kein Hehl aus seiner


Neue Theaterstücke.

Ich kenne von ihm ein älteres Stück: „Der Advokat" (Universal-Bibliothek
Ur, 2145), welches, nach den Mustern von Dumas Fils und Angler, in An¬
lehnung an das „Fallissement" von Björnson sehr geschickt aufgebaut ist. Ein
Bankier Hcllbach, der spekulirt und Wechsel gefälscht hat, wird von einem
Freunde, dem Advokaten Blankenberg, der der Jugeudgelicbte seiner unglücklichen
Frau ist, vor dem äußersten bewahrt; aber während er die Achtung und Liebe
seiner Frau einbüßt, kommt er in die Lage, für die Ehre der Frau einstehen
zu müssen, bei welcher Gelegenheit er den Tod findet. Die Handlung ist weder
ungewöhnlich noch eigentlich spannend; aber sie hat den großen und seltenen
Vorzug, einfach, übersichtlich und Teilnehmung erweckend zu sein. Darin, daß
er Hellbach untergehen läßt, ohne uns auch nur die Möglichkeit eiuer Ver¬
einigung Vlankenbcrgs mit der immer noch Geliebten zu zeigen, offenbart sich
der Charakter des Verfassers, Plulippi will mehr, als nur das Publikum unter¬
halte», und das ist schätzenswert.

Wie ernst er es meint, beweist sein neuestes Schauspiel, das einen be¬
deutenden Fortschritt gegen den „ Advokaten" bezeichnet. Auch diesmal ist die
Handlung einfach und übersichtlich: Eberhard von Leucten hat nach dem Tode
seiner ersten, schwärmerisch von ihm geliebten Gattin aus Rücksicht für sein
Kind eine zweite Frau geheiratet, Daniela, die ihn aus tiefster Seele liebt und
zugleich davon weiß, daß die erste Frau Eberhard untreu gewesen ist. Um
nun dem Manne, den sie liebt, den größten Schmerz zu ersparen, ist sie bemüht,
auch das letzte Zeugnis von dem Verbrechen der Verstorbenen ans den Hciudeu
des Mitschuldigen der Ehebrecherin zu vernichten. Bei dieser Gelegenheit wird
sie von dem Gemahl überrascht, es kommt zu einer heftigen Szene, die damit
endet, daß Daniela das Haus ihres Gatten verläßt und bei einer Freundin
Obdach sucht. Eberhard will sich von Daniela scheiden und sucht sich einen
Rechtsbeistand, der kein andrer ist als der Mitschuldige seiner ersten Frau.
In einer sehr geschickt und fein durchgeführten Unterredung erfährt Eberhard
die Wahrheit, er lernt die Seelengröße Danielas verehren, und die Gatten ver¬
einigen sich wieder, nachdem der Räuber von Eberhards Ehre sich hinter der
Szene getötet hat, um ein unausweichliches Duell zu verhindern.

Diese Daniela, die sich von ihrem Manne nicht eigentlich geliebt weiß und
dennoch bemüht ist, den Götzendienst ihres Mannes vor dem Bilde einer Ge¬
storbenen, die seiner Liebe nicht würdig war, zu schonen, weil sie fürchtet, daß
er durch die Enthüllung unglücklich werden könnte, ohne daß sie dabei viel ge¬
wönne, ist eine schöne Erscheinung, um deretwillen mau dem Verfasser vieles
nachsehen muß, was die Vorzüge seiner Arbeit zu verdunkeln droht. Die Vor¬
züge sind jedoch nicht gering. Schon der Einleituugscckt ist geschickt und spannend
geführt; wir haben die ganze Lage übersehen, wenn der Vorhang zum ersten¬
male fällt. Im zweiten Akte ist die Wendung, daß Eberhard der verdächtigten
Frau, die ihm den größten Liebesdienst zu leisten gedenkt, kein Hehl aus seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/340>, abgerufen am 21.10.2024.