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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Das Wachstum der Sozialdemokratio nach der Statistik der Rcichstagswahlen,

Staaten zeichneten sich besonders aus: Weimar 713:2500, Meiningen 50:3490,
Altenburg 968:1976, Koburg-Gotha 1558:7733, Neuß ä. L. 2215:3890,
Reuß j. L. 2758:5539. In allen Staaten und größern Verwaltungsbezirken
ohne Ausnahme hatte sich ein Anschwellen der sozialdemokratischen Flut gezeigt.

Von hundert giltigen Stimmen waren auf sozialdemokratische Kandidaten
gefallen:

in Wahlkreisen mit großen Städten..............15,0
" " ohne große Städte..............4,2
in den überwiegend evangelischen Wahlkreisen mit mehr als 75 Prozent evan¬
gelischer Bevölkerung.................15,g
in den überwiegend evangelischen Wahlkreisen mit weniger als 75 Prozent
evangelischer Bevölkerung................7,9
in den überwiegend katholischen Wahlkreisen mit mehr als 75 Prozent katho¬
lischer Bevölkerung................... 2,2
in den überwiegend katholischen Wahlkreisen mit weniger mis 75 Prozent ka¬
tholischer Bevölkerung.................2,7.

Ein Blick auf die dem statistischen Jahrbuche für 1886 beigegebene karto¬
graphische Darstellung zeigt folgendes Verbreitnngsbild. Von den zweiund-
zwanzig rein städtischen Wahlkreisen (einschließlich des Wahlkreises Wies¬
baden 6: Frankfurt a. M.) werden nenn durch Svzinldemvkraten vertreten;
außerdem zeigt sich das sozialdemokratische Not in Schleswig, Hannover, Braun¬
schweig, Düsseldorf, den beiden Reuß, Koburg-Gotha, Sachsen, Hessen, Mittel¬
franken und Oberbaiern. Das ganze Gebiet rechts von der Elbe, mit Aus¬
nahme von Altona und Breslau, weist nnr zwei sächsische Wahlkreise, wo ein
stärkerer Anhang der Partei vorhanden ist, sowie Kiel und den .Königsberger
Stadtkreis auf, wo sozialdemokratische Kandidaten es bis zur Stichwahl brachten.

Trotzallcdem kann, wenn man einen größern Zeitraum ins Ange faßt, von
einem außerordentlichen Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen nicht wohl
die Rede sein. Im Jahre vor Erlaß des Sozialistengesetzes hatte die Partei
493 288 Wähler für sich gezählt, 1884 549990. Die "norddeutsche Allgemeine
Zeitung" hat seinerzeit daraus hingewiesen, daß in Preußen und Sachsen 1884
nur wenige Wahlkreise vorhanden waren, in denen mehr sozialdemokratische
Wahlzeltcl gezählt wurden als bei irgend einer Wahl zuvor. Zum erstenmale
wieder seit Erlaß des Svzialistengcsetzcs war die Partei nach Überwindung
innerer Wirren mit höchster Kraftanstrengung in den Kampf gezogen; auch in
den aussichtslosesten Wahlkreisen mußten sich die alten Anhänger zur Heerschau
sammeln -- es wurde intensiver gewählt. Allerdings war schon ans dem
Wydener Kongreß (1880) der Beschluß gefaßt worden, in allen Wahlkreisen
ohne Rücksicht auf die Zahl der Gesinnungsgenossen bei der Wahl selbständig
vorzugehen und eigne Kandidaten aufzustellen; aber zur Ausführung kam dieser
Beschluß und die Parole des Parteiorgans: "Wir wählen, um die Massen zu
revolutioniren," in vollem Umfange erst 1884.


Das Wachstum der Sozialdemokratio nach der Statistik der Rcichstagswahlen,

Staaten zeichneten sich besonders aus: Weimar 713:2500, Meiningen 50:3490,
Altenburg 968:1976, Koburg-Gotha 1558:7733, Neuß ä. L. 2215:3890,
Reuß j. L. 2758:5539. In allen Staaten und größern Verwaltungsbezirken
ohne Ausnahme hatte sich ein Anschwellen der sozialdemokratischen Flut gezeigt.

Von hundert giltigen Stimmen waren auf sozialdemokratische Kandidaten
gefallen:

in Wahlkreisen mit großen Städten..............15,0
» » ohne große Städte..............4,2
in den überwiegend evangelischen Wahlkreisen mit mehr als 75 Prozent evan¬
gelischer Bevölkerung.................15,g
in den überwiegend evangelischen Wahlkreisen mit weniger als 75 Prozent
evangelischer Bevölkerung................7,9
in den überwiegend katholischen Wahlkreisen mit mehr als 75 Prozent katho¬
lischer Bevölkerung................... 2,2
in den überwiegend katholischen Wahlkreisen mit weniger mis 75 Prozent ka¬
tholischer Bevölkerung.................2,7.

Ein Blick auf die dem statistischen Jahrbuche für 1886 beigegebene karto¬
graphische Darstellung zeigt folgendes Verbreitnngsbild. Von den zweiund-
zwanzig rein städtischen Wahlkreisen (einschließlich des Wahlkreises Wies¬
baden 6: Frankfurt a. M.) werden nenn durch Svzinldemvkraten vertreten;
außerdem zeigt sich das sozialdemokratische Not in Schleswig, Hannover, Braun¬
schweig, Düsseldorf, den beiden Reuß, Koburg-Gotha, Sachsen, Hessen, Mittel¬
franken und Oberbaiern. Das ganze Gebiet rechts von der Elbe, mit Aus¬
nahme von Altona und Breslau, weist nnr zwei sächsische Wahlkreise, wo ein
stärkerer Anhang der Partei vorhanden ist, sowie Kiel und den .Königsberger
Stadtkreis auf, wo sozialdemokratische Kandidaten es bis zur Stichwahl brachten.

