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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

als ein junger, hübscher Arzt, Doktor Alexmidros Thcmatos aus Bologna,
auftritt, feindlich zerstörend entgegen. Es ist aber dieses Duell von zwei über¬
menschlichen Gestalten, auf denen die Handlung des ganzen Trauerspiels ruht,
der poetische Fehler desselben. An dramatisch bewegten, mächtig ergreifenden
Szenen, in denen die Poesie des Schauerlichen großen Anteil hat, fehlt es dem
Stücke nicht; aber die straffe, vom hohen Drama geforderte Einheit vermißt
man in seinen drei Parallelhcmdlnngen. Wir wollen sie kurz skizziren.

Die eine Handlung ist die des Kaisers mit dem Alchemisteil Ernst vou
Werth. Der Kaiser, eine wahrhaft vornehm-männliche Erscheinung, hat ihn in
Dienst genommen, weil er von ihm die Erzeugung des Goldes erwartet.
Ernst ist sich ziemlich klar darüber, daß er Gold nicht werde erzengen können;
er hält den Kaiser mit allgemeinen Worten hin; den Schutz, den die kaiserliche
Gunst seinen geheimnisvollen Arbeite" gewährt, will er jedoch zu eignen wissen¬
schaftlichen Forschungen benutzen, vor allem zur Erzeugung des Elixirs der
Unsterblichkeit. sein Freund Ahasver hatte ihm das lange gesuchte Buch des
Hermes Trismegistos gebracht. Indes drängt die Not; ein Doktor Thanatos
droht ein gefährlicher Nebenbuhler in der Gunst des Kaisers zu werden; der
Krieg in Ungarn verschlingt große Summen, und die Majestät bedarf des
Geldes. Da tritt Ahasver helfend dem Alchemisten zur Seite. In der Gestalt
eines reichen Juden Jesaias Wiener gewährt er dem Kaiser eine große Anleihe
zu den mäßigsten Zinsen und bezeichnet Ernst von Werth als seinen Geschäfts¬
träger. Allein den Umgang mit dem Doktor Thcmatos hat der Kaiser mit dem
Leben zu büßen. Nicht ohne Grund ist der Doktor nach Prag gekommen:
die hereinbrechende Pestilenz verschafft ihm ausgiebige Praxis. Auf eiuer Jagd
wird der Kaiser unwohl und stirbt. Man sagt, die dämonische Predigt, welche
Thcmatos in der verfallenen Karthüuserkirche gehalten, und zu welcher ein Chor
unsichtbarer Stimmen sein schallendes Amen gesagt, hätte den Kaiser so sehr er¬
schüttert. In dieser Predigt wird die Idee des Dichters von jener Unsterblichkeit,
welche wirklich besteht, entwickelt. Der Tod spricht die Toten an:


Die Welt ist voll von euer" Thaten;
Doch wäret Ihr alle schlecht beraten;
Denn was ihr pflanztet, ist verdorrt;
Was ihr erwarbt, ging wieder fort.
Doch an den Trümmern der Ahnenwerke
Erproben die Enkel ihre Stärke;
Sie lernen an dem Untergcgangnen,
Und fahren fort mit dem Angcfangnen.
Sie füllen die Welt mit neuen Thaten,
Durchwühlen den Schutt mit emsigen Spate";
Und was die Besten gekonnt und besessen,
Das endet nicht und wird nicht vergessen.
Die Toten, als Meister der jüngeren Zeit
Leben sie fort in Ewigkeit,

Der ewige Jude.

als ein junger, hübscher Arzt, Doktor Alexmidros Thcmatos aus Bologna,
auftritt, feindlich zerstörend entgegen. Es ist aber dieses Duell von zwei über¬
menschlichen Gestalten, auf denen die Handlung des ganzen Trauerspiels ruht,
der poetische Fehler desselben. An dramatisch bewegten, mächtig ergreifenden
Szenen, in denen die Poesie des Schauerlichen großen Anteil hat, fehlt es dem
Stücke nicht; aber die straffe, vom hohen Drama geforderte Einheit vermißt
man in seinen drei Parallelhcmdlnngen. Wir wollen sie kurz skizziren.

