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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympici und der olympische Zeustempel.

forderte, gearbeitet habe. Der Zeus ist also schon vor dem Jahre 447 voll¬
endet worden und schließt sich in seiner Entstehungszeit unmittelbar an den
Van des olympischen Tempels an. Das ist aber eine in jeder Hinsicht natür¬
liche Aufeinanderfolge der Thatsachen. Denn die andre Annahme, daß der
Zeus "ach der Parthenos, also nach dem Jahre 438, gearbeitet sei, müßte für
die unerklärliche Erscheinung den Beweis liefern, wie es möglich war, den
Tempel, welchen man dem panhelleuischcn Zeus errichtet hatte, länger als
zwanzig Jahre ohne die Kultusstatue zu lassen, ohne welche das Heiligtum
keinen Zweck und keine Bestimmung hatte. Die Datirung der beiden Haupt¬
werke des Phidias wirft aber auch auf das wechselseitige Verhältnis der Skulp¬
turen vom Parthenon und von Olympia ihr eigentümliches Licht. Die olym¬
pischen Giebelkompositionen sind vor den Bildwerken des Parthenon entstanden
und zwar wahrscheinlich in einer Zeit, wo Phidias mit den Seinen schon in
Olympia und an dem Zeusbilde beschäftigt war. Wir lassen die unbegründete Mög¬
lichkeit unerörtert, daß der Meister bei Aufstellung des Programms für den
Giebelschmuck des Zeustempels das entscheidende Wort gesprochen und daß der
Sieger in der Konkurrenz die Arbeit in dem geistigen Bannkreise des Phidias,
aber in eignem Stile ausgeführt habe. Jedenfalls kannte Phidias die Giebel¬
gruppen von Olympia, mag er an deren Komposition direkt oder garnicht
beteiligt gewesen sein; und als ihm später der Auftrag erteilt wurde, die
Bildwerke für deu Parthenon in Athen zu entwerfen, und ihm teilweise die Auf¬
gabe gestellt war, ein dem Gegenstande der Darstellung der olympischen Giebel¬
gruppen verwandtes Thema zu behandeln, schwebten ihm Erinnerungen vor an
die Kunstwerke, die er in Olympia gesehen und deren Entstehung er vielleicht
mit Interesse verfolgt hatte. Was jener Künstler in Olympia -- wenn es
ihrer nicht mehrere gewesen sind -- nicht hatte erreichen können, was ihm die
Grenze seines Kunstvermögens versagt hatte, das erreichte der Genius des
großen attischen Meisters in einer Vollendung und erhabenen Schönheit, die
ihm für immer seinen Platz in der Kunstgeschichte angewiesen haben.

Mit diesem Hinweise müssen wir schließen. Die Ansichten in dem vicl-
umstrittenen Problem über die kunstgeschichtliche Stellung der Skulpturen des
olympischen Zcustempels haben sich noch nicht vollkommen geklärt, und ein
sicheres Ergebnis ist bisher noch nicht gewonnen. Aber mit Hilfe des regen
Eifers, der sich gerade jetzt auf allen Gebieten der klassischen Archäologie ent¬
wickelt, und nach immer erneuter Prüfung der Thatsachen wird auch über die
Bildwerke von Olympia und ihren Platz in der griechischen Kunstgeschichte eine
klare Anschauung, ein sicheres Urteil noch erzielt werden. Kann doch der
morgende Tag bringen, was Jahrzehnte lang gesucht worden ist.




Glympici und der olympische Zeustempel.

forderte, gearbeitet habe. Der Zeus ist also schon vor dem Jahre 447 voll¬
endet worden und schließt sich in seiner Entstehungszeit unmittelbar an den
Van des olympischen Tempels an. Das ist aber eine in jeder Hinsicht natür¬
liche Aufeinanderfolge der Thatsachen. Denn die andre Annahme, daß der
Zeus »ach der Parthenos, also nach dem Jahre 438, gearbeitet sei, müßte für
die unerklärliche Erscheinung den Beweis liefern, wie es möglich war, den
Tempel, welchen man dem panhelleuischcn Zeus errichtet hatte, länger als
zwanzig Jahre ohne die Kultusstatue zu lassen, ohne welche das Heiligtum
keinen Zweck und keine Bestimmung hatte. Die Datirung der beiden Haupt¬
werke des Phidias wirft aber auch auf das wechselseitige Verhältnis der Skulp¬
turen vom Parthenon und von Olympia ihr eigentümliches Licht. Die olym¬
pischen Giebelkompositionen sind vor den Bildwerken des Parthenon entstanden
und zwar wahrscheinlich in einer Zeit, wo Phidias mit den Seinen schon in
Olympia und an dem Zeusbilde beschäftigt war. Wir lassen die unbegründete Mög¬
lichkeit unerörtert, daß der Meister bei Aufstellung des Programms für den
Giebelschmuck des Zeustempels das entscheidende Wort gesprochen und daß der
Sieger in der Konkurrenz die Arbeit in dem geistigen Bannkreise des Phidias,
aber in eignem Stile ausgeführt habe. Jedenfalls kannte Phidias die Giebel¬
gruppen von Olympia, mag er an deren Komposition direkt oder garnicht
beteiligt gewesen sein; und als ihm später der Auftrag erteilt wurde, die
Bildwerke für deu Parthenon in Athen zu entwerfen, und ihm teilweise die Auf¬
gabe gestellt war, ein dem Gegenstande der Darstellung der olympischen Giebel¬
gruppen verwandtes Thema zu behandeln, schwebten ihm Erinnerungen vor an
die Kunstwerke, die er in Olympia gesehen und deren Entstehung er vielleicht
mit Interesse verfolgt hatte. Was jener Künstler in Olympia — wenn es
ihrer nicht mehrere gewesen sind — nicht hatte erreichen können, was ihm die
Grenze seines Kunstvermögens versagt hatte, das erreichte der Genius des
großen attischen Meisters in einer Vollendung und erhabenen Schönheit, die
ihm für immer seinen Platz in der Kunstgeschichte angewiesen haben.

