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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Wieder die Ägyptische Frage.

reits erfüllt? Befindet sich das Lcind nicht vielmehr immer noch in einem Zu¬
stande der Schwäche und Unordnung, wo es dringend eines Vormundes be¬
darf? Man wird die erste Frage verneinen, die zweite bejahen müssen. Nur
kann man fragen, wie es komme, daß England mit seinem Reorganisationswerke
noch nicht weiter gekommen ist, und ob es ihm dabei am Ende nicht an Ge¬
schick oder gar an gutem Willen mangle. Es ließe sich denken, daß es langsam
arbeite, um bleiben zu können, bis zu der Zeit, wo die große Verteilung des
Reiches der Sultane beginnt, die schwerlich noch Jahrzehnte ans sich warten
lassen wird.

Wie dem aber auch sei, schwerlich kann Frankreich daran denken, anders
als mit diplomatischer Mahnung vor England zu treten. Der Versuch, es zur
Nachgiebigkeit zu zwingen, wäre gleichbedeutend mit einem Kriege bis zum
äußersten, aus welchem Frankreich so wenig als Sieger hervorgehen würde
wie zur Zeit der ersten Republik. England ist ihm als Seemacht entschieden
überlegen, und wenn die britische Armee bei weitem schwächer ist als die fran¬
zösische, so kann letztere für einen überseeischen Krieg doch kaum viel mehr
Truppen abgeben als erstere.

Ein Artikel der ZMortv meinte aus den artigen Worten, welche beim Em¬
pfange des neuen französischen Botschafters in Berlin zwischen diesem und Kaiser
Wilhelm ausgetauscht wurden, aus eine Bereitwilligkeit Deutschlands schließen
zu können, Frankreich bei der Verdrängung Englands aus Ägypten beizustehen.
Die in der Anrede Herbettes vorkommenden Worte über ein "Feld der ge¬
meinsamen Interessen" bezogen sich nach dem Blatte auf Ägypten, und es hieß
dann weiter: "Da Deutschland jetzt zur Kolonialmacht geworden ist und mit
Recht den Wunsch hegt, frei mit den fernen Meeren zu Verkehren, so hat es
wie jede andre Seemacht ein Interesse daran, daß der Suezkanal nicht in
Englands Händen ein neues Gibraltar werde. In dieser Beziehung werden
die Kabinette von Paris und Berlin parallel und im Einvernehmen mit den
übrigen Kontinentalmächten, deren Interessen mit den ihrigen zusammenfallen,
vorgehen können." Wir haben guten Grund zu bezweifeln, daß die "Kolonial¬
macht," deren Schiff in Berlin gesteuert wird, großes Interesse daran habe, daß
der Suezkanal aus den Händen Englands in die ihrer guten Freunde in Frank¬
reich übergehe, und meinen, daß sich andre Gebiete genug finden, die sich als
"Feld gemeinsamer Interessen" bezeichnen lassen; das wichtigste gemeinsame
Interesse Deutschlands und Frankreichs besteht in der Erhaltung des Welt¬
friedens und der Vermeidung oder Wegräumung aller Fragen, welche denselben
bedrohen und gefährden.




Wieder die Ägyptische Frage.

reits erfüllt? Befindet sich das Lcind nicht vielmehr immer noch in einem Zu¬
stande der Schwäche und Unordnung, wo es dringend eines Vormundes be¬
darf? Man wird die erste Frage verneinen, die zweite bejahen müssen. Nur
kann man fragen, wie es komme, daß England mit seinem Reorganisationswerke
noch nicht weiter gekommen ist, und ob es ihm dabei am Ende nicht an Ge¬
schick oder gar an gutem Willen mangle. Es ließe sich denken, daß es langsam
arbeite, um bleiben zu können, bis zu der Zeit, wo die große Verteilung des
Reiches der Sultane beginnt, die schwerlich noch Jahrzehnte ans sich warten
lassen wird.

Wie dem aber auch sei, schwerlich kann Frankreich daran denken, anders
als mit diplomatischer Mahnung vor England zu treten. Der Versuch, es zur
Nachgiebigkeit zu zwingen, wäre gleichbedeutend mit einem Kriege bis zum
äußersten, aus welchem Frankreich so wenig als Sieger hervorgehen würde
wie zur Zeit der ersten Republik. England ist ihm als Seemacht entschieden
überlegen, und wenn die britische Armee bei weitem schwächer ist als die fran¬
zösische, so kann letztere für einen überseeischen Krieg doch kaum viel mehr
Truppen abgeben als erstere.