Die eine Handlung ist die des Kaisers mit dem Alchemisteil Ernst vou
Werth. Der Kaiser, eine wahrhaft vornehm-männliche Erscheinung, hat ihn in
Dienst genommen, weil er von ihm die Erzeugung des Goldes erwartet.
Ernst ist sich ziemlich klar darüber, daß er Gold nicht werde erzengen können;
er hält den Kaiser mit allgemeinen Worten hin; den Schutz, den die kaiserliche
Gunst seinen geheimnisvollen Arbeite» gewährt, will er jedoch zu eignen wissen¬
schaftlichen Forschungen benutzen, vor allem zur Erzeugung des Elixirs der
Unsterblichkeit. sein Freund Ahasver hatte ihm das lange gesuchte Buch des
Hermes Trismegistos gebracht. Indes drängt die Not; ein Doktor Thanatos
droht ein gefährlicher Nebenbuhler in der Gunst des Kaisers zu werden; der
Krieg in Ungarn verschlingt große Summen, und die Majestät bedarf des
Geldes. Da tritt Ahasver helfend dem Alchemisten zur Seite. In der Gestalt
eines reichen Juden Jesaias Wiener gewährt er dem Kaiser eine große Anleihe
zu den mäßigsten Zinsen und bezeichnet Ernst von Werth als seinen Geschäfts¬
träger. Allein den Umgang mit dem Doktor Thcmatos hat der Kaiser mit dem
Leben zu büßen. Nicht ohne Grund ist der Doktor nach Prag gekommen:
die hereinbrechende Pestilenz verschafft ihm ausgiebige Praxis. Auf eiuer Jagd
wird der Kaiser unwohl und stirbt. Man sagt, die dämonische Predigt, welche
Thcmatos in der verfallenen Karthüuserkirche gehalten, und zu welcher ein Chor
unsichtbarer Stimmen sein schallendes Amen gesagt, hätte den Kaiser so sehr er¬
schüttert. In dieser Predigt wird die Idee des Dichters von jener Unsterblichkeit,
welche wirklich besteht, entwickelt. Der Tod spricht die Toten an:


Die Welt ist voll von euer» Thaten;
Doch wäret Ihr alle schlecht beraten;
Denn was ihr pflanztet, ist verdorrt;
Was ihr erwarbt, ging wieder fort.
Doch an den Trümmern der Ahnenwerke
Erproben die Enkel ihre Stärke;
Sie lernen an dem Untergcgangnen,
Und fahren fort mit dem Angcfangnen.
Sie füllen die Welt mit neuen Thaten,
Durchwühlen den Schutt mit emsigen Spate»;
Und was die Besten gekonnt und besessen,
Das endet nicht und wird nicht vergessen.
Die Toten, als Meister der jüngeren Zeit
Leben sie fort in Ewigkeit,

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[0282] Der ewige Jude. als ein junger, hübscher Arzt, Doktor Alexmidros Thcmatos aus Bologna, auftritt, feindlich zerstörend entgegen. Es ist aber dieses Duell von zwei über¬ menschlichen Gestalten, auf denen die Handlung des ganzen Trauerspiels ruht, der poetische Fehler desselben. An dramatisch bewegten, mächtig ergreifenden Szenen, in denen die Poesie des Schauerlichen großen Anteil hat, fehlt es dem Stücke nicht; aber die straffe, vom hohen Drama geforderte Einheit vermißt man in seinen drei Parallelhcmdlnngen. Wir wollen sie kurz skizziren. Die eine Handlung ist die des Kaisers mit dem Alchemisteil Ernst vou Werth. Der Kaiser, eine wahrhaft vornehm-männliche Erscheinung, hat ihn in Dienst genommen, weil er von ihm die Erzeugung des Goldes erwartet. Ernst ist sich ziemlich klar darüber, daß er Gold nicht werde erzengen können; er hält den Kaiser mit allgemeinen Worten hin; den Schutz, den die kaiserliche Gunst seinen geheimnisvollen Arbeite» gewährt, will er jedoch zu eignen wissen¬ schaftlichen Forschungen benutzen, vor allem zur Erzeugung des Elixirs der Unsterblichkeit. sein Freund Ahasver hatte ihm das lange gesuchte Buch des Hermes Trismegistos gebracht. Indes drängt die Not; ein Doktor Thanatos droht ein gefährlicher Nebenbuhler in der Gunst des Kaisers zu werden; der Krieg in Ungarn verschlingt große Summen, und die Majestät bedarf des Geldes. Da tritt Ahasver helfend dem Alchemisten zur Seite. In der Gestalt eines reichen Juden Jesaias Wiener gewährt er dem Kaiser eine große Anleihe zu den mäßigsten Zinsen und bezeichnet Ernst von Werth als seinen Geschäfts¬ träger. Allein den Umgang mit dem Doktor Thcmatos hat der Kaiser mit dem Leben zu büßen. Nicht ohne Grund ist der Doktor nach Prag gekommen: die hereinbrechende Pestilenz verschafft ihm ausgiebige Praxis. Auf eiuer Jagd wird der Kaiser unwohl und stirbt. Man sagt, die dämonische Predigt, welche Thcmatos in der verfallenen Karthüuserkirche gehalten, und zu welcher ein Chor unsichtbarer Stimmen sein schallendes Amen gesagt, hätte den Kaiser so sehr er¬ schüttert. In dieser Predigt wird die Idee des Dichters von jener Unsterblichkeit, welche wirklich besteht, entwickelt. Der Tod spricht die Toten an: Die Welt ist voll von euer» Thaten; Doch wäret Ihr alle schlecht beraten; Denn was ihr pflanztet, ist verdorrt; Was ihr erwarbt, ging wieder fort. Doch an den Trümmern der Ahnenwerke Erproben die Enkel ihre Stärke; Sie lernen an dem Untergcgangnen, Und fahren fort mit dem Angcfangnen. Sie füllen die Welt mit neuen Thaten, Durchwühlen den Schutt mit emsigen Spate»; Und was die Besten gekonnt und besessen, Das endet nicht und wird nicht vergessen. Die Toten, als Meister der jüngeren Zeit Leben sie fort in Ewigkeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/282>, abgerufen am 20.10.2024.