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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der ewige Jude.

Aventiure ruft: "O freudige Fahrt!" Minne: "Ein zauberisch Ziel!" Nur
Saelde fragt nachdenklich: "Wie lange, Herrin, währt jenes Spiel?" Perachta
erwiedert: "So lang euch die Welt, die rastlos ringende, keimt und behält!"
Da hört man Schritte nahen; ans den Wink Pcrachtas verschwinden die Mädchen
zwischen den Felsen, und die Königin sagt im Nachgehen:


Will wieder einer
Vermessen wagen,
Hier nach den Zaubern des Berges zu fragen?
Er soll sie haben,
Der sie begehrt!
Wer Wunder verlangt, ist Wunder wert!

Die Nahenden waren Aurelius und Horatius. Der verwundete römische Feld¬
herr will allein sein; sein Tribun warnt ihn vor dem Zauber des Ortes: "Wer
sich vom Schlaf hier überfallen läßt, in tausend Jahren erst darf er erwachen/'
Darauf Aurelius:


Das Volk behauptet wundersame Sachen.
Ein tnusendjiihr'ger Schlaf! O Scholle Sage!
El" tnnsendjNhr'ger Schlaf! Und keine Klage,
Kein Schmerz, kein Haß, kein Hoffen und kein Jammer
Dringt in deS Schläfers liefe Felsenkammer!
Ganz traumhaft sieht er nur deu Strom der Zeilen
In weiter Ferne sacht vvriibergleiten,
Sieht dichtgedrängte Völkerschaaren wallen
Und Throne aufsteh'n, alle Reiche fallen,
Sieht, wie aus ihren Tempeln Götter weichen
Und neuen Göttern ihre Hände reichen,
Wie sich znnl Umsturz die Gebirge neigen,
Und junge Länder ans der Tiefe steigen,
Und alles das, dem Schläfer ist eS bloß
Ein Traum, den er im zauberhaften Schoß
Des Berges träumt; ihm liegen tausend Jahre
Als Thau der einz'gen Nacht im Haare;
Und wenn er staunend aufwacht, stellt
Ihn das Geschick in eine junge Welt!
Ein tausendjähr'ger Schlaf! Süß muß er sein!
Laß mich aNein, Tribun! Laß mich allein!

Allem geblieben, verfällt er in Phantasien; er denkt an das schöne Campanien.
Da spaltet sich die Felswand im Hintergrunde; man sieht in eine sonnige Land¬
schaft: Pinien und Cypressen, dahinter Berge und Meer. Auf den Trümmern
eines zierlichen Bauwerks sitzt Saelde, den Blick nachdenklich ans den Römer
gerichtet. schwärmerisch begrüßt er sie. Die aus dem Thale herauftönenden
Hörner der Legion rufen ihn; doch vorerst will er einen Schritt in dieses Reich
"vagen. Er eilt auf Saelde zu. Sie erhebt sich und streckt ihm die Arme ent¬
gegen. Hinter ihm schließt sich der Fels. Nach einer Pause kommt Widumar,
von dem Zwerge geführt. Das Spiel wiederholt sich: der Fels spaltet sich


Der ewige Jude.

Aventiure ruft: „O freudige Fahrt!" Minne: „Ein zauberisch Ziel!" Nur
Saelde fragt nachdenklich: „Wie lange, Herrin, währt jenes Spiel?" Perachta
erwiedert: „So lang euch die Welt, die rastlos ringende, keimt und behält!"
Da hört man Schritte nahen; ans den Wink Pcrachtas verschwinden die Mädchen
zwischen den Felsen, und die Königin sagt im Nachgehen:


Will wieder einer
Vermessen wagen,
Hier nach den Zaubern des Berges zu fragen?
Er soll sie haben,
Der sie begehrt!
Wer Wunder verlangt, ist Wunder wert!

Die Nahenden waren Aurelius und Horatius. Der verwundete römische Feld¬
herr will allein sein; sein Tribun warnt ihn vor dem Zauber des Ortes: „Wer
sich vom Schlaf hier überfallen läßt, in tausend Jahren erst darf er erwachen/'
Darauf Aurelius:


Das Volk behauptet wundersame Sachen.
Ein tnusendjiihr'ger Schlaf! O Scholle Sage!
El» tnnsendjNhr'ger Schlaf! Und keine Klage,
Kein Schmerz, kein Haß, kein Hoffen und kein Jammer
Dringt in deS Schläfers liefe Felsenkammer!
Ganz traumhaft sieht er nur deu Strom der Zeilen
In weiter Ferne sacht vvriibergleiten,
Sieht dichtgedrängte Völkerschaaren wallen
Und Throne aufsteh'n, alle Reiche fallen,
Sieht, wie aus ihren Tempeln Götter weichen
Und neuen Göttern ihre Hände reichen,
Wie sich znnl Umsturz die Gebirge neigen,
Und junge Länder ans der Tiefe steigen,
Und alles das, dem Schläfer ist eS bloß
Ein Traum, den er im zauberhaften Schoß
Des Berges träumt; ihm liegen tausend Jahre
Als Thau der einz'gen Nacht im Haare;
Und wenn er staunend aufwacht, stellt
Ihn das Geschick in eine junge Welt!
Ein tausendjähr'ger Schlaf! Süß muß er sein!
Laß mich aNein, Tribun! Laß mich allein!

Allem geblieben, verfällt er in Phantasien; er denkt an das schöne Campanien.
Da spaltet sich die Felswand im Hintergrunde; man sieht in eine sonnige Land¬
schaft: Pinien und Cypressen, dahinter Berge und Meer. Auf den Trümmern
eines zierlichen Bauwerks sitzt Saelde, den Blick nachdenklich ans den Römer
gerichtet. schwärmerisch begrüßt er sie. Die aus dem Thale herauftönenden
Hörner der Legion rufen ihn; doch vorerst will er einen Schritt in dieses Reich
»vagen. Er eilt auf Saelde zu. Sie erhebt sich und streckt ihm die Arme ent¬
gegen. Hinter ihm schließt sich der Fels. Nach einer Pause kommt Widumar,
von dem Zwerge geführt. Das Spiel wiederholt sich: der Fels spaltet sich


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[0235] Der ewige Jude. Aventiure ruft: „O freudige Fahrt!" Minne: „Ein zauberisch Ziel!" Nur Saelde fragt nachdenklich: „Wie lange, Herrin, währt jenes Spiel?" Perachta erwiedert: „So lang euch die Welt, die rastlos ringende, keimt und behält!" Da hört man Schritte nahen; ans den Wink Pcrachtas verschwinden die Mädchen zwischen den Felsen, und die Königin sagt im Nachgehen: Will wieder einer Vermessen wagen, Hier nach den Zaubern des Berges zu fragen? Er soll sie haben, Der sie begehrt! Wer Wunder verlangt, ist Wunder wert! Die Nahenden waren Aurelius und Horatius. Der verwundete römische Feld¬ herr will allein sein; sein Tribun warnt ihn vor dem Zauber des Ortes: „Wer sich vom Schlaf hier überfallen läßt, in tausend Jahren erst darf er erwachen/' Darauf Aurelius: Das Volk behauptet wundersame Sachen. Ein tnusendjiihr'ger Schlaf! O Scholle Sage! El» tnnsendjNhr'ger Schlaf! Und keine Klage, Kein Schmerz, kein Haß, kein Hoffen und kein Jammer Dringt in deS Schläfers liefe Felsenkammer! Ganz traumhaft sieht er nur deu Strom der Zeilen In weiter Ferne sacht vvriibergleiten, Sieht dichtgedrängte Völkerschaaren wallen Und Throne aufsteh'n, alle Reiche fallen, Sieht, wie aus ihren Tempeln Götter weichen Und neuen Göttern ihre Hände reichen, Wie sich znnl Umsturz die Gebirge neigen, Und junge Länder ans der Tiefe steigen, Und alles das, dem Schläfer ist eS bloß Ein Traum, den er im zauberhaften Schoß Des Berges träumt; ihm liegen tausend Jahre Als Thau der einz'gen Nacht im Haare; Und wenn er staunend aufwacht, stellt Ihn das Geschick in eine junge Welt! Ein tausendjähr'ger Schlaf! Süß muß er sein! Laß mich aNein, Tribun! Laß mich allein! Allem geblieben, verfällt er in Phantasien; er denkt an das schöne Campanien. Da spaltet sich die Felswand im Hintergrunde; man sieht in eine sonnige Land¬ schaft: Pinien und Cypressen, dahinter Berge und Meer. Auf den Trümmern eines zierlichen Bauwerks sitzt Saelde, den Blick nachdenklich ans den Römer gerichtet. schwärmerisch begrüßt er sie. Die aus dem Thale herauftönenden Hörner der Legion rufen ihn; doch vorerst will er einen Schritt in dieses Reich »vagen. Er eilt auf Saelde zu. Sie erhebt sich und streckt ihm die Arme ent¬ gegen. Hinter ihm schließt sich der Fels. Nach einer Pause kommt Widumar, von dem Zwerge geführt. Das Spiel wiederholt sich: der Fels spaltet sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/235>, abgerufen am 27.09.2024.