Trotzallcdem kann, wenn man einen größern Zeitraum ins Ange faßt, von
einem außerordentlichen Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen nicht wohl
die Rede sein. Im Jahre vor Erlaß des Sozialistengesetzes hatte die Partei
493 288 Wähler für sich gezählt, 1884 549990. Die „norddeutsche Allgemeine
Zeitung" hat seinerzeit daraus hingewiesen, daß in Preußen und Sachsen 1884
nur wenige Wahlkreise vorhanden waren, in denen mehr sozialdemokratische
Wahlzeltcl gezählt wurden als bei irgend einer Wahl zuvor. Zum erstenmale
wieder seit Erlaß des Svzialistengcsetzcs war die Partei nach Überwindung
innerer Wirren mit höchster Kraftanstrengung in den Kampf gezogen; auch in
den aussichtslosesten Wahlkreisen mußten sich die alten Anhänger zur Heerschau
sammeln — es wurde intensiver gewählt. Allerdings war schon ans dem
Wydener Kongreß (1880) der Beschluß gefaßt worden, in allen Wahlkreisen
ohne Rücksicht auf die Zahl der Gesinnungsgenossen bei der Wahl selbständig
vorzugehen und eigne Kandidaten aufzustellen; aber zur Ausführung kam dieser
Beschluß und die Parole des Parteiorgans: „Wir wählen, um die Massen zu
revolutioniren," in vollem Umfange erst 1884.


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[0316] Das Wachstum der Sozialdemokratio nach der Statistik der Rcichstagswahlen, Staaten zeichneten sich besonders aus: Weimar 713:2500, Meiningen 50:3490, Altenburg 968:1976, Koburg-Gotha 1558:7733, Neuß ä. L. 2215:3890, Reuß j. L. 2758:5539. In allen Staaten und größern Verwaltungsbezirken ohne Ausnahme hatte sich ein Anschwellen der sozialdemokratischen Flut gezeigt. Von hundert giltigen Stimmen waren auf sozialdemokratische Kandidaten gefallen: in Wahlkreisen mit großen Städten..............15,0 » » ohne große Städte..............4,2 in den überwiegend evangelischen Wahlkreisen mit mehr als 75 Prozent evan¬ gelischer Bevölkerung.................15,g in den überwiegend evangelischen Wahlkreisen mit weniger als 75 Prozent evangelischer Bevölkerung................7,9 in den überwiegend katholischen Wahlkreisen mit mehr als 75 Prozent katho¬ lischer Bevölkerung................... 2,2 in den überwiegend katholischen Wahlkreisen mit weniger mis 75 Prozent ka¬ tholischer Bevölkerung.................2,7. Ein Blick auf die dem statistischen Jahrbuche für 1886 beigegebene karto¬ graphische Darstellung zeigt folgendes Verbreitnngsbild. Von den zweiund- zwanzig rein städtischen Wahlkreisen (einschließlich des Wahlkreises Wies¬ baden 6: Frankfurt a. M.) werden nenn durch Svzinldemvkraten vertreten; außerdem zeigt sich das sozialdemokratische Not in Schleswig, Hannover, Braun¬ schweig, Düsseldorf, den beiden Reuß, Koburg-Gotha, Sachsen, Hessen, Mittel¬ franken und Oberbaiern. Das ganze Gebiet rechts von der Elbe, mit Aus¬ nahme von Altona und Breslau, weist nnr zwei sächsische Wahlkreise, wo ein stärkerer Anhang der Partei vorhanden ist, sowie Kiel und den .Königsberger Stadtkreis auf, wo sozialdemokratische Kandidaten es bis zur Stichwahl brachten. Trotzallcdem kann, wenn man einen größern Zeitraum ins Ange faßt, von einem außerordentlichen Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen nicht wohl die Rede sein. Im Jahre vor Erlaß des Sozialistengesetzes hatte die Partei 493 288 Wähler für sich gezählt, 1884 549990. Die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat seinerzeit daraus hingewiesen, daß in Preußen und Sachsen 1884 nur wenige Wahlkreise vorhanden waren, in denen mehr sozialdemokratische Wahlzeltcl gezählt wurden als bei irgend einer Wahl zuvor. Zum erstenmale wieder seit Erlaß des Svzialistengcsetzcs war die Partei nach Überwindung innerer Wirren mit höchster Kraftanstrengung in den Kampf gezogen; auch in den aussichtslosesten Wahlkreisen mußten sich die alten Anhänger zur Heerschau sammeln — es wurde intensiver gewählt. Allerdings war schon ans dem Wydener Kongreß (1880) der Beschluß gefaßt worden, in allen Wahlkreisen ohne Rücksicht auf die Zahl der Gesinnungsgenossen bei der Wahl selbständig vorzugehen und eigne Kandidaten aufzustellen; aber zur Ausführung kam dieser Beschluß und die Parole des Parteiorgans: „Wir wählen, um die Massen zu revolutioniren," in vollem Umfange erst 1884.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/316>, abgerufen am 27.09.2024.