Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

Eigentümlichkeit des ganz nach innen gekehrten Kleistschen Wesens und eine
Wirkung der ihn niemals begreifenden Umgebung, daß er seinen Angehörigen
gegenüber das Wort "Dichtkunst" nicht über die Lippen bringt. Wie Heinrich
seine Worte wendet und dreht, um ja nicht zum offnen Geständnis seiner Neigung
für die Poesie gezwungen zu sein, zeigt uns eine interessante Briefstelle. Kleist
spricht dort von den Dichtern, hat dabei zunächst ganz sichtbar sich selbst im
Auge, giebt aber, gleichsam erschrocken vor dem Wort, sogleich dem Satz eine
Wendung, wodurch die Beziehung auf ihn selbst durchschnitten wird. Am
20. September 1800 schreibt er vou Würzburg ans an Wilhelmine: "Von
der Langenweile, die ich nie empfand, weiß ich also auch hier nichts. Lange¬
weile ist nichts als die Abwesenheit aller Gedanken, oder vielmehr das Bewußt¬
sein, ohne beschäftigende Vorstellung zu sein. Das kann aber einem denkenden
Menschen nie begegnen, so lange es noch Dinge überhaupt für ihn auf der Welt
giebt; denn an jeden Gegenstand, sei er auch noch so scheinbar geringfügig,
lassen sich interessante Gedanken anknüpfen, und das ist eben das Talent der
Dichter, welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben, aber das Arkadische oder
überhaupt Interessante auch an dem Geringsten, das uns umgiebt, herausfinden
können." Ganz deutlich ist es, daß Kleist hier sagen will: Ich als Dichter,
dem Kleines wie Großes Stoff zu Gedanken giebt, kenne keine Langeweile. Er
gewinnt es aber nicht über sich, sich selbst einen Dichter zu nennen, weshalb
er den Zusatz macht: "welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben ?e." Er
ist zu schüchtern, sich den Dichternamen beizulegen, da er sich dessen noch nicht
für würdig erachtet. Die allgemeine Stimme soll ihn Dichter nennen, durch
ein großes Werk will er sich das Anrecht auf diesen Titel erwerben. Höher
hat niemals ein Künstler von seiner Kunst gedacht, als Heinrich von Kleist;
die Poesie war immer sein Gedanke und sein Ziel, aber Dichter hieß ihm nnr
der, der sich mit seiner ganzen, uneingeschränkten Geisteskraft der hohen Göttin
als Priester hingab. Dichter in diesem Sinne zu werden, war sein Ziel ge¬
wesen, als er einen Schritt that, der ihm die Bedingungen des realen Lebens
wieder klar vor Augen rückte.

Wahrscheinlich in der ersten Zeit des Jahres 1800, nachdem er seinen
Studien in Frankfurt uoch nicht ein Jahr lang obgelegen hatte, verlobte sich
Heinrich mit Wilhelmine von Zeuge. Dieser Schritt, mit dem er die Ver¬
pflichtung übernahm, für eine sichere Lebensstellung zu sorgen, hatte für ihn,
je inniger er von dem Wunsche nach Wilhelminens Besitze beseelt war, eine
desto größere Fülle von Aufregungen im Gefolge. Denn noch immer reizte
ihn, wie er an Ulrike schreibt, "sein früheres höheres Ziel, und noch konnte er
es nicht verächtlich als unerreichbar verwerfen, ohne vor sich selbst zu erröten."
Von der Braut und ihren Angehörigen stets gedrängt, ein Amt anzunehmen,
von seinem Genius stets gemahnt, nur der Dichtkunst zu leben, hat er unsäglich
schlvere innere Kämpfe zu bestehen, die ihn in den nächsten Jahren von Plan


Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.

