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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Wieder die ägyptische Frage.

London darf man sich nicht wundern, wenn man in Paris jetzt die Gelegenheit
für gekommen hält, sich Bundesgenossen zu werben, welche den selbstverschul¬
deten Schaden wieder gut machen helfen. Sollte die Türkei den Plan unter¬
stützen, so würde dies eines nicht unbegreiflich sein. Der hohen Pforte hat die
Besetzung Ägyptens mit den Notröckcn der Königin Viktoria natürlich niemals
besonders freudige Gefühle erweckt. Obwohl sie dort nicht viel andre Interessen
mehr hat, als daß ihr der Tribut zu rechter Zeit und ungeschmälert zugeht,
muß ihr die englische Garnison und die englische Verwaltung doch insofern mi߬
fallen, als sie das Ansehen und die Würde des Padischci als des Suzeräus
von Ägypten noch mehr zu bloßem Scheine werden ließ, als sie so schon waren.
Für die Paschas von Stambul aber ist die Okkupation eine äußerst verdrießliche
Sache; denu sie ist mit einem Regime verbunden, bei dessen Fortdauer das
reichliche Bakschisch ausbleiben muß, welches ihren geräumigen und stets
hungrigen Geldtruhen während der goldnen Zeit Ismails in Fülle und auch
später noch einigermaßen befriedigend zufloß. Abgesehen endlich vou ihren eignen
Interessen und Antrieben in der Sache zeigen die neuesten Ereignisse, daß die
Pforte nicht abgeneigt ist, einer fremden Politik, und zwar der ihres Erbfeindes,
als Werkzeug zu dienen. Wenn der Sultan sich, wie es scheint, dazu hergebe"
will, in Ostrumelien das Spiel einer andern Macht zu spielen, so könnte er
das noch besser in Ägypten thun. Dort kann er's nur zu seinem Schaden
wagen, hier winkt ihm wenigstens ein scheinbarer Gewinn. Steht Abdul Hainid
den Franzosen bei ihrem Vorgehen gegen Englands Position am Nil bei, so
darf er dabei ans Rückerstattung eines Teiles seiner Souveränität hoffen, und
im schlimmsten Falle würde er uur einen Eindringling in seine Machtsphäre
mit einem andern vertauschen, der minder gefährlich wäre.

Eine diplomatische Aktions Frankreichs oder mehrerer Mächte gegen
die englische Okkupation Ägyptens ist somit uicht unwahrscheinlich, nur wird
sie vermutlich noch einige Zeit auf sich warten lassen. Die Antwort ist aber
vorauszusehen: sie wird in einer festen und deutlichen Weigerung bestehen. Die
Engländer werden sagen: Wir haben uns wiederholt verpflichtet, das Land zu
verlassen, sobald es wieder geordnet und in den Stand gesetzt ist, sich selbst
zu schütze", und bei dieser bedingte" Verpflichtung verbleiben wir. Wir werden
also nicht vor Vollendung unsers Werkes gehen, zumal da das die unausbleibliche
Folge haben würde, daß der leer gewordene Platz von einer andern europäischen
Macht ausgefüllt werden würde, die unsre Pflichten übernähme, ohne in deren
Erfüllung zeitlich beschränkt zu sein. Alles, was wir verlangen, ist, daß Ägypten,
wenn wir abziehen, in eine" Zustand gebracht sei, wo es allein stehen kann,
ohne daß ihm eine Hand unter die Arme greift, wenn wir losgelassen haben.
Das ist keine unbillige Bedingung, kein Anspruch auf ausschließlichen Vorteil.
Niemand wird dadurch geschädigt, vielmehr kommt es allen zu Gute. Deal
kann jemand in Wahrheit behaupte", die in Rede stehende Bedingung sei be-


Wieder die ägyptische Frage.

London darf man sich nicht wundern, wenn man in Paris jetzt die Gelegenheit
für gekommen hält, sich Bundesgenossen zu werben, welche den selbstverschul¬
deten Schaden wieder gut machen helfen. Sollte die Türkei den Plan unter¬
stützen, so würde dies eines nicht unbegreiflich sein. Der hohen Pforte hat die
Besetzung Ägyptens mit den Notröckcn der Königin Viktoria natürlich niemals
besonders freudige Gefühle erweckt. Obwohl sie dort nicht viel andre Interessen
mehr hat, als daß ihr der Tribut zu rechter Zeit und ungeschmälert zugeht,
muß ihr die englische Garnison und die englische Verwaltung doch insofern mi߬
fallen, als sie das Ansehen und die Würde des Padischci als des Suzeräus
von Ägypten noch mehr zu bloßem Scheine werden ließ, als sie so schon waren.
Für die Paschas von Stambul aber ist die Okkupation eine äußerst verdrießliche
Sache; denu sie ist mit einem Regime verbunden, bei dessen Fortdauer das
reichliche Bakschisch ausbleiben muß, welches ihren geräumigen und stets
hungrigen Geldtruhen während der goldnen Zeit Ismails in Fülle und auch
später noch einigermaßen befriedigend zufloß. Abgesehen endlich vou ihren eignen
Interessen und Antrieben in der Sache zeigen die neuesten Ereignisse, daß die
Pforte nicht abgeneigt ist, einer fremden Politik, und zwar der ihres Erbfeindes,
als Werkzeug zu dienen. Wenn der Sultan sich, wie es scheint, dazu hergebe»
will, in Ostrumelien das Spiel einer andern Macht zu spielen, so könnte er
das noch besser in Ägypten thun. Dort kann er's nur zu seinem Schaden
wagen, hier winkt ihm wenigstens ein scheinbarer Gewinn. Steht Abdul Hainid
den Franzosen bei ihrem Vorgehen gegen Englands Position am Nil bei, so
darf er dabei ans Rückerstattung eines Teiles seiner Souveränität hoffen, und
im schlimmsten Falle würde er uur einen Eindringling in seine Machtsphäre
mit einem andern vertauschen, der minder gefährlich wäre.