Mit diesem Hinweise müssen wir schließen. Die Ansichten in dem vicl-
umstrittenen Problem über die kunstgeschichtliche Stellung der Skulpturen des
olympischen Zcustempels haben sich noch nicht vollkommen geklärt, und ein
sicheres Ergebnis ist bisher noch nicht gewonnen. Aber mit Hilfe des regen
Eifers, der sich gerade jetzt auf allen Gebieten der klassischen Archäologie ent¬
wickelt, und nach immer erneuter Prüfung der Thatsachen wird auch über die
Bildwerke von Olympia und ihren Platz in der griechischen Kunstgeschichte eine
klare Anschauung, ein sicheres Urteil noch erzielt werden. Kann doch der
morgende Tag bringen, was Jahrzehnte lang gesucht worden ist.




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[0245] Glympici und der olympische Zeustempel. forderte, gearbeitet habe. Der Zeus ist also schon vor dem Jahre 447 voll¬ endet worden und schließt sich in seiner Entstehungszeit unmittelbar an den Van des olympischen Tempels an. Das ist aber eine in jeder Hinsicht natür¬ liche Aufeinanderfolge der Thatsachen. Denn die andre Annahme, daß der Zeus »ach der Parthenos, also nach dem Jahre 438, gearbeitet sei, müßte für die unerklärliche Erscheinung den Beweis liefern, wie es möglich war, den Tempel, welchen man dem panhelleuischcn Zeus errichtet hatte, länger als zwanzig Jahre ohne die Kultusstatue zu lassen, ohne welche das Heiligtum keinen Zweck und keine Bestimmung hatte. Die Datirung der beiden Haupt¬ werke des Phidias wirft aber auch auf das wechselseitige Verhältnis der Skulp¬ turen vom Parthenon und von Olympia ihr eigentümliches Licht. Die olym¬ pischen Giebelkompositionen sind vor den Bildwerken des Parthenon entstanden und zwar wahrscheinlich in einer Zeit, wo Phidias mit den Seinen schon in Olympia und an dem Zeusbilde beschäftigt war. Wir lassen die unbegründete Mög¬ lichkeit unerörtert, daß der Meister bei Aufstellung des Programms für den Giebelschmuck des Zeustempels das entscheidende Wort gesprochen und daß der Sieger in der Konkurrenz die Arbeit in dem geistigen Bannkreise des Phidias, aber in eignem Stile ausgeführt habe. Jedenfalls kannte Phidias die Giebel¬ gruppen von Olympia, mag er an deren Komposition direkt oder garnicht beteiligt gewesen sein; und als ihm später der Auftrag erteilt wurde, die Bildwerke für deu Parthenon in Athen zu entwerfen, und ihm teilweise die Auf¬ gabe gestellt war, ein dem Gegenstande der Darstellung der olympischen Giebel¬ gruppen verwandtes Thema zu behandeln, schwebten ihm Erinnerungen vor an die Kunstwerke, die er in Olympia gesehen und deren Entstehung er vielleicht mit Interesse verfolgt hatte. Was jener Künstler in Olympia — wenn es ihrer nicht mehrere gewesen sind — nicht hatte erreichen können, was ihm die Grenze seines Kunstvermögens versagt hatte, das erreichte der Genius des großen attischen Meisters in einer Vollendung und erhabenen Schönheit, die ihm für immer seinen Platz in der Kunstgeschichte angewiesen haben. Mit diesem Hinweise müssen wir schließen. Die Ansichten in dem vicl- umstrittenen Problem über die kunstgeschichtliche Stellung der Skulpturen des olympischen Zcustempels haben sich noch nicht vollkommen geklärt, und ein sicheres Ergebnis ist bisher noch nicht gewonnen. Aber mit Hilfe des regen Eifers, der sich gerade jetzt auf allen Gebieten der klassischen Archäologie ent¬ wickelt, und nach immer erneuter Prüfung der Thatsachen wird auch über die Bildwerke von Olympia und ihren Platz in der griechischen Kunstgeschichte eine klare Anschauung, ein sicheres Urteil noch erzielt werden. Kann doch der morgende Tag bringen, was Jahrzehnte lang gesucht worden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/245>, abgerufen am 19.10.2024.