Eigentümlichkeit des ganz nach innen gekehrten Kleistschen Wesens und eine
Wirkung der ihn niemals begreifenden Umgebung, daß er seinen Angehörigen
gegenüber das Wort „Dichtkunst" nicht über die Lippen bringt. Wie Heinrich
seine Worte wendet und dreht, um ja nicht zum offnen Geständnis seiner Neigung
für die Poesie gezwungen zu sein, zeigt uns eine interessante Briefstelle. Kleist
spricht dort von den Dichtern, hat dabei zunächst ganz sichtbar sich selbst im
Auge, giebt aber, gleichsam erschrocken vor dem Wort, sogleich dem Satz eine
Wendung, wodurch die Beziehung auf ihn selbst durchschnitten wird. Am
20. September 1800 schreibt er vou Würzburg ans an Wilhelmine: „Von
der Langenweile, die ich nie empfand, weiß ich also auch hier nichts. Lange¬
weile ist nichts als die Abwesenheit aller Gedanken, oder vielmehr das Bewußt¬
sein, ohne beschäftigende Vorstellung zu sein. Das kann aber einem denkenden
Menschen nie begegnen, so lange es noch Dinge überhaupt für ihn auf der Welt
giebt; denn an jeden Gegenstand, sei er auch noch so scheinbar geringfügig,
lassen sich interessante Gedanken anknüpfen, und das ist eben das Talent der
Dichter, welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben, aber das Arkadische oder
überhaupt Interessante auch an dem Geringsten, das uns umgiebt, herausfinden
können." Ganz deutlich ist es, daß Kleist hier sagen will: Ich als Dichter,
dem Kleines wie Großes Stoff zu Gedanken giebt, kenne keine Langeweile. Er
gewinnt es aber nicht über sich, sich selbst einen Dichter zu nennen, weshalb
er den Zusatz macht: „welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben ?e." Er
ist zu schüchtern, sich den Dichternamen beizulegen, da er sich dessen noch nicht
für würdig erachtet. Die allgemeine Stimme soll ihn Dichter nennen, durch
ein großes Werk will er sich das Anrecht auf diesen Titel erwerben. Höher
hat niemals ein Künstler von seiner Kunst gedacht, als Heinrich von Kleist;
die Poesie war immer sein Gedanke und sein Ziel, aber Dichter hieß ihm nnr
der, der sich mit seiner ganzen, uneingeschränkten Geisteskraft der hohen Göttin
als Priester hingab. Dichter in diesem Sinne zu werden, war sein Ziel ge¬
wesen, als er einen Schritt that, der ihm die Bedingungen des realen Lebens
wieder klar vor Augen rückte.

Wahrscheinlich in der ersten Zeit des Jahres 1800, nachdem er seinen
Studien in Frankfurt uoch nicht ein Jahr lang obgelegen hatte, verlobte sich
Heinrich mit Wilhelmine von Zeuge. Dieser Schritt, mit dem er die Ver¬
pflichtung übernahm, für eine sichere Lebensstellung zu sorgen, hatte für ihn,
je inniger er von dem Wunsche nach Wilhelminens Besitze beseelt war, eine
desto größere Fülle von Aufregungen im Gefolge. Denn noch immer reizte
ihn, wie er an Ulrike schreibt, „sein früheres höheres Ziel, und noch konnte er
es nicht verächtlich als unerreichbar verwerfen, ohne vor sich selbst zu erröten."
Von der Braut und ihren Angehörigen stets gedrängt, ein Amt anzunehmen,
von seinem Genius stets gemahnt, nur der Dichtkunst zu leben, hat er unsäglich
schlvere innere Kämpfe zu bestehen, die ihn in den nächsten Jahren von Plan


