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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments.

dankt England die positiven Grundlagen seiner freien Verfassung, nämlich die
Verbindung aller Funktionen der Landesverwaltung mit den größern Kommunal¬
verbänden, d, h, das später sogenannte Selfgovernment, und dann die Fort¬
bildung der Reichsstände zu den beiden Häusern des Parlaments, Das Self¬
government erzeugt z, B, eine Verbindung der Kriegsverwaltung mit der
Grafschaft, welche die trefflichsten Früchte getragen hat; da die Lehnsmiliz all-
mühlich sich mehr und mehr in Zahlung von "Schildgeldern" aufgelöst hatte,
so tritt als Ersatz die Grafschaftsmiliz ein; alle !it>0ri llouiinss vom fünfzehnten
bis zum sechzigsten Jahre wurden für wehrpflichtig erklärt, und der römischen
Centurienverfasfung entsprechend wurden fünf Stufen von livsri uominös ge¬
bildet von fünfzehn, zehn, fünf, fünf bis zwei und weniger als zwei Pfund
Silber Einkommen; das Heer bestand von nun ab aus Lehnsleuten, welche mit
ihrem Gefolge die Reiterei bilden, und aus den Grafschaftsmilizen, welche das
drei- bis achtmal stärkere Fußvolk liefern; das letztere bestand aus Pikenmünnern
und Streitaxtmännern, aus schweren und leichten Bogenschützen, und hat seine
Disziplin und Tüchtigkeit in dem hundertjährigen Kriege gegen die Franzosen
glänzend bewährt. Was aber die Bildung der Reichsstände angeht, so gewinnt
zunächst das N^nun vonoilwlli feste Gestalt, d. h. ein periodischer Neichsrat,
der als erweiterter Staatsrat dient und an die Stelle des Versuchs der Ul^n",
Oliartir tritt, die gesamte Krvnvasallenschast als landständischen Körper zu berufen.
Diese an den polnischen Reichstag erinnernde Körperschaft hatte sich als un¬
handlich erwiesen; aber eine Auswahl der Kronvasallen zum Zwecke von Geld¬
bewilligungen und zur Abhaltung von Staatsberatungen hatte Heinrich III.,
wenn auch widerwillig, bei jeder Verlegenheit einberufen müssen. Eduard I.
gab diesen Versammlungen die geregelte Gestalt eines weitern Staatsrates zum
Dienste der Krone, indem er die hervorragenden Magnaten in gewissen Zwischen¬
räumen berief; er erreichte damit, daß der Großadel, welcher zweihundert Jahre
lang trotz aller Lehnseide die stetige Gefahr für die Krone gebildet hatte, fortan
in normalen Zeiten eine Stütze des Thrones wurde. Die Befugnisse des
Ug-Mum vanvilluur, an welchem Prälaten, Magnaten und auch nicht lehn¬
tragende Vertrauensmänner des Königs teilnahmen, erstreckten sich auf das
höchste Gericht über Pairs, königliche Beamte u. f. w., auch Steuerbewilligung
und Beratung von Gesetzen; ohne sein Verordnungsrecht aufzugeben, hat
Eduard I. doch alle wichtigen Gesetze dem N^nun eouviliunr unterbreitet und
damit die alte Idee, welche auch den Witenagemoten zu Grunde gelegen hat und
alle Abänderungen des ^us korr^v an den eouZvusus woliorum wrra" bindet,
aufs neue belebt. Naturgemäß pflegten sich die Ladungen an die Vertreter der
großen Geschlechter zu wiederholen, und so bildete sich allmählich, aber viel
langsamer als anderswo, die Erblichkeit der weltlichen Pairie; nicht schon nach
sechs Menschenaltern, wie sonst, hat sich diese Erblichkeit festgestellt, aber ge¬
kommen ist sie doch umso mehr, als die Mitglieder des N-iFuuni ecmeilium


Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments.

dankt England die positiven Grundlagen seiner freien Verfassung, nämlich die
Verbindung aller Funktionen der Landesverwaltung mit den größern Kommunal¬
verbänden, d, h, das später sogenannte Selfgovernment, und dann die Fort¬
bildung der Reichsstände zu den beiden Häusern des Parlaments, Das Self¬
government erzeugt z, B, eine Verbindung der Kriegsverwaltung mit der
Grafschaft, welche die trefflichsten Früchte getragen hat; da die Lehnsmiliz all-
mühlich sich mehr und mehr in Zahlung von „Schildgeldern" aufgelöst hatte,
so tritt als Ersatz die Grafschaftsmiliz ein; alle !it>0ri llouiinss vom fünfzehnten
bis zum sechzigsten Jahre wurden für wehrpflichtig erklärt, und der römischen
Centurienverfasfung entsprechend wurden fünf Stufen von livsri uominös ge¬
bildet von fünfzehn, zehn, fünf, fünf bis zwei und weniger als zwei Pfund
Silber Einkommen; das Heer bestand von nun ab aus Lehnsleuten, welche mit
ihrem Gefolge die Reiterei bilden, und aus den Grafschaftsmilizen, welche das
drei- bis achtmal stärkere Fußvolk liefern; das letztere bestand aus Pikenmünnern
und Streitaxtmännern, aus schweren und leichten Bogenschützen, und hat seine
Disziplin und Tüchtigkeit in dem hundertjährigen Kriege gegen die Franzosen
glänzend bewährt. Was aber die Bildung der Reichsstände angeht, so gewinnt
zunächst das N^nun vonoilwlli feste Gestalt, d. h. ein periodischer Neichsrat,
der als erweiterter Staatsrat dient und an die Stelle des Versuchs der Ul^n»,
Oliartir tritt, die gesamte Krvnvasallenschast als landständischen Körper zu berufen.
Diese an den polnischen Reichstag erinnernde Körperschaft hatte sich als un¬
handlich erwiesen; aber eine Auswahl der Kronvasallen zum Zwecke von Geld¬
bewilligungen und zur Abhaltung von Staatsberatungen hatte Heinrich III.,
wenn auch widerwillig, bei jeder Verlegenheit einberufen müssen. Eduard I.
gab diesen Versammlungen die geregelte Gestalt eines weitern Staatsrates zum
Dienste der Krone, indem er die hervorragenden Magnaten in gewissen Zwischen¬
räumen berief; er erreichte damit, daß der Großadel, welcher zweihundert Jahre
lang trotz aller Lehnseide die stetige Gefahr für die Krone gebildet hatte, fortan
in normalen Zeiten eine Stütze des Thrones wurde. Die Befugnisse des
Ug-Mum vanvilluur, an welchem Prälaten, Magnaten und auch nicht lehn¬
tragende Vertrauensmänner des Königs teilnahmen, erstreckten sich auf das
höchste Gericht über Pairs, königliche Beamte u. f. w., auch Steuerbewilligung
und Beratung von Gesetzen; ohne sein Verordnungsrecht aufzugeben, hat
Eduard I. doch alle wichtigen Gesetze dem N^nun eouviliunr unterbreitet und
damit die alte Idee, welche auch den Witenagemoten zu Grunde gelegen hat und
alle Abänderungen des ^us korr^v an den eouZvusus woliorum wrra« bindet,
aufs neue belebt. Naturgemäß pflegten sich die Ladungen an die Vertreter der
großen Geschlechter zu wiederholen, und so bildete sich allmählich, aber viel
langsamer als anderswo, die Erblichkeit der weltlichen Pairie; nicht schon nach
sechs Menschenaltern, wie sonst, hat sich diese Erblichkeit festgestellt, aber ge¬
kommen ist sie doch umso mehr, als die Mitglieder des N-iFuuni ecmeilium


