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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

Alchemisten von ihrem Urahn anvertraut worden. Das heranwachsende Mädchen
hat in dem vom Volke gemiedenen düstern Hause des einsamen Gelehrten wenig
Freude gefunden. Sie hat sich in einen Junker verliebt und ist vor zwei
Jahren entflohen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie ist dem Geliebten nach¬
gelaufen, der sie aber bald treulos verlassen hat. Sie ist dann ins größte
Elend geraten, und hat schließlich ihren Leib preisgegeben, um sich in die Heimat
durchzubetteln: "ein treues Abbild der zu Tode gehetzten Menschheit." Der
Junker, der sie verraten, war kein andrer als der Doktor Thanatos. Gleich¬
wohl findet sie beim Alchemisten die freudigste Aufnahme. Der tief erschütterte
Ahasver will ihr alles Gut der Welt zu Füßen legen, um sie wieder glücklich
zu machen. In einer großen Szene bittet er den Tod, nur dieses einemal in
seinem grausamen Thun innezuhalten und Else zu schonen. Der Tod überläßt
die Entscheidung dem Mädchen selbst: "Frei folge sie dem eignen Hcrzenszuge!
Sie möge richten zwischen dir und mir!" Else entscheidet sich für den Tod.
Sie ist von dem Schiller des Alchemisten, dessen Werbung sie ablehnte, knaben¬
haft beleidigt worden; sie hat auch ihre" treulosen Liebhaber im Doktor Tha¬
natos wieder erkannt und nicht vermocht, seine Kälte zu besiege". Daruni will
sie sterben. Vom Turmzimmer des Domes stürzt sie sich trotz der flehentlichen
Bitten Ahasvers in die Tiefe; der Alte stürzt ihr nach. Else bleibt tot liegen
am Kirchhof, Thanatos findet sie dort, und ein Erbarmen schleicht in seine Brust.


Wie schön du bist! Ich liebte dich im Leben;
Jetzt noch viel mehr. Da du mir zagend
Als Jungfrau deinen ersten Kuß gegeben,
Empfingst du jenes Gift, das dnrch die Adern jagend
Unfehlbar endet. Millionen haben
Dir das zuvorgethan und folgen dir;
Und keine weiß es, bis man sie begraben,
Daß dem holdlnchelnden Visir
Der Liebe das entfleischte Schreckbild grinst!
Mein snszes Kind, dein was noch kommt, entrinnst,
Du nicht. Vielleicht ist's minder schwer.

Da kommt Ernst herzu; im Schmerz über den Tod Elses außer sich, fordert
er den Doktor Thanatos zum Duell heraus, da dieser sich selbst kalt als den
Urheber ihres Todes bezeichnete. Ernst, der beste Fechter des Reiches, fällt
von der Hand des Fremden, der ihm auch die Grabrede hält:


Im steten Lebenswechsel ewig jung,
Bin ich die bleibende Erinnerung
An alle die gestorbnen Millionen,
Die jetzt mein eigen sind und bei mir wohnen.
Auch dein Gedächtnis ist nicht ganz verloren.
D" hast das Unbekannte aufbcschworcn,
Dem Jenseits an das Thor gepocht;
Du hast es zu erschließen nicht vermocht;

Der ewige Jude.

Alchemisten von ihrem Urahn anvertraut worden. Das heranwachsende Mädchen
hat in dem vom Volke gemiedenen düstern Hause des einsamen Gelehrten wenig
Freude gefunden. Sie hat sich in einen Junker verliebt und ist vor zwei
Jahren entflohen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie ist dem Geliebten nach¬
gelaufen, der sie aber bald treulos verlassen hat. Sie ist dann ins größte
Elend geraten, und hat schließlich ihren Leib preisgegeben, um sich in die Heimat
durchzubetteln: „ein treues Abbild der zu Tode gehetzten Menschheit." Der
Junker, der sie verraten, war kein andrer als der Doktor Thanatos. Gleich¬
wohl findet sie beim Alchemisten die freudigste Aufnahme. Der tief erschütterte
Ahasver will ihr alles Gut der Welt zu Füßen legen, um sie wieder glücklich
zu machen. In einer großen Szene bittet er den Tod, nur dieses einemal in
seinem grausamen Thun innezuhalten und Else zu schonen. Der Tod überläßt
die Entscheidung dem Mädchen selbst: „Frei folge sie dem eignen Hcrzenszuge!
Sie möge richten zwischen dir und mir!" Else entscheidet sich für den Tod.
Sie ist von dem Schiller des Alchemisten, dessen Werbung sie ablehnte, knaben¬
haft beleidigt worden; sie hat auch ihre» treulosen Liebhaber im Doktor Tha¬
natos wieder erkannt und nicht vermocht, seine Kälte zu besiege». Daruni will
sie sterben. Vom Turmzimmer des Domes stürzt sie sich trotz der flehentlichen
Bitten Ahasvers in die Tiefe; der Alte stürzt ihr nach. Else bleibt tot liegen
am Kirchhof, Thanatos findet sie dort, und ein Erbarmen schleicht in seine Brust.