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199690"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1339" prev="#ID_1338"> Eigentümlichkeit des ganz nach innen gekehrten Kleistschen Wesens und eine<lb/>
Wirkung der ihn niemals begreifenden Umgebung, daß er seinen Angehörigen<lb/>
gegenüber das Wort &#x201E;Dichtkunst" nicht über die Lippen bringt. Wie Heinrich<lb/>
seine Worte wendet und dreht, um ja nicht zum offnen Geständnis seiner Neigung<lb/>
für die Poesie gezwungen zu sein, zeigt uns eine interessante Briefstelle. Kleist<lb/>
spricht dort von den Dichtern, hat dabei zunächst ganz sichtbar sich selbst im<lb/>
Auge, giebt aber, gleichsam erschrocken vor dem Wort, sogleich dem Satz eine<lb/>
Wendung, wodurch die Beziehung auf ihn selbst durchschnitten wird. Am<lb/>
20. September 1800 schreibt er vou Würzburg ans an Wilhelmine: &#x201E;Von<lb/>
der Langenweile, die ich nie empfand, weiß ich also auch hier nichts. Lange¬<lb/>
weile ist nichts als die Abwesenheit aller Gedanken, oder vielmehr das Bewußt¬<lb/>
sein, ohne beschäftigende Vorstellung zu sein. Das kann aber einem denkenden<lb/>
Menschen nie begegnen, so lange es noch Dinge überhaupt für ihn auf der Welt<lb/>
giebt; denn an jeden Gegenstand, sei er auch noch so scheinbar geringfügig,<lb/>
lassen sich interessante Gedanken anknüpfen, und das ist eben das Talent der<lb/>
Dichter, welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben, aber das Arkadische oder<lb/>
überhaupt Interessante auch an dem Geringsten, das uns umgiebt, herausfinden<lb/>
können." Ganz deutlich ist es, daß Kleist hier sagen will: Ich als Dichter,<lb/>
dem Kleines wie Großes Stoff zu Gedanken giebt, kenne keine Langeweile. Er<lb/>
gewinnt es aber nicht über sich, sich selbst einen Dichter zu nennen, weshalb<lb/>
er den Zusatz macht: &#x201E;welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben ?e." Er<lb/>
ist zu schüchtern, sich den Dichternamen beizulegen, da er sich dessen noch nicht<lb/>
für würdig erachtet. Die allgemeine Stimme soll ihn Dichter nennen, durch<lb/>
ein großes Werk will er sich das Anrecht auf diesen Titel erwerben. Höher<lb/>
hat niemals ein Künstler von seiner Kunst gedacht, als Heinrich von Kleist;<lb/>
die Poesie war immer sein Gedanke und sein Ziel, aber Dichter hieß ihm nnr<lb/>
der, der sich mit seiner ganzen, uneingeschränkten Geisteskraft der hohen Göttin<lb/>
als Priester hingab. Dichter in diesem Sinne zu werden, war sein Ziel ge¬<lb/>
wesen, als er einen Schritt that, der ihm die Bedingungen des realen Lebens<lb/>
wieder klar vor Augen rückte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Wahrscheinlich in der ersten Zeit des Jahres 1800, nachdem er seinen<lb/>
Studien in Frankfurt uoch nicht ein Jahr lang obgelegen hatte, verlobte sich<lb/>
Heinrich mit Wilhelmine von Zeuge. Dieser Schritt, mit dem er die Ver¬<lb/>
pflichtung übernahm, für eine sichere Lebensstellung zu sorgen, hatte für ihn,<lb/>
je inniger er von dem Wunsche nach Wilhelminens Besitze beseelt war, eine<lb/>
desto größere Fülle von Aufregungen im Gefolge. Denn noch immer reizte<lb/>
ihn, wie er an Ulrike schreibt, &#x201E;sein früheres höheres Ziel, und noch konnte er<lb/>
es nicht verächtlich als unerreichbar verwerfen, ohne vor sich selbst zu erröten."<lb/>
Von der Braut und ihren Angehörigen stets gedrängt, ein Amt anzunehmen,<lb/>