Ein Artikel der ZMortv meinte aus den artigen Worten, welche beim Em¬
pfange des neuen französischen Botschafters in Berlin zwischen diesem und Kaiser
Wilhelm ausgetauscht wurden, aus eine Bereitwilligkeit Deutschlands schließen
zu können, Frankreich bei der Verdrängung Englands aus Ägypten beizustehen.
Die in der Anrede Herbettes vorkommenden Worte über ein „Feld der ge¬
meinsamen Interessen" bezogen sich nach dem Blatte auf Ägypten, und es hieß
dann weiter: „Da Deutschland jetzt zur Kolonialmacht geworden ist und mit
Recht den Wunsch hegt, frei mit den fernen Meeren zu Verkehren, so hat es
wie jede andre Seemacht ein Interesse daran, daß der Suezkanal nicht in
Englands Händen ein neues Gibraltar werde. In dieser Beziehung werden
die Kabinette von Paris und Berlin parallel und im Einvernehmen mit den
übrigen Kontinentalmächten, deren Interessen mit den ihrigen zusammenfallen,
vorgehen können." Wir haben guten Grund zu bezweifeln, daß die „Kolonial¬
macht," deren Schiff in Berlin gesteuert wird, großes Interesse daran habe, daß
der Suezkanal aus den Händen Englands in die ihrer guten Freunde in Frank¬
reich übergehe, und meinen, daß sich andre Gebiete genug finden, die sich als
„Feld gemeinsamer Interessen" bezeichnen lassen; das wichtigste gemeinsame
Interesse Deutschlands und Frankreichs besteht in der Erhaltung des Welt¬
friedens und der Vermeidung oder Wegräumung aller Fragen, welche denselben
bedrohen und gefährden.




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[0267] Wieder die Ägyptische Frage. reits erfüllt? Befindet sich das Lcind nicht vielmehr immer noch in einem Zu¬ stande der Schwäche und Unordnung, wo es dringend eines Vormundes be¬ darf? Man wird die erste Frage verneinen, die zweite bejahen müssen. Nur kann man fragen, wie es komme, daß England mit seinem Reorganisationswerke noch nicht weiter gekommen ist, und ob es ihm dabei am Ende nicht an Ge¬ schick oder gar an gutem Willen mangle. Es ließe sich denken, daß es langsam arbeite, um bleiben zu können, bis zu der Zeit, wo die große Verteilung des Reiches der Sultane beginnt, die schwerlich noch Jahrzehnte ans sich warten lassen wird. Wie dem aber auch sei, schwerlich kann Frankreich daran denken, anders als mit diplomatischer Mahnung vor England zu treten. Der Versuch, es zur Nachgiebigkeit zu zwingen, wäre gleichbedeutend mit einem Kriege bis zum äußersten, aus welchem Frankreich so wenig als Sieger hervorgehen würde wie zur Zeit der ersten Republik. England ist ihm als Seemacht entschieden überlegen, und wenn die britische Armee bei weitem schwächer ist als die fran¬ zösische, so kann letztere für einen überseeischen Krieg doch kaum viel mehr Truppen abgeben als erstere. Ein Artikel der ZMortv meinte aus den artigen Worten, welche beim Em¬ pfange des neuen französischen Botschafters in Berlin zwischen diesem und Kaiser Wilhelm ausgetauscht wurden, aus eine Bereitwilligkeit Deutschlands schließen zu können, Frankreich bei der Verdrängung Englands aus Ägypten beizustehen. Die in der Anrede Herbettes vorkommenden Worte über ein „Feld der ge¬ meinsamen Interessen" bezogen sich nach dem Blatte auf Ägypten, und es hieß dann weiter: „Da Deutschland jetzt zur Kolonialmacht geworden ist und mit Recht den Wunsch hegt, frei mit den fernen Meeren zu Verkehren, so hat es wie jede andre Seemacht ein Interesse daran, daß der Suezkanal nicht in Englands Händen ein neues Gibraltar werde. In dieser Beziehung werden die Kabinette von Paris und Berlin parallel und im Einvernehmen mit den übrigen Kontinentalmächten, deren Interessen mit den ihrigen zusammenfallen, vorgehen können." Wir haben guten Grund zu bezweifeln, daß die „Kolonial¬ macht," deren Schiff in Berlin gesteuert wird, großes Interesse daran habe, daß der Suezkanal aus den Händen Englands in die ihrer guten Freunde in Frank¬ reich übergehe, und meinen, daß sich andre Gebiete genug finden, die sich als „Feld gemeinsamer Interessen" bezeichnen lassen; das wichtigste gemeinsame Interesse Deutschlands und Frankreichs besteht in der Erhaltung des Welt¬ friedens und der Vermeidung oder Wegräumung aller Fragen, welche denselben bedrohen und gefährden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/267>, abgerufen am 27.09.2024.