Eine diplomatische Aktions Frankreichs oder mehrerer Mächte gegen
die englische Okkupation Ägyptens ist somit uicht unwahrscheinlich, nur wird
sie vermutlich noch einige Zeit auf sich warten lassen. Die Antwort ist aber
vorauszusehen: sie wird in einer festen und deutlichen Weigerung bestehen. Die
Engländer werden sagen: Wir haben uns wiederholt verpflichtet, das Land zu
verlassen, sobald es wieder geordnet und in den Stand gesetzt ist, sich selbst
zu schütze», und bei dieser bedingte» Verpflichtung verbleiben wir. Wir werden
also nicht vor Vollendung unsers Werkes gehen, zumal da das die unausbleibliche
Folge haben würde, daß der leer gewordene Platz von einer andern europäischen
Macht ausgefüllt werden würde, die unsre Pflichten übernähme, ohne in deren
Erfüllung zeitlich beschränkt zu sein. Alles, was wir verlangen, ist, daß Ägypten,
wenn wir abziehen, in eine» Zustand gebracht sei, wo es allein stehen kann,
ohne daß ihm eine Hand unter die Arme greift, wenn wir losgelassen haben.
Das ist keine unbillige Bedingung, kein Anspruch auf ausschließlichen Vorteil.
Niemand wird dadurch geschädigt, vielmehr kommt es allen zu Gute. Deal
kann jemand in Wahrheit behaupte», die in Rede stehende Bedingung sei be-


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[0266] Wieder die ägyptische Frage. London darf man sich nicht wundern, wenn man in Paris jetzt die Gelegenheit für gekommen hält, sich Bundesgenossen zu werben, welche den selbstverschul¬ deten Schaden wieder gut machen helfen. Sollte die Türkei den Plan unter¬ stützen, so würde dies eines nicht unbegreiflich sein. Der hohen Pforte hat die Besetzung Ägyptens mit den Notröckcn der Königin Viktoria natürlich niemals besonders freudige Gefühle erweckt. Obwohl sie dort nicht viel andre Interessen mehr hat, als daß ihr der Tribut zu rechter Zeit und ungeschmälert zugeht, muß ihr die englische Garnison und die englische Verwaltung doch insofern mi߬ fallen, als sie das Ansehen und die Würde des Padischci als des Suzeräus von Ägypten noch mehr zu bloßem Scheine werden ließ, als sie so schon waren. Für die Paschas von Stambul aber ist die Okkupation eine äußerst verdrießliche Sache; denu sie ist mit einem Regime verbunden, bei dessen Fortdauer das reichliche Bakschisch ausbleiben muß, welches ihren geräumigen und stets hungrigen Geldtruhen während der goldnen Zeit Ismails in Fülle und auch später noch einigermaßen befriedigend zufloß. Abgesehen endlich vou ihren eignen Interessen und Antrieben in der Sache zeigen die neuesten Ereignisse, daß die Pforte nicht abgeneigt ist, einer fremden Politik, und zwar der ihres Erbfeindes, als Werkzeug zu dienen. Wenn der Sultan sich, wie es scheint, dazu hergebe» will, in Ostrumelien das Spiel einer andern Macht zu spielen, so könnte er das noch besser in Ägypten thun. Dort kann er's nur zu seinem Schaden wagen, hier winkt ihm wenigstens ein scheinbarer Gewinn. Steht Abdul Hainid den Franzosen bei ihrem Vorgehen gegen Englands Position am Nil bei, so darf er dabei ans Rückerstattung eines Teiles seiner Souveränität hoffen, und im schlimmsten Falle würde er uur einen Eindringling in seine Machtsphäre mit einem andern vertauschen, der minder gefährlich wäre. Eine diplomatische Aktions Frankreichs oder mehrerer Mächte gegen die englische Okkupation Ägyptens ist somit uicht unwahrscheinlich, nur wird sie vermutlich noch einige Zeit auf sich warten lassen. Die Antwort ist aber vorauszusehen: sie wird in einer festen und deutlichen Weigerung bestehen. Die Engländer werden sagen: Wir haben uns wiederholt verpflichtet, das Land zu verlassen, sobald es wieder geordnet und in den Stand gesetzt ist, sich selbst zu schütze», und bei dieser bedingte» Verpflichtung verbleiben wir. Wir werden also nicht vor Vollendung unsers Werkes gehen, zumal da das die unausbleibliche Folge haben würde, daß der leer gewordene Platz von einer andern europäischen Macht ausgefüllt werden würde, die unsre Pflichten übernähme, ohne in deren Erfüllung zeitlich beschränkt zu sein. Alles, was wir verlangen, ist, daß Ägypten, wenn wir abziehen, in eine» Zustand gebracht sei, wo es allein stehen kann, ohne daß ihm eine Hand unter die Arme greift, wenn wir losgelassen haben. Das ist keine unbillige Bedingung, kein Anspruch auf ausschließlichen Vorteil. Niemand wird dadurch geschädigt, vielmehr kommt es allen zu Gute. Deal kann jemand in Wahrheit behaupte», die in Rede stehende Bedingung sei be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/266>, abgerufen am 27.09.2024.