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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die deutsche Landliga und der deutsche Großgrundbesitz.

Sandfläche (in der nun freilich auch Straßen, Flüsse, Seen, Ödland :c> stecken)
der Gesamtgröße von Frankreich ziemlich genau entspricht.

Schlimmer als mit diesem Punkte, bei dem es sich nur um die Zurück¬
weisung einiger allerdings unrichtigen, aber an sich nicht wesentlichen Schlu߬
folgerungen handelt, ist es mit der auf S. 543 der "Landwirtschaftlichen Börsen-
zeitnng" entnommenen Angabe von den fünfzehn deutschen "Fürsten" (Standes¬
herren) bestellt, die zusammen ein Grundeigentum von siebenhundert Quadrat-
meilen haben sollen. Der Herr Verfasser möge mir verzeihen, wenn ich sage:
Das sollte einem Manne, der über agrarische Verhältnisse schreibt, nicht begegnen;
denn diese Angabe ist nichts als ein längst entlarvtes, nichtswürdiges Manöver
ans den schlimmsten Zeiten fortschrittlicher Wahlagitation. Man weiß längst
und hat es in der Presse und in Versammlungen nicht einmal, sondern un-
zähligemale ausgesprochen, daß diese ganze Aufstellung auf der Größe derjenigen
Gebiete beruht, über welche die betreffenden Herren Hoheitsrechte haben oder
hatten -- gerade als wenn man sagen wollte, der König von Preußen habe
einen Grundbesitz von mehr als 6000 Quadratmeilen. Allerdings haben wir noch
eine Anzahl von Personen, welche selbst unter den Großgrundbesitzern noch eine
höhere Klasse bilden, und ich meinerseits stehe nicht an, uns hierzu zu be¬
glückwünschen; wie Englands geschichtliche Größe von seinem Grundadel unzer¬
trennlich ist, so halte ich auch für eine gedeihliche Entwicklung unsrer politischen
Verhältnisse das Vorhandensein einer gewissen Menge "großer Herren" für ganz
unerläßlich. Aber Besitzungen von vierzig bis fünfzig Quadratmeilen giebt es
in Deutschland faktisch nicht mehr, nicht einmal als Besitzungen der großen
souveränen Häuser. Herrschaften von annähernd einer Quadratmeile gehören
in unserm heutigen Deutschland schon zu den allergrößten, und selbst in Ost¬
preußen, welches doch hinsichtlich großer Güter stets in erster Linie genannt zu
werden Pflegt, giebt es deren insgesamt nicht mehr als fünf oder sechs. In
Westpreußen, Posen, Schlesien, dann auch in Hannover (Herzog von Arcmberg)
mag es einige über dieses Größenverhältnis noch hinausgehende Besitzungen
geben, aber auf zehn Quadratmeilen wird auch nicht eine einzige kommen. Wir
haben es hier also lediglich mit einer auf gröblicher Entstellung beruhenden
Aufhetzung gegen den Großgrundbesitz (z. B. aus Anlaß der Bestrebungen auf
Herabsetzung der Grundsteuer) zu thun. Es mag sein, daß auch die "Land¬
wirtschaftliche Vörsenzeitnng" in gutem Glauben die Zahlen irgendwoher ent¬
nommen hat, aber ich meinerseits muß schon gestehen, daß ich an den gänzlichen
Mangel aller Tendenz hierbei nicht recht zu glauben vermag. Bei dem Herrn
Verfasser des betreffende" Artikels halte ich natürlich diesen Zweifel für aus¬
geschlossen, aber -- besser umsehen hätte er sich müssen, ehe er solche Zahlen
auf Treu und Glauben übernahm.

Noch einen dritten Punkt giebt es, wo zwar die angegebenen Zahlen richtig
sein werden, aber die Darstellung eine solche ist, daß nicht die ganze Wahrheit


Die deutsche Landliga und der deutsche Großgrundbesitz.

Sandfläche (in der nun freilich auch Straßen, Flüsse, Seen, Ödland :c> stecken)
der Gesamtgröße von Frankreich ziemlich genau entspricht.