Wie schön du bist! Ich liebte dich im Leben;
Jetzt noch viel mehr. Da du mir zagend
Als Jungfrau deinen ersten Kuß gegeben,
Empfingst du jenes Gift, das dnrch die Adern jagend
Unfehlbar endet. Millionen haben
Dir das zuvorgethan und folgen dir;
Und keine weiß es, bis man sie begraben,
Daß dem holdlnchelnden Visir
Der Liebe das entfleischte Schreckbild grinst!
Mein snszes Kind, dein was noch kommt, entrinnst,
Du nicht. Vielleicht ist's minder schwer.

Da kommt Ernst herzu; im Schmerz über den Tod Elses außer sich, fordert
er den Doktor Thanatos zum Duell heraus, da dieser sich selbst kalt als den
Urheber ihres Todes bezeichnete. Ernst, der beste Fechter des Reiches, fällt
von der Hand des Fremden, der ihm auch die Grabrede hält:


Im steten Lebenswechsel ewig jung,
Bin ich die bleibende Erinnerung
An alle die gestorbnen Millionen,
Die jetzt mein eigen sind und bei mir wohnen.
Auch dein Gedächtnis ist nicht ganz verloren.
D» hast das Unbekannte aufbcschworcn,
Dem Jenseits an das Thor gepocht;
Du hast es zu erschließen nicht vermocht;

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[0284] Der ewige Jude. Alchemisten von ihrem Urahn anvertraut worden. Das heranwachsende Mädchen hat in dem vom Volke gemiedenen düstern Hause des einsamen Gelehrten wenig Freude gefunden. Sie hat sich in einen Junker verliebt und ist vor zwei Jahren entflohen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie ist dem Geliebten nach¬ gelaufen, der sie aber bald treulos verlassen hat. Sie ist dann ins größte Elend geraten, und hat schließlich ihren Leib preisgegeben, um sich in die Heimat durchzubetteln: „ein treues Abbild der zu Tode gehetzten Menschheit." Der Junker, der sie verraten, war kein andrer als der Doktor Thanatos. Gleich¬ wohl findet sie beim Alchemisten die freudigste Aufnahme. Der tief erschütterte Ahasver will ihr alles Gut der Welt zu Füßen legen, um sie wieder glücklich zu machen. In einer großen Szene bittet er den Tod, nur dieses einemal in seinem grausamen Thun innezuhalten und Else zu schonen. Der Tod überläßt die Entscheidung dem Mädchen selbst: „Frei folge sie dem eignen Hcrzenszuge! Sie möge richten zwischen dir und mir!" Else entscheidet sich für den Tod. Sie ist von dem Schiller des Alchemisten, dessen Werbung sie ablehnte, knaben¬ haft beleidigt worden; sie hat auch ihre» treulosen Liebhaber im Doktor Tha¬ natos wieder erkannt und nicht vermocht, seine Kälte zu besiege». Daruni will sie sterben. Vom Turmzimmer des Domes stürzt sie sich trotz der flehentlichen Bitten Ahasvers in die Tiefe; der Alte stürzt ihr nach. Else bleibt tot liegen am Kirchhof, Thanatos findet sie dort, und ein Erbarmen schleicht in seine Brust. Wie schön du bist! Ich liebte dich im Leben; Jetzt noch viel mehr. Da du mir zagend Als Jungfrau deinen ersten Kuß gegeben, Empfingst du jenes Gift, das dnrch die Adern jagend Unfehlbar endet. Millionen haben Dir das zuvorgethan und folgen dir; Und keine weiß es, bis man sie begraben, Daß dem holdlnchelnden Visir Der Liebe das entfleischte Schreckbild grinst! Mein snszes Kind, dein was noch kommt, entrinnst, Du nicht. Vielleicht ist's minder schwer. Da kommt Ernst herzu; im Schmerz über den Tod Elses außer sich, fordert er den Doktor Thanatos zum Duell heraus, da dieser sich selbst kalt als den Urheber ihres Todes bezeichnete. Ernst, der beste Fechter des Reiches, fällt von der Hand des Fremden, der ihm auch die Grabrede hält: Im steten Lebenswechsel ewig jung, Bin ich die bleibende Erinnerung An alle die gestorbnen Millionen, Die jetzt mein eigen sind und bei mir wohnen. Auch dein Gedächtnis ist nicht ganz verloren. D» hast das Unbekannte aufbcschworcn, Dem Jenseits an das Thor gepocht; Du hast es zu erschließen nicht vermocht;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/284>, abgerufen am 21.10.2024.