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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Glympia und der olympische Zeustempel.

Pausanias kontroliren zu können und ihm mancherlei Irrtümer nachzuweisen.
Wir müssen es uns versagen, diese im einzelnen hier aufzuzählen, bemerken
aber, daß gerade die Besprechung des Zcustempels, die chronologische Bestimmung
der Baugeschichte und die Beschreibung der Giebelgruppen nicht frei von irrigen
Ansichten ist, wenn diese auch mild beurteilt werden können.

Wenn wir die dürftigen Nachrichten über die äußeren Lebensumstände der
beiden Künstler überblicken, so ist das einzige sichere Datum aus dem Leben
des Alkameues dieses, daß er nach Vertreibung der sogenannten dreißig
Tyrannen im Jahre 402 für Thrasybnl und seine Anhänger Statuen der
Athene und des Herakles anfertigte. Mit dieser Nachricht müssen sich die
Daten über die Baugeschichte des Zeustempels ungezwungen in Zusammenhang
bringen lassen. Der Tempel wurde in der siebenundsiebzigsteu Olympiade, also
in den Jahren 472--469, unter Leitung des einheimischen Architekten Libvn
begonnen und etwa fünfzehn Jahre später vollendet, da die Lakedämonier für
den Sieg in der Schlacht bei Tanagra im Jahre 457 einen goldnen Schild
als Weihgeschenk an dem First aufhängen lassen konnten. Um diese Zeit
werden also auch die Statuen der Giebelgruppen vollendet gewesen sein. Zwar
ist durch Vollendung des architektonischen Aufbaues die gleichzeitige Vollendung
des aus einzelnen Statuen und Gruppen bestehenden Giebelschmuckes insofern
nicht bedingt, als dieser noch nach Jahr und Tag an den Ort seiner Bestimmung
gebracht werden konnte, wie dies z. V. nach nenerdings bekannt gewordnen Schatz-
mcisterrechnungen beim Parthenon der Fall war, bei dem noch vier Jahre nach der
Einweihung an den Giebeln gearbeitet wurde. Aber einen gleichen oder größern
Zeitabstand zwischen dem Baue des olympischen Tempels und der Aufstellung
der Giebelfigureu anzunehmen, sind wir durch kein Zeugnis berechtigt. Ja der
Charakter der Skulpturen des Zenstempels würde muss entschiedenste dem wider¬
sprechen. Denn wenn auch die zwölf Metopen noch etwas früher als die Giebel-
gruppen angesetzt werden müssen, da sie als architektonische Glieder mit dem Baue
in engstem Zusammenhang stehen und fertig sein mußten, als der Triglyphen-
fries aufgebaut wurde, so siud doch beide, abgesehen von Einzelheiten, durchaus
aus einem einheitlichen Gusse und stilistisch so verwandt, daß zwischen Vollendung
beider Monumente kein großer Zeitabstand denkbar ist. Nehmen wir für die Ent¬
stehung dieser Skulpturen rund 460, als äußerste Grenze 457 an, so besteht
zwischen diesem Jahre und dem einzigen sichern Datum aus dem Leben des Al-
lamenes eine Differenz von ungefähr achtundfunfzig oder füufundfllnfzig Jahren.
Auch ohne daß man sich auf moderne Verhältnisse bezieht, kann es als eine
Art logischer Forderung hingestellt werden, daß, wenn ein Staat, in dein von
altersher eine rege Kunstübung geherrscht hat, einen fremden Künstler mit einem
Auftrage von der Bedeutung betraut, wie es die plastische Ausschmückung des
Heiligtums des pauhellcuischeu Zeus war, dieser Künstler als solcher einen Namen,
daß er Proben seiner Leistungsfähigkeit gegeben haben mußte, die seine Wahl


Glympia und der olympische Zeustempel.

Pausanias kontroliren zu können und ihm mancherlei Irrtümer nachzuweisen.
Wir müssen es uns versagen, diese im einzelnen hier aufzuzählen, bemerken
aber, daß gerade die Besprechung des Zcustempels, die chronologische Bestimmung
der Baugeschichte und die Beschreibung der Giebelgruppen nicht frei von irrigen
Ansichten ist, wenn diese auch mild beurteilt werden können.

Wenn wir die dürftigen Nachrichten über die äußeren Lebensumstände der
beiden Künstler überblicken, so ist das einzige sichere Datum aus dem Leben
des Alkameues dieses, daß er nach Vertreibung der sogenannten dreißig
Tyrannen im Jahre 402 für Thrasybnl und seine Anhänger Statuen der
Athene und des Herakles anfertigte. Mit dieser Nachricht müssen sich die
Daten über die Baugeschichte des Zeustempels ungezwungen in Zusammenhang
bringen lassen. Der Tempel wurde in der siebenundsiebzigsteu Olympiade, also
in den Jahren 472—469, unter Leitung des einheimischen Architekten Libvn
begonnen und etwa fünfzehn Jahre später vollendet, da die Lakedämonier für
den Sieg in der Schlacht bei Tanagra im Jahre 457 einen goldnen Schild
als Weihgeschenk an dem First aufhängen lassen konnten. Um diese Zeit
werden also auch die Statuen der Giebelgruppen vollendet gewesen sein. Zwar
ist durch Vollendung des architektonischen Aufbaues die gleichzeitige Vollendung
des aus einzelnen Statuen und Gruppen bestehenden Giebelschmuckes insofern
nicht bedingt, als dieser noch nach Jahr und Tag an den Ort seiner Bestimmung
gebracht werden konnte, wie dies z. V. nach nenerdings bekannt gewordnen Schatz-
mcisterrechnungen beim Parthenon der Fall war, bei dem noch vier Jahre nach der
Einweihung an den Giebeln gearbeitet wurde. Aber einen gleichen oder größern
Zeitabstand zwischen dem Baue des olympischen Tempels und der Aufstellung
der Giebelfigureu anzunehmen, sind wir durch kein Zeugnis berechtigt. Ja der
Charakter der Skulpturen des Zenstempels würde muss entschiedenste dem wider¬
sprechen. Denn wenn auch die zwölf Metopen noch etwas früher als die Giebel-
gruppen angesetzt werden müssen, da sie als architektonische Glieder mit dem Baue
in engstem Zusammenhang stehen und fertig sein mußten, als der Triglyphen-
fries aufgebaut wurde, so siud doch beide, abgesehen von Einzelheiten, durchaus
aus einem einheitlichen Gusse und stilistisch so verwandt, daß zwischen Vollendung
beider Monumente kein großer Zeitabstand denkbar ist. Nehmen wir für die Ent¬
stehung dieser Skulpturen rund 460, als äußerste Grenze 457 an, so besteht
zwischen diesem Jahre und dem einzigen sichern Datum aus dem Leben des Al-
lamenes eine Differenz von ungefähr achtundfunfzig oder füufundfllnfzig Jahren.
Auch ohne daß man sich auf moderne Verhältnisse bezieht, kann es als eine
Art logischer Forderung hingestellt werden, daß, wenn ein Staat, in dein von
altersher eine rege Kunstübung geherrscht hat, einen fremden Künstler mit einem
Auftrage von der Bedeutung betraut, wie es die plastische Ausschmückung des
Heiligtums des pauhellcuischeu Zeus war, dieser Künstler als solcher einen Namen,
daß er Proben seiner Leistungsfähigkeit gegeben haben mußte, die seine Wahl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/238>, abgerufen am 27.09.2024.