Schlimmer als mit diesem Punkte, bei dem es sich nur um die Zurück¬
weisung einiger allerdings unrichtigen, aber an sich nicht wesentlichen Schlu߬
folgerungen handelt, ist es mit der auf S. 543 der „Landwirtschaftlichen Börsen-
zeitnng" entnommenen Angabe von den fünfzehn deutschen „Fürsten" (Standes¬
herren) bestellt, die zusammen ein Grundeigentum von siebenhundert Quadrat-
meilen haben sollen. Der Herr Verfasser möge mir verzeihen, wenn ich sage:
Das sollte einem Manne, der über agrarische Verhältnisse schreibt, nicht begegnen;
denn diese Angabe ist nichts als ein längst entlarvtes, nichtswürdiges Manöver
ans den schlimmsten Zeiten fortschrittlicher Wahlagitation. Man weiß längst
und hat es in der Presse und in Versammlungen nicht einmal, sondern un-
zähligemale ausgesprochen, daß diese ganze Aufstellung auf der Größe derjenigen
Gebiete beruht, über welche die betreffenden Herren Hoheitsrechte haben oder
hatten — gerade als wenn man sagen wollte, der König von Preußen habe
einen Grundbesitz von mehr als 6000 Quadratmeilen. Allerdings haben wir noch
eine Anzahl von Personen, welche selbst unter den Großgrundbesitzern noch eine
höhere Klasse bilden, und ich meinerseits stehe nicht an, uns hierzu zu be¬
glückwünschen; wie Englands geschichtliche Größe von seinem Grundadel unzer¬
trennlich ist, so halte ich auch für eine gedeihliche Entwicklung unsrer politischen
Verhältnisse das Vorhandensein einer gewissen Menge „großer Herren" für ganz
unerläßlich. Aber Besitzungen von vierzig bis fünfzig Quadratmeilen giebt es
in Deutschland faktisch nicht mehr, nicht einmal als Besitzungen der großen
souveränen Häuser. Herrschaften von annähernd einer Quadratmeile gehören
in unserm heutigen Deutschland schon zu den allergrößten, und selbst in Ost¬
preußen, welches doch hinsichtlich großer Güter stets in erster Linie genannt zu
werden Pflegt, giebt es deren insgesamt nicht mehr als fünf oder sechs. In
Westpreußen, Posen, Schlesien, dann auch in Hannover (Herzog von Arcmberg)
mag es einige über dieses Größenverhältnis noch hinausgehende Besitzungen
geben, aber auf zehn Quadratmeilen wird auch nicht eine einzige kommen. Wir
haben es hier also lediglich mit einer auf gröblicher Entstellung beruhenden
Aufhetzung gegen den Großgrundbesitz (z. B. aus Anlaß der Bestrebungen auf
Herabsetzung der Grundsteuer) zu thun. Es mag sein, daß auch die „Land¬
wirtschaftliche Vörsenzeitnng" in gutem Glauben die Zahlen irgendwoher ent¬
nommen hat, aber ich meinerseits muß schon gestehen, daß ich an den gänzlichen
Mangel aller Tendenz hierbei nicht recht zu glauben vermag. Bei dem Herrn
Verfasser des betreffende» Artikels halte ich natürlich diesen Zweifel für aus¬
geschlossen, aber — besser umsehen hätte er sich müssen, ehe er solche Zahlen
auf Treu und Glauben übernahm.

Noch einen dritten Punkt giebt es, wo zwar die angegebenen Zahlen richtig
sein werden, aber die Darstellung eine solche ist, daß nicht die ganze Wahrheit


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[0319] Die deutsche Landliga und der deutsche Großgrundbesitz. Sandfläche (in der nun freilich auch Straßen, Flüsse, Seen, Ödland :c> stecken) der Gesamtgröße von Frankreich ziemlich genau entspricht. Schlimmer als mit diesem Punkte, bei dem es sich nur um die Zurück¬ weisung einiger allerdings unrichtigen, aber an sich nicht wesentlichen Schlu߬ folgerungen handelt, ist es mit der auf S. 543 der „Landwirtschaftlichen Börsen- zeitnng" entnommenen Angabe von den fünfzehn deutschen „Fürsten" (Standes¬ herren) bestellt, die zusammen ein Grundeigentum von siebenhundert Quadrat- meilen haben sollen. Der Herr Verfasser möge mir verzeihen, wenn ich sage: Das sollte einem Manne, der über agrarische Verhältnisse schreibt, nicht begegnen; denn diese Angabe ist nichts als ein längst entlarvtes, nichtswürdiges Manöver ans den schlimmsten Zeiten fortschrittlicher Wahlagitation. Man weiß längst und hat es in der Presse und in Versammlungen nicht einmal, sondern un- zähligemale ausgesprochen, daß diese ganze Aufstellung auf der Größe derjenigen Gebiete beruht, über welche die betreffenden Herren Hoheitsrechte haben oder hatten — gerade als wenn man sagen wollte, der König von Preußen habe einen Grundbesitz von mehr als 6000 Quadratmeilen. Allerdings haben wir noch eine Anzahl von Personen, welche selbst unter den Großgrundbesitzern noch eine höhere Klasse bilden, und ich meinerseits stehe nicht an, uns hierzu zu be¬ glückwünschen; wie Englands geschichtliche Größe von seinem Grundadel unzer¬ trennlich ist, so halte ich auch für eine gedeihliche Entwicklung unsrer politischen Verhältnisse das Vorhandensein einer gewissen Menge „großer Herren" für ganz unerläßlich. Aber Besitzungen von vierzig bis fünfzig Quadratmeilen giebt es in Deutschland faktisch nicht mehr, nicht einmal als Besitzungen der großen souveränen Häuser. Herrschaften von annähernd einer Quadratmeile gehören in unserm heutigen Deutschland schon zu den allergrößten, und selbst in Ost¬ preußen, welches doch hinsichtlich großer Güter stets in erster Linie genannt zu werden Pflegt, giebt es deren insgesamt nicht mehr als fünf oder sechs. In Westpreußen, Posen, Schlesien, dann auch in Hannover (Herzog von Arcmberg) mag es einige über dieses Größenverhältnis noch hinausgehende Besitzungen geben, aber auf zehn Quadratmeilen wird auch nicht eine einzige kommen. Wir haben es hier also lediglich mit einer auf gröblicher Entstellung beruhenden Aufhetzung gegen den Großgrundbesitz (z. B. aus Anlaß der Bestrebungen auf Herabsetzung der Grundsteuer) zu thun. Es mag sein, daß auch die „Land¬ wirtschaftliche Vörsenzeitnng" in gutem Glauben die Zahlen irgendwoher ent¬ nommen hat, aber ich meinerseits muß schon gestehen, daß ich an den gänzlichen Mangel aller Tendenz hierbei nicht recht zu glauben vermag. Bei dem Herrn Verfasser des betreffende» Artikels halte ich natürlich diesen Zweifel für aus¬ geschlossen, aber — besser umsehen hätte er sich müssen, ehe er solche Zahlen auf Treu und Glauben übernahm. Noch einen dritten Punkt giebt es, wo zwar die angegebenen Zahlen richtig sein werden, aber die Darstellung eine solche ist, daß nicht die ganze Wahrheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/319>, abgerufen am 27.09.2024.