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[0026] Der Entwicklungsgang des englischen Parlaments. dankt England die positiven Grundlagen seiner freien Verfassung, nämlich die Verbindung aller Funktionen der Landesverwaltung mit den größern Kommunal¬ verbänden, d, h, das später sogenannte Selfgovernment, und dann die Fort¬ bildung der Reichsstände zu den beiden Häusern des Parlaments, Das Self¬ government erzeugt z, B, eine Verbindung der Kriegsverwaltung mit der Grafschaft, welche die trefflichsten Früchte getragen hat; da die Lehnsmiliz all- mühlich sich mehr und mehr in Zahlung von „Schildgeldern" aufgelöst hatte, so tritt als Ersatz die Grafschaftsmiliz ein; alle !it>0ri llouiinss vom fünfzehnten bis zum sechzigsten Jahre wurden für wehrpflichtig erklärt, und der römischen Centurienverfasfung entsprechend wurden fünf Stufen von livsri uominös ge¬ bildet von fünfzehn, zehn, fünf, fünf bis zwei und weniger als zwei Pfund Silber Einkommen; das Heer bestand von nun ab aus Lehnsleuten, welche mit ihrem Gefolge die Reiterei bilden, und aus den Grafschaftsmilizen, welche das drei- bis achtmal stärkere Fußvolk liefern; das letztere bestand aus Pikenmünnern und Streitaxtmännern, aus schweren und leichten Bogenschützen, und hat seine Disziplin und Tüchtigkeit in dem hundertjährigen Kriege gegen die Franzosen glänzend bewährt. Was aber die Bildung der Reichsstände angeht, so gewinnt zunächst das N^nun vonoilwlli feste Gestalt, d. h. ein periodischer Neichsrat, der als erweiterter Staatsrat dient und an die Stelle des Versuchs der Ul^n», Oliartir tritt, die gesamte Krvnvasallenschast als landständischen Körper zu berufen. Diese an den polnischen Reichstag erinnernde Körperschaft hatte sich als un¬ handlich erwiesen; aber eine Auswahl der Kronvasallen zum Zwecke von Geld¬ bewilligungen und zur Abhaltung von Staatsberatungen hatte Heinrich III., wenn auch widerwillig, bei jeder Verlegenheit einberufen müssen. Eduard I. gab diesen Versammlungen die geregelte Gestalt eines weitern Staatsrates zum Dienste der Krone, indem er die hervorragenden Magnaten in gewissen Zwischen¬ räumen berief; er erreichte damit, daß der Großadel, welcher zweihundert Jahre lang trotz aller Lehnseide die stetige Gefahr für die Krone gebildet hatte, fortan in normalen Zeiten eine Stütze des Thrones wurde. Die Befugnisse des Ug-Mum vanvilluur, an welchem Prälaten, Magnaten und auch nicht lehn¬ tragende Vertrauensmänner des Königs teilnahmen, erstreckten sich auf das höchste Gericht über Pairs, königliche Beamte u. f. w., auch Steuerbewilligung und Beratung von Gesetzen; ohne sein Verordnungsrecht aufzugeben, hat Eduard I. doch alle wichtigen Gesetze dem N^nun eouviliunr unterbreitet und damit die alte Idee, welche auch den Witenagemoten zu Grunde gelegen hat und alle Abänderungen des ^us korr^v an den eouZvusus woliorum wrra« bindet, aufs neue belebt. Naturgemäß pflegten sich die Ladungen an die Vertreter der großen Geschlechter zu wiederholen, und so bildete sich allmählich, aber viel langsamer als anderswo, die Erblichkeit der weltlichen Pairie; nicht schon nach sechs Menschenaltern, wie sonst, hat sich diese Erblichkeit festgestellt, aber ge¬ kommen ist sie doch umso mehr, als die Mitglieder des N-iFuuni ecmeilium

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/26>, abgerufen am 19.10.2024.