von seinem Genius stets gemahnt, nur der Dichtkunst zu leben, hat er unsäglich<lb/>
schlvere innere Kämpfe zu bestehen, die ihn in den nächsten Jahren von Plan</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] Zur Lebensbeschreibung Heinrichs von Aleist. Eigentümlichkeit des ganz nach innen gekehrten Kleistschen Wesens und eine Wirkung der ihn niemals begreifenden Umgebung, daß er seinen Angehörigen gegenüber das Wort „Dichtkunst" nicht über die Lippen bringt. Wie Heinrich seine Worte wendet und dreht, um ja nicht zum offnen Geständnis seiner Neigung für die Poesie gezwungen zu sein, zeigt uns eine interessante Briefstelle. Kleist spricht dort von den Dichtern, hat dabei zunächst ganz sichtbar sich selbst im Auge, giebt aber, gleichsam erschrocken vor dem Wort, sogleich dem Satz eine Wendung, wodurch die Beziehung auf ihn selbst durchschnitten wird. Am 20. September 1800 schreibt er vou Würzburg ans an Wilhelmine: „Von der Langenweile, die ich nie empfand, weiß ich also auch hier nichts. Lange¬ weile ist nichts als die Abwesenheit aller Gedanken, oder vielmehr das Bewußt¬ sein, ohne beschäftigende Vorstellung zu sein. Das kann aber einem denkenden Menschen nie begegnen, so lange es noch Dinge überhaupt für ihn auf der Welt giebt; denn an jeden Gegenstand, sei er auch noch so scheinbar geringfügig, lassen sich interessante Gedanken anknüpfen, und das ist eben das Talent der Dichter, welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben, aber das Arkadische oder überhaupt Interessante auch an dem Geringsten, das uns umgiebt, herausfinden können." Ganz deutlich ist es, daß Kleist hier sagen will: Ich als Dichter, dem Kleines wie Großes Stoff zu Gedanken giebt, kenne keine Langeweile. Er gewinnt es aber nicht über sich, sich selbst einen Dichter zu nennen, weshalb er den Zusatz macht: „welche ebensowenig wie wir in Arkadien leben ?e." Er ist zu schüchtern, sich den Dichternamen beizulegen, da er sich dessen noch nicht für würdig erachtet. Die allgemeine Stimme soll ihn Dichter nennen, durch ein großes Werk will er sich das Anrecht auf diesen Titel erwerben. Höher hat niemals ein Künstler von seiner Kunst gedacht, als Heinrich von Kleist; die Poesie war immer sein Gedanke und sein Ziel, aber Dichter hieß ihm nnr der, der sich mit seiner ganzen, uneingeschränkten Geisteskraft der hohen Göttin als Priester hingab. Dichter in diesem Sinne zu werden, war sein Ziel ge¬ wesen, als er einen Schritt that, der ihm die Bedingungen des realen Lebens wieder klar vor Augen rückte. Wahrscheinlich in der ersten Zeit des Jahres 1800, nachdem er seinen Studien in Frankfurt uoch nicht ein Jahr lang obgelegen hatte, verlobte sich Heinrich mit Wilhelmine von Zeuge. Dieser Schritt, mit dem er die Ver¬ pflichtung übernahm, für eine sichere Lebensstellung zu sorgen, hatte für ihn, je inniger er von dem Wunsche nach Wilhelminens Besitze beseelt war, eine desto größere Fülle von Aufregungen im Gefolge. Denn noch immer reizte ihn, wie er an Ulrike schreibt, „sein früheres höheres Ziel, und noch konnte er es nicht verächtlich als unerreichbar verwerfen, ohne vor sich selbst zu erröten." Von der Braut und ihren Angehörigen stets gedrängt, ein Amt anzunehmen, von seinem Genius stets gemahnt, nur der Dichtkunst zu leben, hat er unsäglich schlvere innere Kämpfe zu bestehen, die ihn in den nächsten Jahren von Plan

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/336>, abgerufen am 20.10.2024.