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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Goethes Lila.

Was mag nun Goethe um 1788 veranlaßt haben, dieses neue Motiv
ganz äußerlich in den ersten Aufzug zu bringen, und anknüpfend daran das
fertige Stück so vollständig umzuarbeiten, daß es unkenntlich für die mit dem
Stücke bekannten werden mußte?

Die Beantwortung der Frage ist glücklicherweise nicht schwer. Zu Anfang
der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts feierte eine Oper große Erfolge
in Deutschland -- Schikcmeders "Zauberflöte" mit der Musik Mozarts. Wir
wissen, wie mächtig Goethe von dem Stoffe angezogen wurde, wie sehr das
Unding von Text, die seltsam unsinnige Zusammenschweißung von Freimaurer¬
symbolik, possenhafter Plattheit und märchenhafter Abgeschmacktheit seiner Neigung
zum Unbegreiflichen, Mystischen entgegenkam, ja daß er selbst eine Fortsetzung,
einen zweiten Teil der Zauberflöte zu schreiben sich nicht versagen konnte. Dieser
"Zauberflöte" nun verdanken wir die Umarbeitung der "Lila." Alle Nebel
lösen sich in wenig erbaulicher Weise auf, sobald wir uns hierüber klar ge¬
worden sind. Die Motive, welche die "Zauberflöte" lieferte, sind zwar etwas
ungeordnet; aber sie sind dieselben geblieben. Während in der Oper Pamina
von einem "Bösewicht" gefangen gehalten wird, ist es hier der Gatte Lilas, der
"in der Gewalt eines neidischen Dämons ist, der ihn mit süßen Träumen bändigt
und gefangen hält"; den, entsprechend wurde aus dem suchenden, die Befreiung
Paminas erwirkeudeu Tamino eine weibliche Gestalt, nämlich Lila selbst, welche
"allein auf dunklem Pfade" und "düsterm, rauhem Wege" wandeln muß,*) um
deu Gemahl zu erlösen. Aber wie Tamino seine Zauberflöte bekommt, damit
ihm die Sache nicht zu schwer falle, so erhält Lila ein Fläschchen mit Balsam
nud wird von Almaide auf einen "gestickten Schleier" hingewiesen, der sie "vor
aller Gewalt des Dämons schützen" solle. Nachdem sie die Mühen der Wanderung
überstanden hat, erkennt sie dann ihren Gemahl wieder, und die Vereinigung
wird von dem "Chor" mit Gesänge" gefeiert, in denen zwar nicht vom "Glück
und der Weihe der Isis," aber doch von der Wiedervereinigung des Paares
in ähnlicher Weise gesungen wird, wie von dem Chor in der Oper. Der
"Priester" in der Zauberflöte lieferte das Vorbild für den Mcigus, während
zugleich einige seiner Wendungen an andre Personen übergingen;'^) auch das
"Tischlein deck dich" der Oper finden wir in artiger Verwandlung wieder,
nämlich als eine "schön erleuchtete Laube, worin ein Tisch mit Speisen sich




"Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerde." Gesang der geharnischten
Männer in der "Zauberflöte."
W" willst du kühner Fremdling hin? Was suchst du hier im Heiligtum? Priester.
Friedrich. Wer ist die Verwegene, die sich dem Aufenthalt der Angst und der Trauer
nähern darf? Priester. Dir dies zu sagen, teurer Sohn, ist jetzo mir noch nicht erlaubt -- die
Zunge bindet Eid und Pflicht. Ich kann dich nicht begleiten, dir nicht helfen. Almaide.
Goethes Lila.

Was mag nun Goethe um 1788 veranlaßt haben, dieses neue Motiv
ganz äußerlich in den ersten Aufzug zu bringen, und anknüpfend daran das
fertige Stück so vollständig umzuarbeiten, daß es unkenntlich für die mit dem
Stücke bekannten werden mußte?

Die Beantwortung der Frage ist glücklicherweise nicht schwer. Zu Anfang
der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts feierte eine Oper große Erfolge
in Deutschland — Schikcmeders „Zauberflöte" mit der Musik Mozarts. Wir
wissen, wie mächtig Goethe von dem Stoffe angezogen wurde, wie sehr das
Unding von Text, die seltsam unsinnige Zusammenschweißung von Freimaurer¬
symbolik, possenhafter Plattheit und märchenhafter Abgeschmacktheit seiner Neigung
zum Unbegreiflichen, Mystischen entgegenkam, ja daß er selbst eine Fortsetzung,
einen zweiten Teil der Zauberflöte zu schreiben sich nicht versagen konnte. Dieser
„Zauberflöte" nun verdanken wir die Umarbeitung der „Lila." Alle Nebel
lösen sich in wenig erbaulicher Weise auf, sobald wir uns hierüber klar ge¬
worden sind. Die Motive, welche die „Zauberflöte" lieferte, sind zwar etwas
ungeordnet; aber sie sind dieselben geblieben. Während in der Oper Pamina
von einem „Bösewicht" gefangen gehalten wird, ist es hier der Gatte Lilas, der
„in der Gewalt eines neidischen Dämons ist, der ihn mit süßen Träumen bändigt
und gefangen hält"; den, entsprechend wurde aus dem suchenden, die Befreiung
Paminas erwirkeudeu Tamino eine weibliche Gestalt, nämlich Lila selbst, welche
„allein auf dunklem Pfade" und „düsterm, rauhem Wege" wandeln muß,*) um
deu Gemahl zu erlösen. Aber wie Tamino seine Zauberflöte bekommt, damit
ihm die Sache nicht zu schwer falle, so erhält Lila ein Fläschchen mit Balsam
nud wird von Almaide auf einen „gestickten Schleier" hingewiesen, der sie „vor
aller Gewalt des Dämons schützen" solle. Nachdem sie die Mühen der Wanderung
überstanden hat, erkennt sie dann ihren Gemahl wieder, und die Vereinigung
wird von dem „Chor" mit Gesänge» gefeiert, in denen zwar nicht vom „Glück
und der Weihe der Isis," aber doch von der Wiedervereinigung des Paares
in ähnlicher Weise gesungen wird, wie von dem Chor in der Oper. Der
„Priester" in der Zauberflöte lieferte das Vorbild für den Mcigus, während
zugleich einige seiner Wendungen an andre Personen übergingen;'^) auch das
„Tischlein deck dich" der Oper finden wir in artiger Verwandlung wieder,
nämlich als eine „schön erleuchtete Laube, worin ein Tisch mit Speisen sich




„Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerde." Gesang der geharnischten
Männer in der „Zauberflöte."
W» willst du kühner Fremdling hin? Was suchst du hier im Heiligtum? Priester.
Friedrich. Wer ist die Verwegene, die sich dem Aufenthalt der Angst und der Trauer
nähern darf? Priester. Dir dies zu sagen, teurer Sohn, ist jetzo mir noch nicht erlaubt — die
Zunge bindet Eid und Pflicht. Ich kann dich nicht begleiten, dir nicht helfen. Almaide.
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[0032] Goethes Lila. Was mag nun Goethe um 1788 veranlaßt haben, dieses neue Motiv ganz äußerlich in den ersten Aufzug zu bringen, und anknüpfend daran das fertige Stück so vollständig umzuarbeiten, daß es unkenntlich für die mit dem Stücke bekannten werden mußte? Die Beantwortung der Frage ist glücklicherweise nicht schwer. Zu Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts feierte eine Oper große Erfolge in Deutschland — Schikcmeders „Zauberflöte" mit der Musik Mozarts. Wir wissen, wie mächtig Goethe von dem Stoffe angezogen wurde, wie sehr das Unding von Text, die seltsam unsinnige Zusammenschweißung von Freimaurer¬ symbolik, possenhafter Plattheit und märchenhafter Abgeschmacktheit seiner Neigung zum Unbegreiflichen, Mystischen entgegenkam, ja daß er selbst eine Fortsetzung, einen zweiten Teil der Zauberflöte zu schreiben sich nicht versagen konnte. Dieser „Zauberflöte" nun verdanken wir die Umarbeitung der „Lila." Alle Nebel lösen sich in wenig erbaulicher Weise auf, sobald wir uns hierüber klar ge¬ worden sind. Die Motive, welche die „Zauberflöte" lieferte, sind zwar etwas ungeordnet; aber sie sind dieselben geblieben. Während in der Oper Pamina von einem „Bösewicht" gefangen gehalten wird, ist es hier der Gatte Lilas, der „in der Gewalt eines neidischen Dämons ist, der ihn mit süßen Träumen bändigt und gefangen hält"; den, entsprechend wurde aus dem suchenden, die Befreiung Paminas erwirkeudeu Tamino eine weibliche Gestalt, nämlich Lila selbst, welche „allein auf dunklem Pfade" und „düsterm, rauhem Wege" wandeln muß,*) um deu Gemahl zu erlösen. Aber wie Tamino seine Zauberflöte bekommt, damit ihm die Sache nicht zu schwer falle, so erhält Lila ein Fläschchen mit Balsam nud wird von Almaide auf einen „gestickten Schleier" hingewiesen, der sie „vor aller Gewalt des Dämons schützen" solle. Nachdem sie die Mühen der Wanderung überstanden hat, erkennt sie dann ihren Gemahl wieder, und die Vereinigung wird von dem „Chor" mit Gesänge» gefeiert, in denen zwar nicht vom „Glück und der Weihe der Isis," aber doch von der Wiedervereinigung des Paares in ähnlicher Weise gesungen wird, wie von dem Chor in der Oper. Der „Priester" in der Zauberflöte lieferte das Vorbild für den Mcigus, während zugleich einige seiner Wendungen an andre Personen übergingen;'^) auch das „Tischlein deck dich" der Oper finden wir in artiger Verwandlung wieder, nämlich als eine „schön erleuchtete Laube, worin ein Tisch mit Speisen sich „Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerde." Gesang der geharnischten Männer in der „Zauberflöte." W» willst du kühner Fremdling hin? Was suchst du hier im Heiligtum? Priester. Friedrich. Wer ist die Verwegene, die sich dem Aufenthalt der Angst und der Trauer nähern darf? Priester. Dir dies zu sagen, teurer Sohn, ist jetzo mir noch nicht erlaubt — die Zunge bindet Eid und Pflicht. Ich kann dich nicht begleiten, dir nicht helfen. Almaide.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/32>, abgerufen am 19.10.2024.